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GEMÜNDEN/GEISELBACH
Nazidichter wird mit Ausstellung geehrt
Von unserem Redaktionsmitglied Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 11.12.2019 15:24 Uhr

Das Bild von der Aufführung eines Stücks von einem E. v. d. Weyer in Gemünden, über das die Redaktion bei Recherchen zur Pogromnacht stolperte, ließ bereits Böses ahnen: Ein klischeehaft als Jude verkleideter Mann hält die Hand auf, der Mann daneben, offenbar ein Kommunist, droht zwei schneidigen SA-Leuten. Der Titel des Stücks: „Deutschlands Erwachen“.

Es soll um 1935 im ehemaligen Hotel „Deutscher Kaiser“ in der Bahnhofstraße aufgeführt worden sein. Das Stück erweist sich tatsächlich als widerwärtiges Nazi-Hetzschauspiel gegen Juden, dazu gegen Kommunisten, „Bonzen“ und „Gesindel“. Umso erstaunlicher erscheint da, dass die Gemeinde Geiselbach (Lkr. Aschaffenburg) dem Autor des Stücks ab Sonntag, 8. Dezember, eine Ausstellung widmet.

Der Autor lebte mindestens im Zeitraum von 1929 bis 1933 in Gemünden und war als Förster tätig. „Ed/Edy“ van de Weyer wurde 1901 in Utrecht/Holland geboren und starb 1969 in Schöllkrippen. Sein Stück „Deutschlands Erwachen“ wurde 1933 in Gemünden beim Verlag Hofmann verlegt. Das Werk findet sich auf der „Liste der auszusondernden Literatur“ der Sowjetzone. Der heutige Inhaber des Hofmann-Verlags, Jürgen Sommerer, weiß nichts von dem Stück, auch nicht, ob der Verlag noch ähnliche Werke verlegt hat. Aus der Zeit seien ihm keine Unterlagen bekannt, die Besitzer hätten zu oft gewechselt.

Das entdeckte Bild verspricht leider nicht zu wenig. Die Handlung: „Gute“, für Deutschland kämpfende SA-Leute, stehen kurz vor Hitlers Machtübernahme nicht nur „bösen“ Kommunisten, sondern auch einem klischeehaft jüdisch aussehenden, raffgierigen polnischen Viehhändler namens Orlowski, natürlich tatsächlich Jude, gegenüber. Der „Schädling des deutschen Volkes“ will einer Witwe, die ihren Mann im ersten Weltkrieg verlor und deren Sohn, ein SA-Kämpfer, eben von „Roten“ getötet wurde, eine Kuh, die sie nicht bezahlen kann, wieder wegnehmen. SA verhindert das.

„In Konzentrationslagern werden sie jetzt das Arbeiten lernen.“
Hetze gegen Kommunisten und Juden im Theaterstück

Ein strammer Förster hofft im Stück zusammen mit SA-Burschen, dass Deutschland bald „gereinigt“ ist von eben Juden und Kommunisten. „Aus Deutschland wär' ein Trümmerhaufen, ein Leichenfeld geworden“, wenn die Kommunisten gesiegt hätten, lässt van de Weyer eine Figur sagen. Das haben sie aber nicht. Nach der Machtergreifung des großen Hoffnungsträgers Hitler kommt der „böse“ Jude, der sich außer „Wucherei“ im Stück nichts zu Schulden kommen lässt, nach Dachau. „Wir werden uns die Burschen alle holen, die jahrelang das deutsche Volk belogen und betrogen haben“, sagt einer, ein anderer: „In Konzentrationslagern werden sie jetzt das Arbeiten lernen.“ Ganz üble Hetze also.

Kreisheimatpfleger Bruno Schneider findet im Archiv des Historischen Vereins noch ein weiteres Bild von der Aufführung: alle am Stück Beteiligten in Verkleidung auf der Bühne. Außerdem findet er Artikel und Anzeigen im Gemündener Anzeiger. Eine Hakenkreuz bewehrte Anzeige des Stücks wirbt um die Uraufführung am 10. September 1933 „zu Gunsten der NSDAP“ im „Bahnhofhotel“.

Ein Artikel beschreibt, die Aufführung sei „ein voller Erfolg“ gewesen. „Einige hundert Menschen wohnten der Aufführung bei. Die Regie von Herrn Gg. Endres, die musikalische Leitung von Herrn Antes sowie die Darsteller zeigten bestes Können und fanden ebenso wie der Autor, unser Heimatdichter v. d. Weyer, dem ein prächtiger Blumenkorb überreicht wurde, großen Beifall. ,Deutschlands Erwachen‘ ist ein Volksstück im wahren Sinn des Wortes und wird überall begeistert aufgenommen werden.“ Mindestens zwei weitere Aufführungen folgten in Gemünden.

„Über die Zeit und die Leute zu urteilen, wie sie sich zu der Zeit verhalten haben, wäre eine Anmaßung.“
Marianne Krohnen Bürgermeisterin in Geiselbach

Und nun soll dem „Forstmann und Künstler“ Edy van de Weyer, der „Gedichte, Heimatromane und Theaterstücke“ schrieb, dazu „Bilder mit Motiven aus dem Kahlgrund, dem Spessart und dem Alpenland malte“, die sich „sogar in Frankreich, der Schweiz und den USA finden“, im Rathaus von Geiselbach, wo er einst ebenfalls als Förster tätig war, eine offenbar ehrende Ausstellung mit 30 Bildern gewidmet werden. Kein Wort in der Ankündigung der Gemeinde und des örtlichen Geschichtsvereins, dass der Autor offenbar glühender Nazi war.

Wie steht man in Geiselbach zur Vergangenheit van de Weyers? Ist diese bekannt? Geiselbachs Bürgermeisterin Marianne Krohnen, zugleich stellvertretende Vorsitzende des Geschichtsvereins sagt, sie habe schon etwas über die dunkle Vergangenheit des Autors und Malers gehört, aber ihr Mann wisse mehr. Bevor Sie den ans Telefon holt, sagt sie noch: „Über die Zeit und die Leute zu urteilen, wie sie sich zu der Zeit verhalten haben, wäre eine Anmaßung.“

Ihr Mann Gunter Krohnen, ehemals Geschäftsstellenleiter der Verwaltungsgemeinschaft Kreuzwertheim, sagt: „Das Thema ist mit dabei.“ Er habe sich van de Weyers Spruchkammerakte aus dem Staatsarchiv besorgt, wo dieser aber lediglich als „Mitläufer“ eingestuft sei. Das Stück „Deutschlands Erwachen“ sei ihm, obgleich nur dem Titel nach, bekannt. Er wisse, dass es noch in Hain, wo van de Weyer später als Förster arbeitete, aufgeführt wurde.

Weitere Stücke im Sinne der Nazis seien ihm nicht bekannt, andere ihm bekannte seien harmlos. Im Krieg sei van de Weyer ein „absoluter Gegner“ des Hitlerregimes geworden, das hätten einige Menschen geäußert. Dann sagt Krohnen aber auch: „Die Zeit war, wie sie war“, man solle sich nicht zum Richter über die Leute damals machen.

Eduard van de Weyer

Im Heimatjahrbuch „Unser Kahlgrund“ von 1990 steht ein wenig über das Leben Eduard van de Weyers. Der Forstverwalter, Kunstmaler und Schriftsteller sei „über die Heimatgrenzen hinaus bekannt“. Geboren am 15. März 1901 im holländischen Utrecht, zog er als Kind mit seinen Eltern nach München. Nach dem Gymnasium wurde er Förster, unter anderem in Traunstein, Dombühl, bis etwa 1934 in Gemünden, dann Hain im Spessart, ab 1935 in Aschaffenburg/Nord und ab 1943 Geiselbach. Nach seiner, „aus gesundheitlichen Gründen“, vorzeitigen Pensionierung zog er mit Familie nach Schöllkrippen, wo er am 19. Dezember 1969 starb.

Schon als Jugendlicher habe er Gedichte, Theaterstücke und Novellen geschrieben, in den 1960er Jahren dann Heimatromane wie „Die Anna vom Kahlgrund“, „Der Jäger vom Spessart“ oder „Die Sennerin vom Wilden Kaiser“.

Auch im Jahrbuch findet sich kein Wort darüber, dass van de Weyer SA-Mann war und mindestens ein Nazi-Hetzstück geschrieben hat.

Zu Gunsten der NSDAP: Aus dem Gemündener Anzeiger.
Foto: Hist. Verein | Zu Gunsten der NSDAP: Aus dem Gemündener Anzeiger.
Autor van de Weyer: Ein Bild vom 27. Mai 1920.
Foto: Repro: Weyer | Autor van de Weyer: Ein Bild vom 27. Mai 1920.
 
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Kommentare
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  • Und da hat der noch ein Hetzstück geschrieben und es wurde aufgeführt. Wofür also eine Ausstellung? Für die "Heimatliebe"? Manchen raffen es nie....weil sie nicht wollen!
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  • was den Grünen noch alles einfällt....... traurig

    http://www.sueddeutsche.de/muenchen/verhuellung-des-truemmerfrauen-denkmals-drohanrufe-bei-den-gruenen-1.1839870
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  • Groschi
    hin zu Esperanto vielleicht? zwinkern
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  • andreas.brauns@auge.de
    ... hat mit Intelligenz zu tun.
    Und die Grünen haben nun wirklich nicht die Ausstellung über den Nazi angeregt.
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  • rebnik
    ...finden sie die Aktion der Grünen Katharina Schulze und Sepp Dürr unmöglich? Oder das, worum es sich dabei eigentlich dreht? Um einen Gedenkstein für die Münchner Ramadama-Generation, vorgeblich die fleissigen Trümmerfrauen, in Wirklichkeit
    Zitat von Süddeutsche Zeitung, Link siehe red faction !
    vor allem Männer mit NS-Vergangenheit als Sühneleistung
    ? Frau Schulze und Herr Dürr fanden das unmöglich und und haben diesen Gedenkstein mit braunem Tuch verhüllt. Jetzt werden sie beschimpft, beleidigt, mit Morddrohungen verfolgt.

    Zur Sache mit Eduard van de Weyer: man sollte klar und deutlich darstellen, das dieses volksverhetzerische Theaterstück ein Werk dieses Mannes ist und es muss natürlich zum öffentlichen Diskurs gebracht werden, ob in Geiselbach eine geschichtsklitternde "liebe, schöne Heimat" - Ausstellung stattfindet.

    Es ist vollkommen richtig und wichtig, dass die MAINPOST sich mit diesem Fall eingehend beschäftigt, DANKE!!! grinsen
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