Vor knapp zwei Jahren hatte eine polizeiliche Aktion vor dem Rathaus in Gemünden für viel Aufsehen gesorgt, als zwei Gerichtsvollzieherinnen und zwei Polizeibeamte zwei Haftbefehle gegen einen damaligen Stadtrat vollziehen wollten. Dieser wollte sich dem durch Flucht entziehen. Nun stand der Mann wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vor dem Amtsgericht Gemünden und wurde zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt.
Nur noch ein Schatten dessen, was der heute 54-Jährige einmal darstellte, so saß der ehemalige Zahnarzt und jetzige Rentner auf der Anklagebank im Amtsgericht Gemünden. Einst hatte er neben seinem Beruf zahlreiche Ehrenämter in der Kommunalpolitik inne, hatte engagiert und streitbar das öffentliche Leben mitgestaltet. Nun verfolgte er, oft zusammengesunken und desinteressiert wirkend, den Verlauf seiner Verhandlung vor Strafrichterin Meike Richter.
"Ich habe mehrfach vergeblich versucht, die Forderungen zu vollstrecken", berichtete die 35-jährige Gerichtsvollzieherin, warum es am Abend des 23. September 2019 zu der spektakulären Aktion gekommen ist, die von vielen Menschen in der Gemündener Fußgängerzone beobachtet werden konnte. Dabei handelte es sich bei den Forderungen um Beiträge zur Bayerischen Ärzteversorgung in Höhe von 8624,14 Euro sowie um 1489 Euro, die die Bayerische Zahnärztekammer von dem Angeklagten wollte.
Da die Beamtin an der Wohnanschrift niemanden angetroffen hatte, versuchte sie ihr Glück vor einer Stadtratssitzung. Mit Unterstützung einer Kollegin und zwei Polizeibeamten wartete sie auf den Beitragsschuldner vor dem Rathaus der Stadt. Vor ihm stehend eröffnete sie ihm die beiden Haftbefehle und belehrte den Mann: Entweder zahle er die ausstehenden Beträge oder gebe eine Vermögensauskunft ab, wonach er nicht zahlungsfähig sei, oder er gehe in Haft.
Beschuldigter versuchte zu flüchten
Der Angesprochene wollte aber keine der angebotenen Möglichkeiten. Dafür nahm er seine gefüllte Laptoptasche und warf sie in Richtung der Gerichtsvollzieherin und der Polizisten, um sich unmittelbar aus dem Staub zu machen. Auf der Flucht durch die Obertorstraße verlor der Stadtrat seine Schuhe. Auf Höhe der Stadtpfarrkirche wurde er von der Polizei eingeholt, auf den Boden gebracht und anschließend mit Handschellen gefesselt. Die Polizeibeamten soll er bei der Festnahme als Dreckspack beschimpft und ihr Vorgehen als Nazimethode bezeichnet haben. Der Gerichtsvollzieherin bot er das Götz-Zitat an.
Auf der Fahrt in die Justizvollzugsanstalt Würzburg bot der Zahnarzt an, die geforderten Beträge zu zahlen, um die Haftbefehle abzuwenden. Auf Höhe des Karlstadter Stadtteils Gambach wendeten die Polizeibeamten deshalb das Fahrzeug und fuhren zur Wohnung der Familie, wo der Mann das geforderte Geld übergab und ihm im Gegenzug die Handfesseln abgenommen wurden.
Der Verteidiger verwies auf die angegriffene Gesundheit seines Mandanten, der Medikamente nehmen müsse. Mit dem Wurf seines Laptops mit Tasche sollte keiner der Beteiligten verletzt werden sondern nur ein Überraschungsmoment geschaffen werden, der zur Flucht genutzt wurde. Dass dabei der Brille der Gerichtsvollzieherin stark beschädigt wurde, kann auch durch eine abwehrende Armbewegung eines Polizisten gekommen sein, ergab die folgende Beweisaufnahme. Der Vorschlag der Verteidigung, das Verfahren gegen Auflagen einzustellen, stieß bei der Staatsanwältin auf Ablehnung.
Ehefrau nennt Vorgehen der Beamten "nicht angemessen"
"Es bot sich mir ein völlig surreales Bild", erklärte die Ehefrau des Angeklagten ihre Wahrnehmung, als die Polizeibeamten ihren Ehemann gefesselt zur Wohnung der Familie gebracht haben. Das Vorgehen der Beamten bezeichnete sie anhand der Schäden an der Kleidung und den Verletzungen ihres Mannes als "nicht angemessen, was Härte und Brutalität" angeht. Auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin hat sie ihren Mann anschließend doch noch zur Stadtratssitzung gefahren.
Für die vorgeworfenen Straftaten beantragte die Staatsanwältin eine zehnmonatige Freiheitsstrafe mit Aussetzung zur Bewährung auf drei Jahre. Der Verteidiger hielt eine Geldstrafe, deren Höhe er in das Ermessen des Gerichts stellte, für ausreichend. Mit ihrem Urteil blieb die Richterin näher am Antrag der Staatsanwaltschaft. Sie verhängte in dem noch nicht rechtskräftigen Urteil eine achtmonatige Bewährungsstrafe sowie eine Geldauflage von 6000 Euro, die an eine gemeinnützige Einrichtung in Arnstein gehen sollen.