
Die Idee entstand, wie könnte es anders sein, am Dorfplatz: „Schade, dass wir nicht mehr öfter hier sitzen und uns treffen“, war die einhellige Meinung der kleinen Gruppe junger Leute aus Billingshausen. Der Platz, an dem sternförmig die vier Straßen kommend aus dem Unterdorf, Oberdorf, Hinterdorf und Äußerdorf aufeinandertreffen, war schon immer beliebter Treffpunkt für Jung und Alt. Hier kommt zwangsläufig jeder einmal vorbei. Ob zu Fuß oder mit dem Auto. Und nicht selten endet der kurze Stopp an der Kreuzung dann im Gespräch. Fenster auf: Plausch!
Mehr als die Hälfte aller Billinghausener sind dabei
Und doch sind die Bänke, die hier im Sommer stehen, nicht mehr so voll besetzt, wie früher. Und auch die Jugendlichen treffen sich lieber daheim oder digital. Das ist heute so und war es anscheinend auch schon vor zehn Jahren. Um das zu ändern, gründete im Juli 2013 eine Handvoll junger Leute die WhatsApp-Gruppe „Dorfplatz“.
„Wir haben ganz gemischt Leute aus Billingshausen gesucht, um uns zu treffen“, erzählt Martina Meyer. Die 33-Jährige ist Gründungsmitglied der Gruppe, wohnt mittlerweile in Berlin. Über die Ostertage ist sie in der Heimat und hat weitere Gründer und langjährige Gruppenmitglieder zusammengetrommelt, um über die „Dorfplatz-Gruppe“ zu erzählen, die in diesem Jahr ihr Zehnjähriges feiert. Mit dabei sind die Schwestern Annalena (27) und Selina Hüsam (26), die mittlerweile in München und Stuttgart leben. Direkt aus Billingshausen dazu gestoßen sind Marina Woy (39) und Manuel Schätzlein (39).
268 Mitglieder hat die Gruppe aktuell. Damit sind mehr als die Hälfte aller Bürger des rund 500 Einwohner starken Ortsteil von Birkenfeld mit dabei. So richtig groß geworden sei die Gruppe dabei erst in den vergangenen Jahren. „Umso mehr Menschen drin sind, umso mehr ziehen sie auch nach“, vermutet Manuel Schätzlein. Fakt ist, die anfangs als Verabredungshilfe gegründete Gruppe ist mittlerweile zu einer Dorf-Info-Gruppe geworden. Waren zu Beginn vermehrt junge Leute drin, rückten nach und nach auch deren Eltern rein. Mittlerweile tummelt sich dort alles zwischen 14 und 70 Jahren.
Organisation von Fahrgemeinschaften über die Dorfplatz-Gruppe ist ein echtes Plus
Selbst Bürgermeister Achim Müller ist Mitglied. „Obwohl er Birkenfelder ist!“, wie die Gründungsgruppe scherzhaft betont. Allerdings nutze er die Gruppe rein zu Informationszwecken, zum Beispiel als bei einem Wasserrohrbruch die Stellen gesucht wurden, die undicht sein könnten. Außerdem hat er sich ein Beispiel genommen und mittlerweile einen eigenen WhatsApp-Info-Kanal, nur für Bürgermeisterangelegenheiten, installiert. Und auch die Birkenfelder haben nachgezogen und diverse Gruppen wie zum Beispiel den "Dorfplatzfunk-Kanal 97834" auf Instagram oder einen Onlineshop von und für Birkenfeld, Billingshausen und Umgebung auf die Beine gestellt.

Als echter Pluspunkt für Billingshausen hat sich die Organisation von Fahrgemeinschaften über die Dorfplatz-Gruppe herausgestellt. „Wer hier raus will, braucht meist ein Auto“, so Selina Hüsam. Vor allem Schüler, Azubis oder ältere Menschen profitierten. Meist wird der Aufschlag zur Fahrer- oder Mitfahrersuche in die Gruppe gestellt. Ist der gefunden, wird für alle weiteren Regelungen privat weitergechattet.
Ebenfalls gut läuft der „Ich suche oder biete“-Bereich der Gruppe. Hier findet sich alles: Angefangen von drei Eimern Sand, die gesucht werden bis zu drei Becher Sahne, die noch zu vergeben sind, bevor sie ablaufen. Dabei wird verschenkt oder verkauft. „Das Schöne ist, dass man zu den meisten Leuten ja auch einen persönlichen Kontakt hat“, erzählt Marina Woy. „Sprich, ich weiß aus welchem Haus das Sofa kommt, dass ich übernehme. Hab vielleicht sogar schon mal als Besucherin drauf gesessen.“ Ebenfalls höchst nützlich: Der Bereich "Schnelle-Hilfe", vor allem sonn- und feiertags. Wer leiht mir einen Mixer? Wer eine Bohrmaschine? Wer hat noch eine Rolle Klopapier?
Bisher läuft es auch ohne Chat-Regeln gut
Chat-Regeln gibt es bisher nicht. Denn es läuft erstaunlich gut und alle behandeln sich gegenseitig respektvoll. „Man könnte sich ja auch öffentlich beschimpfen“, so Martina Meyer. Klar ist aber auch, dass man sich in dem kleinen Ort immer wieder über den Weg läuft. Obwohl nicht alle Mitglieder mit echtem Namen und Bild in der Gruppe sind, weiß man meist, mit wem man es zu tun hat. „Manchmal muss man aber auch einfach fragen: Wer bist du eigentlich?“, erzählt Manuel Schätzlein.
Klar sei, dass nicht alle 268-Mitglieder an Weihnachten, Ostern und Neujahr ihre frohen Wünsche in die Gruppe posteten. Aber natürlich gebe es auch immer die, die ihre Meinung dominanter kundtäten und die, die dagegenhielten. „Das ist dann mal ein Schlagabtausch für eine Stunde und dann ist es durch“, erzählt Annalena Hüsam. Vor allem das Thema „Blitzer“ spalte die Gemüter. So gibt es die, die ihre Mitbürger vor teuren Bildern warnen wollen. Und die, die sagen: Wer rast muss zahlen, egal ob er aus dem Ort ist oder nicht. Schön sei, dass auch alle Neu-Zugezogenen sofort in die Gruppe aufgenommen würden. „Das finden die meisten spitze und stellen sich gleich vor“, erzählt Selina Hüsam.
Stoff für Aufreger-Themen bieten plötzliche Internetstörungen, fälschlich entsorgte Hundekot-Beutel oder derzeit die Baustelle durch die Ortsmitte. An dem Tag, an dem es los ging, rasselte ein Straßensperrungsbild nach dem anderen rein. Abgelöst von Fotos oder Videos von illegal einen Feldweg herunterfahrenden Autos. Wie echte Nachbarschaftshilfe aussehen kann, zeigte sich an dem Tag, an dem beim Spätfrost die Notwasserleitung gefror und kein Wasser in etlichen Haushalten floss. Schnell organisierte das Dorf über WhatsApp, wer wo zum Duschen, Waschen oder Spülen kommen kann.
Dorfplatz-Gruppe bietet auch einfach gute Unterhaltung
„Die Gruppe bietet aber auch einfach gute Unterhaltung“, erzählt Selina Hüsam. Auch wenn man nicht mehr in der Region wohne, so wie sie. So zum Beispiel die Geschichte von der Katze, die Dorfberühmtheit erlangte, weil sie immer so laut miaute. "Die Katze wurde oft bemitleidet und alle machten sich Sorgen, ob sie jemandem gehört", erzählt Martina Meyer. Als die Katze von einer nicht ortsansässigen Frau, scheinbar aus Mitleid, mitgenommen wurde, wurden auch sachdienliche Hinweise zur Entführung über die Gruppe geteilt, so dass sie schließlich wieder fit und gesund beim Besitzer landete.
"Für alle, die weggezogen sind, ist es einfach schön, so ein wenig dabei zu bleiben“, bestätigt auch Annalena Hüsam. Und rechtzeitig zum nächsten Fest – das natürlich auch in der Gruppe entsprechend angekündigt und beworben wird – seinen Besuch in der Heimat zu planen. Wenn dann bei so einem Besuch auch noch ein reales Treffen am Dorfplatz rausspringt – umso schöner.