Zum Artikel "Eine Liebesheirat war es selten" vom 14. April erreichte die Redaktion folgende Zuschrift.
Die Aussagen der Kollegen Karlheinz Keller und Manfred Goldkuhle bedürfen einer Kommentierung, zumal Goldkuhles ebenso hochmütiges wie anmaßendes Verdikt (um 2017/18) im Zusammenhang mit offenbar seinerzeit auch vorhandenen Überlegungen zu Stetten und Retzstadt noch in lebhafter Erinnerung ist, dass "zwei Kranke noch keinen Gesunden" ergeben.
Im Übrigen wurden in Ihrem Artikel alle Eingemeindungen und Verwaltungsgemeinschaften behandelt mit Ausnahme der VG Zellingen. Beispielsweise wird von Zeitzeugen (ich selbst lebe erst seit 1974 in MSP) berichtet, dass für die dortige Entscheidung der Umstand eine Rolle gespielt habe, dass der damalige Landrat Erwin Ammann in Retzbach seinen Wohnsitz hatte.
Hauptanlass für die Gebietsreform war die technologische Revolution des Computers, der wegen seiner damals hohen Kosten für kleinere Gemeinden unerschwinglich gewesen ist. Fortschritt und Wirtschaftlichkeit wurden daher in der Zentralisierung gesehen. Das mag bis in die 1990-er Jahre richtig gewesen sein. Seitdem es das Internet gibt und Computer ab 100 Euro, seit man interaktiv von unterschiedlichen Orten aus zusammenarbeiten kann, sind die vermeintlichen Vorzüge der Gebietsreform dem damaligen Grunde nach entfallen.
Ebenso wie Retzstadt verfügten auch die anderen Mitgliedsgemeinden der VG Zellingen, Himmelstadt und Thüngen, über eigene Rathäuser. Dort fanden und finden bis heute die Sitzungen der Gemeinderäte statt. Der Alleingang von Retzstadt mit dem Modell eines mit dem Sitz der VG vernetzten Arbeitsplatzes stieß bei diesen auf skeptisch abwartendes Interesse, im Falle der VG-Sitzgemeinde Zellingen auf unverhohlene Ablehnung und führte zu skurrilen Szenen wie dem ostentativen Hinweis des damaligen Zellinger Bürgermeisters und VG-Vorsitzenden Bernd Oestemer, dass die Mitarbeiterin im Retzstadter Rathaus seiner Weisungsbefugnis unterliege und ihm auch das Hausrecht mit Schlüsselgewalt über das Retzstadter Rathaus zustehe.
Zentralisierungen, ob in der Verwaltung, den Schulen und nun auch bei den Kirchen, sind immer nur die zweitbeste Lösung. Ein Dorf lebt umso mehr und damit umso besser, je mehr es über eigene Funktionen (Rathaus/Bürgerbüro, Schule/Bildung, Einkaufen, Pfarrei usw.) verfügt. Die Mutterfunktion jeglicher Ortsentwicklung ist die Arbeit. Wo Arbeit ist, ist Leben. Daher ist es Aufgabe jeglicher Ortspolitik, für Arbeit zu sorgen, und sei es durch Rückverlagerung von Arbeit bisheriger Pendler in das Homeoffice.
Der ehemalige Landrat Thomas Schiebel sprach noch während seiner Amtszeit einmal davon, dass es einer neuen Gebietsreform bedürfe. Leider hat er dazu keine inhaltlichen Ausführungen gemacht. Ja, wir brauchen längst eine weitere Gebietsreform, die die gesamte (dreistufige) kommunale Ebene erfasst. Im unteren Bereich könnte ich mir sogar Verwaltungsgemeinschaften mit weitgehend dezentralisierter Verwaltung vorstellen, die den früheren Altlandkreisen entsprechen. Je nach Größe eines Ortes könnte in den Rathäusern/Bürgerbüros eine unterschiedliche Zahl von Mitarbeitern sitzen, die gleichzeitig Anlaufpunkte für die Bürger darstellen.
Reinhold H. Möller
97753 Karlstadt