Für großen Wirbel hat der Main-Post-Artikel vom 7. Dezember über die Nazivergangenheit des Malers und Dichters Eduard van de Weyer gesorgt. Im Rathaus in Geiselbach (Lkr. Aschaffenburg), wo van de Weyer ab 1942 lebte und als Förster tätig war, eröffneten die Gemeinde und der örtliche Geschichtsverein am 8. Dezember eine Ausstellung über sein „Leben und Wirken“ – bei der die Naziverstrickungen des SA-Mannes und NSDAP-Mitglieds keine Rolle spielten. Das lag, wie ein neuerlicher Blick in die Archive zeigt, auch an van de Weyer selbst, der versuchte, seine Vergangenheit zu vertuschen.
Förster in Gemünden
Vor allem sein in seiner Zeit als Förster in Gemünden geschriebenes und uraufgeführtes Stück „Deutschlands Erwachen“ von 1933, das massiv gegen Juden, Kommunisten und „Gesindel“ hetzt. Am Ende des Schauspiels kommt ein Jude ins Konzentrationslager, auch weil ein Mann, den er um Hilfe bittet, seinen Reisepass verbrennt und so die Flucht ins Ausland verhindert.
Mit dem Stück und dessen Inhalt konfrontiert, reagierte die Geiselbacher Bürgermeisterin Marianne Krohnen, zugleich zweite Vorsitzende des Geschichtsvereins, abweisend: „Über die Zeit und die Leute zu urteilen, wie sie sich zu der Zeit verhalten haben, wäre eine Anmaßung.“ Auf unseren Artikel hin liefen im Rathaus von Geiselbach am Tag nach der Ausstellungseröffnung die Telefone heiß, wie das Main-Echo berichtete. Die Besucher hätten sich die Dauerausstellung aufgrund der Berichterstattung in großen Scharen angeschaut. Das Main-Echo bezeichnete sie als „Ausstellung ohne Sinn“.
Die vom Wirbel überraschte Bürgermeisterin rechtfertigte sich: Sie distanziere sich vom Nationalsozialismus und der Geschichtsverein habe, so wird sie zitiert, „sehr umsichtig und umfassend recherchiert“. Van de Weyer, dessen erste Frau die Tochter des Uettinger Posthalters war, habe zwar zu Beginn den Nationalsozialismus unterstützt, sei dann aber gegen diesen eingetreten und bei der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft worden. Dass die Entscheidung der Spruchkammer von bestimmten Kreisen nicht akzeptiert werde, sei deren Problem, sagte Krohnen laut Main-Echo im Dezember im Gemeinderat.
Beispiel Filbinger
Das Problem ist, dass Urteile der Spruchkammern oft nichts über die tatsächliche NS-Vergangenheit einzelner aussagen. Das ist nicht erst seit aufsehenerregenden Fällen wie dem des ehemaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger bekannt. Der Richter hatte im Dritten Reich Todesurteile gefällt, galt gemäß der Entnazifizierung jedoch als unbelastet, gar als Widerstandskämpfer.
NS-Belastete ließen sich zuhauf entlastende „Persilscheine“ ausstellen. Auch bei van de Weyer war dies, so ist der Spruchkammer-Akte im Würzburger Staatsarchiv zu entnehmen, offenbar der Fall. Der Forstmann wurde im Dezember 1946 in die Gruppe IV als „Mitläufer“ eingestuft. Beantragt hatte der Kläger jedoch eine Einstufung in Gruppe II als „Aktivist“. Begründung: „Mit seiner schriftstellerischen Tätigkeit hat er den Nationalsozialismus wesentlich gefördert.“ Laut einem Vermerk in der Akte sei er im Dritten Reich auch als „guter Redner“ bei politischen Veranstaltungen aufgetreten.
Doch van de Weyer wand sich heraus. Nie sei er aktivistisch tätig gewesen, habe sich seit 1942 in politischer Hinsicht passiv verhalten. Gegenüber der Kammer gab er sogar an, nichts im Sinne des Nationalsozialismus geschrieben zu haben. Sein der Kammer nicht vorliegendes Hetz-Stück bezeichnete er dreist als einen „Versöhnungsversuch zwischen NS und Kommunismus“, es sei von der Gauleitung der NSDAP zudem als Kitsch abgelehnt worden.
Dass er 1933 große Hoffnungen ins Stück legte, zeigt ein Schreiben van de Weyers an das bayerische Kultusministerium, in dem er um eine Beurteilung des Stücks bittet. Auch an die Aschaffenburger Presse hat er sein Schauspiel offenbar geschickt. Eine weite Verbreitung fand das Schauspiel aber anscheinend nie. Entlastet wurde er bei der Spruchkammer von mehreren Personen. Demnach hat er ab Kriegsbeginn angeblich seine „antinazistische Einstellung offen gezeigt“, einen Wehrmachtssoldaten zur Sabotage aufgerufen und Hitler als Lump bezeichnet. Die Judenverfolgung sei ihm ein Gräuel gewesen. Doch wie kamen diese Aussage zustande?
Ein Polizist teilte 1948 mit, so ist der ebenfalls im Staatsarchiv verwahrten Personalakte des Forstmanns zu entnehmen, dass ihm „verschiedene Personen“ mitgeteilt haben, dass van de Weyer bei sich „Saufgelage“ veranstalte, bei denen das Hauptthema dessen Entnazifizierung gewesen sei.
Selbst erinnert sich der Polizist, dass van de Weyer – was verständlich ist – „eifrig bemüht war“, „Persil-Scheine“ zu sammeln. Das Sammeln von Entlastungszeugen spricht natürlich nicht dagegen, dass er sich womöglich tatsächlich vom Saulus zum Paulus gewandelt hat. Beim Einmarsch der Amerikaner beispielsweise soll er sich geweigert haben, Panzersperren zu errichten, bzw. soll veranlasst haben, dass Panzersperren wegkommen.
Kriegsfreiwilliger
Zu Kriegsbeginn war van de Weyer offenbar noch kein so großer Nazigegner. Als begeisterter Flieger meldete er sich laut Sohn Carl, geboren 1929 in Gemünden, als Kriegsfreiwilliger beim Geschwader Richthofen im Lager Lechfeld. Wegen des kriegswichtigen Forstdiensts galt er in Geiselbach jedoch als unabkömmlich. Wie reagiert ein Sohn auf die Aufdeckung der Nazivergangenheit seines Vaters? „Das ist üble Nachrede, was hier getrieben wird.“ Sein Vater sei gegen die Nazis und beliebt gewesen, auch bei den ihm unterstellten polnischen Zwangsarbeitern.
Zuschauer angeblich begeistert
Und „Deutschlands Erwachen“? In Hain, wo sein Vater von 1934 bis 1935 Förster war, seien die Menschen begeisterte Mitwirkende und Zuschauer gewesen, erinnert er sich. Der Inhalt ist ihm jedoch nicht mehr gut in Erinnerung. Dass ein Jude darin nach Dachau kommt, nennt er „weniger angenehm“. Und auf die Zugehörigkeit seines Vaters ab 1933 zur SA und NSDAP angesprochen, sagt er: „Die SA hat auch in Gemünden Gutes getan für die Menschen.“ In die NSDAP habe jeder Beamte eintreten müssen, um nicht arbeitslos zu werden.
Geiselbachs Bürgermeisterin, die van de Weyers Hetzstück inzwischen kennen dürfte, gibt sich auf Anfrage zugeknöpft. Die Ausstellung sei nicht mehr zu sehen. Mehr möchte sie zu der Sache am Telefon nicht sagen. Sie wünscht schroff ein gutes neues Jahr und legt auf.
Recherche, Ton und Spannung.