
Dieses Jahr sollte in Gemünden ein Jubiläum eigentlich groß gefeiert werden: In einer vor 777 Jahren verfassten Urkunde findet sich die früheste Erwähnung der heutigen Stadt als "Dorf, das Gemünden genannt wird". Bei dem Dokument von 1243 handelt es sich um einen Vergleich nach einer vorausgegangenen Fehde zwischen den Rieneckern und dem Bischof von Würzburg. Dieses Schriftstück ist zugleich die einzige schriftliche Quelle für die rätselhafte Slorburg 350 Meter oberhalb der Scherenburg. Kein Wunder, steht doch darin, dass sie abgerissen wurde.
Wer nichts von der Slorburg weiß, der wird sie übersehen. Selbst wenn man von ihr weiß, übersieht man sie gern. Nur ein Schild "Bodendenkmal Slorburg – geschleift 1243" weist auf die ehemalige Burg hin, herumliegende Steinquader werden als Überreste gedeutet. Ein Fachmann wie der aus Gambach stammende und für das Landesamt für Denkmalpflege tätige Archäologe Ralf Obst hat einen anderen Blick: "Man sieht recht viel aus archäologischer Sicht." Vor Ort erkenne man etwa Reste von Trockenmauern.
Aufschlussreicher Blick in die Reliefansicht des Bayernatlas
Die Umrisse der asymmetrisch vieleckigen, etwa 40 auf 40 Meter großen Anlage sieht man immerhin in der Reliefansicht des Bayernatlas im Internet ganz gut. Dort erkennt man Gräben und Wälle und auch zwei 30 Meter lange mit einem Abstand von rund 13 Metern parallel verlaufende Steinwälle, die sich nach oben hin anschließen. Ende Februar hätte eigentlich eine Exkursion unter Leitung von Obst hinauf zur Slorburg stattfinden sollen. Wegen widriger Wetter- und Bodenverhältnisse entfiel sie jedoch.

"Es fällt natürlich auf, dass die Anlage recht komisch am Hang klebt", sagt Obst. Er fragt sich: "Warum legt man eine Befestigung derart ungünstig an, dass man sie von oben unter Feuer nehmen kann?" Man könne regelrecht hineinspucken. Seine Vermutung ist, dass die Slorburg eine Belagerungsburg, auch genannt Trutzburg, während der Fehde der Rienecker mit den Würzburgern gewesen sein könnte, mit der die Scherenburg belagert wurde. Aber das sei nur eine Hypothese, die man durch eine Grabung überprüfen müsste.
Diente die Slorburg der Belagerung?
Aber wer wurde belagert? Der Ort Gemünden oder die Scherenburg? Von einer weiteren Burg auf dem Berg ist jedenfalls keine Rede. Die bisher gängige Vermutung war, dass die Anlage ihrem Aussehen nach aus dem frühen Mittelalter stammt – wobei man dabei auch von einer "streng geometrischen" Form ausging, wie sie die Reliefansicht des Bayernatlas nicht hergibt.

Auch der Allgäuer Burgenforscher Joachim Zeune, der schon die Homburg untersucht hat, findet in einer Ferndiagnose, dass die Slorburg keine frühmittelalterlichen Bauformen zeigt. Es scheint sich, so Zeune, vielmehr um eine temporär und hastig angelegte Burganlage zu handeln. Das Fehlen von aufwendig herzustellendem Kalkmörtel sei ein deutlicher Hinweis darauf.
Es liege in der Tat nahe, die Slorburg als vorübergehende Gegenburg zu interpretieren. Ob es aber eine Belagerungsburg war, das mag der Burgenforscher aus der Ferne nicht entscheiden, dazu müsste er die Topografie, Zuwegungen und Entfernung zur belagerten Burganlage und deren Infrastruktur besser kennen. Zur schlechten Verteidigungslage der Slorburg merkt Zeune jedoch an, dass der Großteil aller bayerischen und auch deutschen Burgen wehrtechnisch nachteilig platziert sind.
Der Würzburger Bischof ließ die Slorburg errichten und schleifen
Die bischöfliche Urkunde von 1243, die in einer rund 500 Jahre alten Abschrift erhalten ist, stützt ebenfalls die These, dass die Burg "Slorberch", an anderer Stelle zweimal "Slorbe" genannt, nur kurzfristig Bestand hatte. So steht in der auf Latein abgefassten Urkunde, dass sie "durch uns" (per nos) errichtet worden war und "wir" sie (im Rahmen des Vergleichs) bereits wieder haben schleifen lassen ("removimus") – es geht hier also nicht um eine Verpflichtung, dass sie noch zu schleifen sei, wie Kommentatoren dies bisher meist berichteten. Da der Würzburger Bischof Hermann von Lobdeburg auch an anderen Stellen von sich als "wir" und "uns" spricht, was damals üblich war, wäre der logische Schluss, dass er selbst sie errichten ließ. Wurde die Burg der Würzburger über dem zu Rieneck gehörenden Gemünden womöglich tatsächlich zur Belagerung gebaut?

Gräfin Adelheid von Rieneck und ihre Söhne Ludwig und Gerhard hatten in den Jahren zuvor Krieg gegen das Hochstift Würzburg geführt und versucht, den Schiffsverkehr auf dem Main zu kontrollieren. Dabei hatten sie neben das Kloster Schönrain eine Burg gebaut und Karlburg abgefackelt. Laut dem Vertrag mit dem Bischof musste die Rienecker Burg auf Schönrain ebenso wie das Würzburger "castrum Slorberch" in Gemünden abgetragen werden. Die Gräfin wurde außerdem gezwungen, Würzburg halb Gemünden und zwei Teile des Berges oberhalb des Dorfes als Lehen zu übertragen.
Bei Begehungen durch das Landesamt für Denkmalpflege hat die Slorburg ihr Geheimnis nicht preisgegeben. Es wurden keine Funde, etwa Metallgegenstände, gemacht, die über das Alter oder die Funktion der Burg hätten Aufschluss geben können, sagt Archäologe Obst. Dazu müsste man die Überreste wissenschaftlich untersuchen, eventuell durch einen Schnitt in den Wall.

Es bleibt aber letztlich noch die Frage, wer das in der Urkunde erwähnte "castrum Slorberch" überhaupt ist. Tatsächlich die Slorburg genannte Ruine? Oder vielleicht doch ein Vorgängerbau der Scherenburg? Und wo kommt die ebenfalls vage im 13. Jahrhundert datierte Scherenburg her, wo sich doch beide Seiten in der Urkunde von 1243 dazu verpflichteten, auf dem Slorberch keine Befestigung mehr zu errichten? Oder war mit "in Slorbe" nur der Standort der Slorburg, nicht der ganze Berg gemeint? Kann es sein, dass die Scherenburg, die freilich erst später diesen Namen erhielt, 1243 schon bestand, aber in der Urkunde nicht erwähnt wurde?
Aufgehoben ist nicht aufgeschoben gilt für die im Frühjahr ausgefallene Exursion zur Slorburg. Diese soll auf jeden Fall nachgeholt werden, so Obst. Aber für Antworten auf noch offene Fragen hilft nur eine wissenschaftliche Untersuchung sowohl der Slorburg als auch der Scherenburg.
Gemünden ist übrigens natürlich älter als 777 Jahre, darauf deutet schon allein die Ersterwähnung von Kleingemünden ("Wenigengemunden") hin, die schon 1184 war. Denn wo es ein Kleingemünden gibt, muss es freilich auch ein Großgemünden geben.