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Lohr
Brocken auf fahrendes Cabrio geworfen: Wie kann es sein, dass ein Patient aus der Forensik entlassen wurde?
Der Steinwerfer war aus dem Bezirkskrankenhaus in Lohr entlassen worden und muss nun dorthin zurück. Das Ehepaar, das der Stein fast getroffen hätte, ist schockiert von der Begegnung.
Wegen verschiedener Vorfälle muss ein 34-Jähriger wieder in die Forensik.
Foto: Roland Pleier | Wegen verschiedener Vorfälle muss ein 34-Jähriger wieder in die Forensik.
Roland Pleier
 |  aktualisiert: 09.02.2024 02:44 Uhr

"Der Mann muss eingesperrt werden." Robert und Rosa (Namen von der Redaktion geändert) sind sich einig. Zu heftig war das, was sie bereits Anfang Juli erlebt haben. Etwa faustgroß war der Brocken, den ein 34-jähriger Mann an jenem Sonntagnachmittag aus vier Metern Höhe gezielt auf ihr fahrendes Cabriolet geschleudert hatte.

Der Mauerstein mit Zementresten hätte auch einen von ihnen treffen können. Für sie war es ganz klar versuchter Totschlag. Der Mann sei eine Gefahr für die Umwelt. Doch jemanden wegsperren, wie es sich der Laie vielleicht vorstellt, ist keineswegs so einfach. Dies macht die Recherche dieser Redaktion exemplarisch deutlich. Doch vorab zu dem, was eigentlich passiert ist.

An besagtem Tag seien sie zum Gießen zu ihrem Anwesen mit drei Mietwohnungen in Lohr gefahren, schildern sie den Vorfall so, wie sie es bei der Polizei zu Protokoll gegeben haben. Auch ihr 74-jähriger Mieter sei im Garten gewesen, als sich der unbekannte, ungebetene Gast dazugesellte und nach kurzem Wortwechsel den Mieter ohne ersichtlichen Grund und unvermittelt mit beiden Händen kräftig vor die Brust gestoßen habe. Der 74-Jährige sei rückwärts auf den Boden gefallen, habe sich fast den Kopf an einem Stein aufgeschlagen. "Wir waren völlig sprachlos und schockiert", schildert Robert.

34-Jähriger erzählt wirre Dinge

Während der 74-Jährige in seiner Wohnung die Polizei gerufen habe, habe der 34-Jährige angefangen, wirre Dinge zu erzählen. Von Manipulation und Lügen habe er gesprochen, dass er wochenlang fixiert gewesen sei und dass bestraft werde, wer schlecht zu seinen Kindern sei. Vergeblich habe er versucht, den Mann zu beschwichtigen, schildert Robert.

Um einer weiteren Eskalation aus dem Weg zu gehen, seien er und seine Frau dann zum etwa 25 Meter entfernten Carport geeilt. Als sie im offenen Cabriolet am Anwesen vorbeifuhren, sei der Brocken geflogen, ein Mauerstein mit Zementresten. "Ich konnte gerade noch den Kopf einziehen, da flog er knapp an mir vorbei", erzählt Robert. Der Brocken sei krachend auf dem Heck des Autos gelandet. Der 34-Jährige habe "in voller Absicht gehandelt und in Kauf genommen, uns schwer, vielleicht sogar lebensgefährlich zu verletzen", sind sich Robert und Rosa einig.

Den Schaden am Auto schätzte die Polizei auf 2000 Euro. Den "amtsbekannten Drogenabhängigen aus dem hiesigen Bereich" hätten die Kollegen mitgenommen und dort eingeliefert, wo er schon einige Zeit vorher verbracht habe – ins Bezirkskrankenhaus. Dies teilte Roman Schramm, stellvertretender Leiter der Polizeiinspektion Lohr, auf Anfrage der Redaktion mit. Die Begründung: Selbst- und Fremdgefährdung.

Eine Pressemitteilung zu diesem Vorfall hatte die Polizei nicht veröffentlicht. In deren Akten wird er laut Schramm unter "Sachbeschädigung" und "Körperverletzung" geführt. Es komme auf die Intention des Täters an.

Robert und Rosa hatten mit dergleichen Situationen noch nie zu tun. Sie empfanden das Geschehene als dramatisch. Wie konnte dieser Mann überhaupt aus dem Bezirkskrankenhaus entlassen werden, wenn er doch offensichtlich nicht gut eingestellt sei, fragen sie. Warum darf ein solcher Mann, der austickt und in ihren Augen gemeingefährlich ist, frei herumlaufen?

Jemanden einfach so wegzusperren, "das wäre schlichtweg Freiheitsberaubung", erläutert Dominikus Bönsch. Der Direktor des Bezirkskrankenhauses Lohr kennt den 34-Jährigen. Laut Auskunft der Polizei war er Anfang dieses Jahres aus der Forensik entlassen worden.

Bewährung kann widerrufen werden

Allerdings fühlt sich Bönsch an seine Schweigepflicht gebunden und beantwortet Nachfragen nur allgemein. Demnach kann die Klinik sehr wohl die Notbremse ziehen, wenn der Patient gegen Auflagen verstößt und die Sache aus dem Ruder zu laufen droht. Bei Verstößen gegen Auflagen könne die Bewährung widerrufen werden.

Ist Fremd- oder Selbstgefährdung zu befürchten, beantrage die Klinik in der Regel so genannte "Krisenintervention". Doch bis die Strafvollstreckungskammer am Würzburger Landgericht nach Aktenblage darüber entscheidet, können Wochen vergehen, zuckt Bönsch mit den Schultern. Manchmal geht es auch flugs, binnen weniger Tage. "Solche Fälle haben wir öfter", sagt Bönsch. Über den Daumen gepeilt werde nur einer von fünf beantragten Fällen abgelehnt.

Inzwischen sind zwei Prozesse am Laufen: Die Anzeige im eingangs beschriebenen Lohrer Fall liege der Staatsanwaltschaft vor, bestätigte Oberstaatsanwalt Tobias Kustoch auf Nachfrage. Zudem sei der Antrag in Sachen "Krisenintervention" positiv entschieden worden. Daraus lässt sich schlussfolgern, dass diese offenbar schon wegen vorausgegangener Verstöße beantragt worden war. Somit wird der 34-Jährige dieser Tage wieder dorthin zurückkehren, wo er schon einige Zeit verbracht hat: in der Forensik des Bezirkskrankenhauses. Robert und Rosa werden aufatmen.

 
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