
Drei Jahre ist es her, dass das Ahrtal (Landkreis Ahrweiler) in Rheinland-Pfalz von einer Sturzflut historischen Ausmaßes überschwemmt wurde. Über 134 Menschen verloren ihr Leben, 750 wurden verletzt. Mittendrin: 54 Einsatzkräfte des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) aus Main-Spessart. Für ihren mutigen Einsatz wurden sie am Montag im Karlstadter Lehrsaal des Roten Kreuzes geehrt.
Michael Behringer verabschiedete damals als Bezirksbereitschaftsleiter vom Sammelplatz in Aschaffenburg aus die bayerischen Kontingente ins Ahrtal. "Der Wasserrettungszug aus Unterfranken war der erste vor Ort", erinnert er sich. Behringer stellt heraus, dass die Rettungskräfte mit tragischen Schicksalen konfrontiert wurden. "Da keinen Schaden zu nehmen, ist herausragend", sagt er.

Die Landrätin und Kreisvorsitzendes des Bayerischen Roten Kreuzes, Sabine Sitter, sprach vor der Vergabe der Urkunden und Verdienstmedaillen ebenfalls die psychische Belastung an, mit der alle im Raum während und auch nach den Einsätzen zu kämpfen hatten. Man habe den Gesichtern damals angesehen, dass sie Zeit gebraucht hätten, das Ganze zu verarbeiten. "Aber das ist alles ihrem Einsatz geschuldet, Menschen helfen zu wollen", merkt sie an.
Sechs Einsatzkräfte aus Main-Spessart waren bereit, dieser Redaktion nach der Ehrung von ihren Erfahrungen im Ahrtal-Einsatz zu berichten. Wir haben sie gefragt, wie sie die Zeit erlebt und, wie sie das Erlebte verarbeitet haben. Die Erzählungen machen deutlich, wie belastend die Einsatztage sowohl vor Ort als auch im Nachgang waren.
1. Michael Metzger: "Du wusstest gar nicht, wo du anfangen sollst"

"Ich war zweimal dort, einmal zur Psychosozialen Notfallversorgung (PSNV) und einmal als Sanitäter. Das erste Mal war hammerhart. Wir waren auch in dem Behindertenheim, in dem zwölf Menschen ums Leben gekommen sind. Das wurde gerade von der Staatsanwaltschaft freigegeben. Wir haben dann ausgeräumt und den Schlamm entfernt, das war nicht ohne. Ansonsten war es mit der Kommunikation schwer, da man gar nicht wusste, wie man die Leute ansprechen soll. Eine Schnittwunde zu versorgen, ist ja noch das Einfachste, aber wenn du gar nicht weiß, wo du anfangen sollst, bekommst du im Zweifel einfach eine Schaufel oder einen Besen in die Hand gedrückt."
2. Sabine Spanier: "Oft mussten wir uns andere Wege bahnen"

"Ich war mit dem ersten Schwung vor Ort. Wir mussten erst noch warten, bis wir überhaupt in den Einsatz konnten. Am Anfang stand noch viel Organisation an. Da viele Wege noch nicht frei waren, mussten wir gucken, wie wir dahin kommen, wo wir hinmüssen. Oft mussten wir zurück und uns andere Wege bahnen. Es herrschte großes Chaos und am Anfang war es für viele der Betroffenen am wichtigsten, jemanden zum Reden zu haben. Wir konnten den folgenden Kontingenten dann aber Informationen mitgeben, die wir zu Beginn noch nicht hatten.
Ich war letztes Jahr nochmal dort und finde es schlimm, dass sich fast nichts getan hat. Es gibt immer noch keine Straßenbeleuchtung oder neue Brücken. In einem der Häuser ist noch gar nichts passiert. Da war immer noch der Dreck drin und man konnte die Stände des Wassers sehen, die damals angeschrieben wurden."
3. Ingo Roske: "Als wir kamen, sind viele in Tränen ausgebrochen"

"Bei mir waren es auch zwei Einsätze, einmal mit dem ersten, einmal mit dem dritten Kontingent. Beim ersten Mal erlebte ich das pure Chaos, wobei ich sagen muss, dass die Leute, die sich bis dahin alleine helfen mussten, schon viel geleistet haben. Als wir kamen, sind viele in Tränen ausgebrochen. Mein Handy ist heißgelaufen, da es für einige der einzige Kontakt nach außen war.
Etwa eine Woche später hat man dann gesehen, dass schon viel erreicht und geschafft wurde. Es gab aber auch viele Schicksale, die einen auch heute noch mitnehmen und, wo man die Bilder nicht vergisst. Ich konnte nach gut einer Woche wieder gut schlafen. Wenn man mit Kameraden reden wollte, hat man sich auch mal nachts um drei getroffen. Auffällig war, dass die Corona-Pandemie vor Ort den Umständen entsprechend überhaupt keine Rolle mehr gespielt hat.
4. Ronja App: "Die geschockten Gesichter zu sehen, war ungewohnt"

"Ich war einmal mit dem Kontingent im Einsatz und dann nochmal drei Wochen für den 'Verpflegungsplatz 10.000' vor Ort. Wir haben täglich Essen für die Betroffenen zubereitet und in die Verpflegungsstellen gebracht. Die Leute haben sich sehr gefreut, sie waren fertig von der körperlichen Arbeit.
Es war ungewohnt, im Einsatz in die geschockten Gesichter der Kollegen zu gucken und zu sehen, wie es sie mitgenommen hat. Ein Bild, das sich in meinem Hirn eingebrannt hat, ist ein kleines Kinderbettchen, das in der Luft hing, nachdem das Haus zur Hälfte weggeschwemmt wurde, daran hingen zwei Kinderschühchen, ein pinkes und ein blaues.
Gespräche mit Freunden, Familie und Kameraden haben aber gutgetan. Der Zusammenhalt aller Einsatzkräfte aus den verschiedenen Regionen war auch enorm, man hat immer jemanden zum Reden gefunden."
5. Alexander Wicha: "Die ersten zwei, drei Nächte waren die Gedanken permanent"

"Ich habe im Nachgang noch lange über den Einsatz nachgedacht. Durch Gespräche mit Kollegen oder Familienmitglieder konnte man es recht gut verarbeiten. Eine Woche danach habe ich mir noch Gedanken gemacht, dann war es wieder in Ordnung. Akut sind es die ersten zwei, drei Nächte, in denen die Gedanken permanent sind, aber an die Bilder erinnert man sich jedes Mal, wenn das Thema aufkommt. Auch, als ich jetzt beim Hochwasser in Günzburg im Einsatz war, habe ich wieder an das Ahrtal denken müssen."
6. Fabian Back: "Motiviert hat mich die Dankbarkeit der Menschen"

"Ich war zweimal jeweils vier Tage im Ahrtal im Einsatz. Ich habe mir schon so zwei, drei Wochen danach noch Gedanken gemacht. Die drehten sich weniger um das, was ich gesehen habe, sondern mehr um die Menschen vor Ort und wie es den Betroffenen in der Situation geht. Mit Kameraden vom Roten Kreuz habe ich darüber gesprochen, wir sind ja auch wie eine Familie. Meine größte Motivation, weiterzumachen und zu helfen, war die Dankbarkeit der Menschen vor Ort."