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Aschaffenburg
Bundesweit einzigartig: Unterfränkisches Krankenhaus schafft auf der chirurgischen Station die Hierarchien ab
Um die Zufriedenheit von Pflegekräften und Ärzten zu verbessern, geht das Klinikum Aschaffenburg einen neuen Weg. Was für Mitarbeitende dort jetzt möglich ist..
Das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau: In der Chirurgie geht man dort jetzt radikale Wege mit einem einzigartigen Konzept für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ärzteschaft und Pflege. 
Foto: Pascal Höfig (Archivbild) | Das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau: In der Chirurgie geht man dort jetzt radikale Wege mit einem einzigartigen Konzept für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ärzteschaft und Pflege. 
Martin Schwarzkopf
 |  aktualisiert: 09.02.2024 18:07 Uhr

Das Klinikum Aschaffenburg-Alzenau geht neue und bundesweit einzigartige Wege, um dem Pflegenotstand ganz praktisch zu begegnen: In den kommenden Monaten wird eine chirurgische Station "gänzlich neu strukturiert und organisiert". Die Ziele: mehr Arbeitszufriedenheit bei Pflegekräften und Ärzten, mehr Zeit für die Kernaufgaben – und damit am Ende eine bessere Behandlung im umfassenden Wortsinn für alle Patientinnen und Patienten.

Prof. Dr. Hubertus Schmitz-Winnenthal, Chefarzt der Allgemeinchirurgie und Initiator des in dieser Form deutschlandweit einmaligen Pilotprojektes, ist sicher: "Es besteht kein Zweifel daran, dass sich etwas ändern muss, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein."

Idee: Im Arbeitsalltag der Klinik konsequent auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden eingehen

Der Fokus des Projekts liegt nach Angaben des Klinikums auf der interdisziplinären Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe, auf untereinander optimal abgestimmten Tagesabläufen und auf dem Abbau von Hierarchien. Das Ziel seien Strukturen, die konsequenter als bislang üblich auf die Bedürfnisse der Mitarbeitenden ausgelegt seien.

Das Außergewöhnliche an dem Ansatz: Die Arbeitsstrukturen sollen von den Mitarbeitenden selbst entwickelt und kontinuierlich angepasst werden, wie es aus dem Klinikum heißt. Nichts werde von oben herab oder gar von externen Beratern diktiert. Die Selbstbestimmung und Eigenverantwortung der Mitarbeitenden seien die wichtigsten Säulen des Konzepts, sagt Schmitz-Winnenthal.

Die Modellstation soll bereits 2023 den Betrieb aufnehmen

Ebenso einzigartig sei die gemeinsame Vorbereitung aller unmittelbar Beteiligten vor dem Projektstart: In einer Basisausbildung in selbstorganisiertem Arbeiten geht es um Themen wie hierarchiefreie Kommunikation, Entscheidungsfindung und Konfliktlösung. Der Zeitplan ist ehrgeizig, heißt es aus der größten Klinik im Mainviereck: "Ab Januar 2023 wird die Modellstation dann ihre Arbeit mit neuem Konzept im täglichen Regelbetrieb der Klinik aufnehmen."

'Es besteht kein Zweifel daran, dass sich etwas ändern muss, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein': Prof. Dr. Hubertus Schmitz-Winnenthal, Chefarzt der Allgemeinchirurgie am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau und Initiator des deutschlandweit einmaligen Pilotprojektes.
Foto: Main-Echo/Stefan Gregor | "Es besteht kein Zweifel daran, dass sich etwas ändern muss, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein": Prof. Dr. Hubertus Schmitz-Winnenthal, Chefarzt der Allgemeinchirurgie am Klinikum Aschaffenburg-Alzenau und ...

"Wir wünschen uns Mitarbeiter für dieses Projekt, die echte Pioniere sind und etwas verändern wollen. Sie müssen bereit sein, Verantwortung zu übernehmen", sagt Schmitz-Winnenthal mit Blick auf die anstehende Personalauswahl. Der Chefarzt hofft, möglichst viele Bewerber zu finden, die eine komplett neue Arbeitsorganisation entwickeln und ausprobieren wollen.

Leiter der Chirurgie nennt Vorbild aus den Niederlanden

Schmitz-Winnenthal ist vom Sinn der angestrebten Veränderungen fest überzeugt. Schließlich gebe es international bekannte Beispiele, die belegten, dass grundlegende Strukturänderungen und selbstbestimmtes Arbeiten zu mehr Zufriedenheit bei Mitarbeitenden und den Patienten führe. Konkret nennt der Chefarzt das erfolgreiche Pflegekonzept "Burtzoorg" aus den Niederlanden, das weitgehend hierarchiefrei arbeite und auf die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden setze.

Der Chirurg freut sich, dass die Geschäftsführung der Klinik die notwendigen Ressourcen für dieses Projekt zur Verfügung stellt. Klinikgeschäftsführer Sebastian Lehotzki sagt zu der Initiative nach Angaben des Klinikums: "In der aktuellen Situation ist kein Handeln ein Rückschritt."

Arbeitsroutinen müssten komplett neu gedacht werden

Schmitz-Winnenthal beschäftigt sich seit langem mit New-Work-Ideen und der Möglichkeit, Strukturen im Gesundheitswesen an den Beschäftigten und ihren primären Aufgaben – dem Wohl der Patienten – zu orientieren. Die klassische Rollenverteilung zwischen Pflege und Ärzteschaft habe ausgedient, ist er sicher, Arbeitsroutinen müssten komplett neu gedacht werden. Der Chefarzt und seine Mitstreiter aus Pflege und Ärzteschaft sehen in Selbstorganisation und Eigenverantwortung die Chance, Fachkräfte zu halten und zurückzugewinnen.

"Wir versuchen, das Gesundheitssystem konkret und von innen heraus zu verändern", sagt Schmitz-Winnenthal zum Aschaffenburger Weg. "Der Patient muss wieder im Mittelpunkt stehen. Die Mitarbeiter bekommen wieder die Möglichkeit, das zu machen, wofür sie den Beruf eigentlich ergriffen haben: um kranken Menschen zu helfen."

Veröffentlichung des Artikels mit freundlicher Genehmigung des Main-Echo, Aschaffenburg

 
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  • K. H.
    Nach aller Erfahrung wird das Projekt in dem Moment zu Ende gehen wenn absehbar wird, dass das Ganze auch etwas kostet, sprich: Wenn nach eingehender Diskussion, Kommunikation und Neuorganisation der Prozesse die Erkenntnis geäußert wird, dass man einfach mehr qualifiziertes und fair bezahltes Personal braucht, um einen für alle Beteiligten menschenwürdigen Klinikbetrieb auf die Beine zu stellen.
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  • T. W.
    Guter Ansatz und Anfang. Es kann so einfach nicht weitergehen!!! Weiter so!
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Müssen die Mitarbeiter dann selbsttätig die von der Verwaltung geschaffene und forcierte "Personalnot" verwalten?

    Nichts desto trotz, viel Erfolg Dr. Schmitz-Winnenthal! Auf dass erfolgreich neue Wege beschritten werden können.
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  • H. M.
    Ich denke das ist ein vielversprechender Versuch. Der Satz "Nichts werde von oben herab oder gar von externen Beratern diktiert." freut mich sehr. Insbesondere externe Berater kosten unfassbar viel Geld, haben von der wirklich zu leistenden Arbeit kaum eine Ahnung und entscheiden über die Köpfe der Mitarbeiter hinweg. Das trifft in allen Bereichen zu auch im öffentlichen Dienst. Die Ergebnisse dieser externen Berater werden auf "Teufel komm raus" umgesetzt, ohne die Mitarbeiter einzubeziehen. Ich glaube, jeder der mit solchen "Experten" schon mal zu tun hatte, wird mir zustimmen. Die MP-Redaktion möge bitte am Pilotprojekt des Klinikums Aschaffenburg-Alzenau dranbleiben und zu gegebener Zeit erneut berichten.
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  • I. R.
    @giacomo: nein, das ist mir zu polemisch! Ich stimme Ihnen nicht zu, und ich habe auf allen Ebenen bis ganz oben immer wieder mit verschiedenen Beratern zusammengearbeitet, mal Aufgaben ausgelagert, mal auf Weisung von "oben", in den letzten 10 J. selbst. Probleme liegen zu mehr als 60 % beim Auftraggeber: entweder Einsparungen durchdrücken, Erwartungen der Kapitalgeber erfüllen usw., manchmal nur, unbequeme Botschaften verkünden. Häufig noch, die "Mitarbeiter nicht von der Arbeit abhalten" etc., soviel zu "einbinden". Oder die falschen Berater beauftragt. Und klar: wenn dann der Preis noch heruntergehandelt wird, dann kommt eben der "Nachwuchs" der Beraterfirma als Vorhut. Das führt dann ggf. zu schlimmen Folgen. Im KH-Fall oben denke ich, dass mind. ein in solchen Veränderungsprozessen erfahrener Berater dabei sein sollten, neutraler Blick, 4-Augen-Prinzip, weitere Erfahrungen einbringen. Sonst führt das bei dem Bereich zu "Lernen aus Erfahrung" und das kann teuer werden.
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  • P. S.
    Sehr guter Kommentar von giacomo. Dessen Urteil über externe Berater, deren Kosten und die Umsetzung von deren Vorschlägen stimme ich vollumfänglich zu!!!
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  • U. L.
    Das Problem sind nicht die Hierarchien, sondern der Mangel an Anstand und Respekt im Umgang mit dem Anderen.
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  • M. K.
    Auch das lässt sich durch diese Struktur vielleicht ändern!
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Wenn die Pflegekrise überwunden werden soll, daef es nicht bei Modellprojekten bleiben, sondern dieses Konzept sollte schleunigst breitflächig umgesetzt werden, denn dass es funktioniert, wurde ja anderswo bereits festgestellt.
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  • W. S.
    Ob das in unserem Land funktioniert mag ich zu bezweifeln. Vielleicht berichtet die MP in einem Jahr erneut über das Projekt,
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  • I. R.
    Aus langer Erfahrung in Organisation/Prozessmanagement in anderen Branchen und Begutachtungen ist es in D schwierig, Zuständigkeitsdenken durch Eigenverantwortung zu ersetzen. Noch schwieriger jedoch, zu verstehen, dass es trotzdem Ziele und Spielregeln von „oben“ geben muss, damit nicht nur alle an einem Strang, sondern in die gleiche Richtung ziehen. Mehr Selbständigkeit ist gut, doch dann muss vorher nachgewiesen sein, dass "oben" und "unten" die Spielregeln kennen, ALLE daran halten und bei ALLEN Neuzugängen vor dem Einsatz sichergestellt ist, dass das System geschult wird. Nichts mit "jetzt keine Zeit"! Habe im eigenen Bereich oft erlebt, dass wenn neue Mitarbeiter aus anderen Betrieben kommen, plötzlich ohne die Situation ausreichend zu kennen, neue Vorgehensweisen, häufig sogar veraltete, einziehen. Die man aus gutem Grund hier anders macht, und bei denen man die Hände über dem Kopf zusammenschlägt. Kundenorientierung sollte überall vorn sein, doch in KHs evtl. gefährlich.
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