Hier wird gebuddelt, dort ein neues, kleines Technik-Häuschen hingestellt, ein Dutzend Autos parken neuerdings auf einem geschotterten Randstreifen des Geh- und Radweges auf der anderen Seite der Staatsstraße 2315. Kein Zweifel: Bei der Lohrer Glashütte tut sich was. Es ist zwar keine Großbaustelle, wohl aber kündigt sie Großes an. Denn die Gerresheimer Lohr GmbH investiert Millionen Euro in ihr Werk, wie Gerresheimer-Pressesprecher Jens Kürten auf Anfrage der Redaktion mitteilte.
Soviel vorweg: Mit dem momentanen Höhenflug der Gerresheimer-Aktie – diese stieg von 53 Euro Mitte März auf einen Rekordwert von über 90 Euro Anfang dieser Woche – hat dies nichts zu tun. Dahinter steckt offenbar die Impfstoff-Fantasie durch die Corona-Pandemie, die Vorstandschef Dietmar Siemssen am Sonntag in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" angeheizt hat.
Gerresheimer zeigt sich gut gerüstet
Sollte ein Impfstoff gefunden werden, so Siemssen, würden "mehrere Milliarden Impfstoffeinheiten benötigt werden, die in Injektionsfläschchen abgefüllt werden müssen". Etwa ein Drittel dieses Marktes entfalle auf die Gerresheimer AG, die laut Siemssen bereits in "sehr konkreten Gesprächen" mit vielen Pharmakonzernen ist, die an einem Impfstoff arbeiteten. "Sobald der erste Hersteller damit auf den Markt kommt, braucht er die entsprechenden Glasfläschchen. Und damit sind wir im Spiel."
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Zwar wird in Lohr auch für die Pharma-Industrie produziert, jedoch nur in der Qualität Typ 3 - wie sie etwa für Hustensaft ausreichend ist, wie Kürten erläutert. Für Impfstoffe hingegen werde Glas der Qualität Typ 1 benötigt.
Was tatsächlich in Lohr passieren wird
Warum also die Baumaßnahmen? Im Winter, voraussichtlich Anfang 2021, werde die Braunglas-Wanne bei Spessartglas erneuert, teilt Kürten mit. Dies sei nichts Besonderes und etwa alle zehn Jahre fällig. Der Brennofen, in dem Sand bei 1500 bis 1600 Grad Celsius zu Glas geschmolzen werde, werde heruntergefahren, müsse mehrere Tage abkühlen und werde dann abgerissen. Dann werde "Stein für Stein" eine neue Wanne aufgebaut. Die Schmelzwanne in Lohr fasse "mehrere 100 Tonnen" und sei etwa so groß wie ein "ordentlicher, mittlerer Swimmingpool", vergleicht er, um eine Vorstellung der Größe zu geben. Heißt: Es wird Anfang 2021 eine längere Betriebsunterbrechung in der Braunglas-Produktion geben, voraussichtlich "mehrere Wochen".
Die neue Wanne wird etwas größer werden als die jetzige. Kürten spricht von einer "leichten Steigerung" im Volumen. Doch auch dies ist nicht ausschlaggebend für das, was derzeit in der Rodenbacher Straße läuft. Vielmehr, so erklärt der Pressesprecher, würden beim Wannenwechsel sämtliche Produktionsmaschinen "von Grund auf saniert oder ersetzt", alle Zuleitungen angepasst. "Nur die Hülle bleibt."
Spessartglas setzt künftig auf Öko-Strom
Damit einher gehe, dass die Stromanbindung verbessert wird. "Wir wollen tendenziell weniger Erdgas einsetzen und mehr Strom", kündigt Kürten an – "grünen Strom, also Öko-Strom." Bisher würden die beiden Öfen nur zu einem Drittel mit Strom und zu zwei Dritteln mit Gas befeuert. Künftig, mit modernisierter Stromversorgung, soll dieses Verhältnis umgekehrt werden.
Zudem solle der Lärmschutz verbessert werden. Schließlich werden laut Kürten auch das Sozialgebäude für die rund 400 Beschäftigten und das Sortiergebäude, in dem das Material gemischt wird, erweitert werden. Alles, was derzeit auf dem Werksgelände passiere, seien Vorbereitungen für diesen Umbau.
Davon nicht betroffen ist die zweite Wanne in Lohr, in der Klarglas produziert wird. Und dies rund um die Uhr in drei Schichten, auch am Wochenende.
Produktion von Klarglas läuft ungebremst weiter
Konkrete Zahlen nennt der Pressesprecher nicht. Würde man sie für das eine Werk herausgeben, würde man Begehrlichkeiten auch an anderen Orten wecken. Durch eine Zusammenschau einzelner, konkreter Daten könnten Analysten und Konkurrenten Rückschlüsse ziehen auf Strategien oder Produktionsbedingungen – Einblicke, die das börsennotierte Aktienunternehmen nicht gewähren will. Für den Wannenbau und die Produktionsgeräte investiere Gerresheimer in Lohr eine "zweistellige Millionen-Euro-Summe im niedrigen Bereich", führt er aus. Der Einschätzung, dass diese demnach zwischen zehn und 20 Millionen Euro liegen müsste, widerspricht er nicht.