
Mitte des 19. Jahrhunderts hielt, wie mehrfach berichtet, die Familie Wehner Obersinn und die ganze Gegend mit ihren Gaunereien in Atem. Es fing an mit vergifteten Schweinen im Herbst 1854 und erreichte seinen Höhepunkt mit einem gemeinsamen Einsatz bayerischer und hessischer Polizisten im August 1860 gegen Kaspar Wehner, der mit weiteren Familienmitgliedern eine Räuberbande begründet hatte und in einer Hütte aus Grassoden und Steinen festgenommen wurde.
Vor 150 Jahren, am 2. Dezember 1868, gab es am Würzburger Schwurgericht wieder einmal einen Prozess gegen einen Wehner: Anton Wehner, 23 Jahre alt, lediger Schuhmachergeselle und Bruder von Kaspar Wehner. Der Prozess war insofern interessant, weil im Bericht darüber im Würzburger Stadt- und Landboten auch zur Sprache kommt, wie es mit mehreren Verwandten weiterging.
Mehrfach vorbestraft von verschiedenen Gerichten
Anton Wehner war seit 1860, meist wegen Diebstahls, mehrfach vorbestraft – vom Condominatsgericht Mittelsinn ebenso wie vom Criminalgericht Hanau, vom Landgericht Gemünden, vom Appellationsgericht von Unterfranken und vom Bezirksgericht Lohr. Er war schon im Zwangsarbeitshaus und im Gefängnis, einmal war er auch ausgebrochen. Fünf Tage Arrest brachte ihm 1867 „Ungehorsam gegen das Heerergänzungsgesetz“ ein. Nun wurden ihm folgende Taten zur Last gelegt.
Er soll, als er als reisender Besenhändler unterwegs war, nachts in Rieden (heute Lkr. Würzburg) durch ein Fenster in ein Schulhaus eingestiegen sein und 33 Ellen mit Baumwolle durchwebte Leinwand im Wert von 19 Gulden gestohlen haben. Später habe er das Tuch billig zum Kauf angeboten.
Diebstähle in Obersinn und Ruppertshütten
Außerdem soll er im Wohnhaus der Witwe Margaretha/Magdalena Rösch in Obersinn, wo er über Nacht blieb, aus einer Truhe verschiedene Wertgegenstände und ein „Armeedenkzeichen“ von Johann Rösch, das an den Feldzug 1866 erinnert, habe mitgehen lassen. Wehners Bruder Adam hatte ein Liebesverhältnis mit ihrer Tochter Eva. Nach Entdeckung des Diebstahls trat Anton Wehner mit einem Sprung durchs Fenster die Flucht an. Eine Elisabetha Betz konnte ihn einholen und ihm noch ein Handtuch entwenden, das er in die Hose gesteckt hatte.
Ein paar Tage später soll er beim Bauern Franz Buchberger in Ruppertshütten unter anderem neun Riemen Schweinefleisch entwendet haben. Einige der dort entwendeten Gegenstände fanden sich bei seiner Freundin Barbara Kraft in Obersinn.
Vater und Mutter im Zuchthaus gestorben
Sein Vater und seine Mutter waren zum Zeitpunkt des Prozesses bereits tot: gestorben im Zuchthaus. Seine drei Brüder Kaspar (wohl aufgrund einer Verurteilung wegen Wilderei im März 1867), Adam und Philipp Wehner saßen damals in der Strafanstalt Ebrach längere Gefängnisstrafen ab. Anton Wehner selbst, hieß es vor Gericht, stehe seit Längerem „im übelsten Rufe“, gelte „als einer der gefährlichsten Gauner“.
Vor dem Prozess hatte Anton Wehner sechsmal versucht aus der Fronfeste in Lohr auszubrechen. Im Juli 1868 brach er dafür den Fußboden zur darunter liegenden Zelle durch und wollte den Ofen einreißen, um durch das entstehende Loch zu entkommen. Allerdings machte der beim Einreißen des Ofens entstehende Staub den Gefängniswärter auf die Sache aufmerksam und Wehners Plan misslang. Das sollte sein letzter Streich werden.
Wie es mit Anton Wehner endete
Vor Gericht leugnete der Angeklagte die Taten. „Alle Obersinner stehlen und schieben dann die Schuld auf den Anton Wehner“, behauptete er. Das nahm ihm das Gericht jedoch nicht ab und verurteilte ihn zu elf Jahren Zuchthaus mit anschließender Polizeiaufsicht. Wie es mit ihm endete, steht in den Obersinner Matrikelbüchern: Anton Wehner starb 1875 auf der Kulmbacher Plassenburg, damals ein Zuchthaus. Als Todesursache ist Lungentuberkulose angegeben.
In seinen Aufzeichnungen schrieb der ehemalige Obersinner Pfarrer Sebastian Wolf, von 1853 bis 1878 in Obersinn, dass bis in die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts in Obersinn niemand vor Diebstählen der Familie Wehner sicher gewesen sei. „Es bildeten sich früher wirkliche, organisierte Räuberbanden, die ,Wehner‘ (gemeinhin ,Preußen‘)“, schrieb Wolf, „die von hier aus ihre Züge weit in das Land hinein machten.“ Auch was aus ihnen wurde, weiß er: „Die meisten von ihnen starben im Zuchthaus.“