Ringsherum Wald. Nichts als Wald. Mittendrin in einer Wegspinne mit acht Beinen: das Forsthaus Aurora. Dort, in der Waldeinsamkeit weitgehend ohne Autoverkehr, ist Stefan Pfeuffer seit frühester Jugend zuhause. Daran will er auch nichts ändern – obwohl Wohnen dort mit anderen Umständen verbunden ist. Das Wasser kommt wie ehedem aus dem eigenen Brunnen, geheizt und gekocht wird mit Holz, gebacken mit Gas. Der Strom aus der Photovoltaikanlage reicht grad mal für den Kühlschrank, den Fernseher und die Beleuchtung. Wenn Waschmaschine, Föhn und Bohrmaschine laufen, wird das Dieselaggregat angeworfen.
Ansonsten ist es still dort oben zwischen dem Ameisenberg und dem Höllbrunnenrain, dem Dreßlingkopf und der Klosterkuppel, dem mit 553 Metern höchsten Punkt im Landkreis Main-Spessart. Das Rauschen der Bäume, das Gackern der Hühner, das Zwitschern der Vögel prägen die Geräuschkulisse in der Einsamkeit. Nur selten ist ein Auto zu hören, bellt ein Reh.
Bewohner muss heute Forst- und Schankwirt sein
So ähnlich war es schon bei Grasmanns, die ab 1952 dort mit Kindern, einer Kuh und einem Schwein lebten. So war es bei den Ferbers ab 1956 und immer noch 1978, als Karl-Heinz Pfeuffer mit seiner ersten Frau Gertrud und den beiden Söhnen in die Aurora einzog. Wie all seine Vorgänger stand er in Diensten der fürstlichen Forstverwaltung.
Denn das Forsthaus Aurora ist untrennbar verbunden mit dem Fürstenhaus Löwenstein-Wertheim-Rosenberg, das den Neustädter Klosterwald 1803 im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses zugeteilt bekommen hat. Fürst Carl zu Löwenstein-Wertheim-Rosenberg ließ den 3000 Hektar großen Park 1817 bis 1819 mit einem 34 Kilometer langen Zaun einfrieden und bestellte 1823 – also vor exakt 200 Jahren - Franz Wengert zum Forstwart in diesem Forsthaus am nördlichen Parkeingang. 1887, so ist nachzulesen, lebten auf Aurora acht Menschen. Heute sind es nur noch zwei: Stefan Pfeuffer und Margit Ullrich-Pfeuffer, die seit einem Jahr (jeweils in zweiter Ehe) verheiratet sind. Stefans Vater war bereits 2001 gestorben, seine Mutter hatte sich 2008 zunächst nach Windheim verabschiedet und ihm das Haus überlassen.
Mit 15 Jahren trat Pfeuffer seine Lehre zum Forstwirt beim Fürstlich-Löwenstein'schen Forstamt an. Damals gab es sogar noch eine Lehrlingswerkstatt im nahen Margarethenhof, erzählt er. Das Verhältnis zum Fürstenhaus sei nach wie vor ausgezeichnet, lobt er. Inzwischen aber ist er als Bauhofleiter der Gemeinde Neustadt Chef von drei Teilzeitarbeitern, verantwortlich für den Gemeindewald und die Kläranlage. Als Pächter der beiden Eigenjagden und des Gemeindewalds bejagt er zudem mit fünf weiteren Jägern 622 Hektar Wald. Am Sonntag aber wird er Wirt – mittendrin im Grünen.
Ein halbes Dutzend Kuchen für einen "normalen" Sonntag
Denn seit 1937 – damals wurde das Blockhaus durch einen steinernen Bau ersetzt - ist die Aurora auch eine Schankklause. Dass sie heute nicht mehr Treffpunkt für Waldarbeiter ist, bedauert Pfeuffer gar nicht so sehr: Die seien oft kilometerweit durch den Wald zum Mittagessen gefahren – gar nicht so gut fürs Wild, verdeutlicht er. Heute ist nur noch an Sonn- und Feiertagen (und für besondere Feiern) geöffnet.
Dutzende von Wanderern kommen, oft Familien, inzwischen fast vermehrt Radler, von denen viele schon vormittags eintrudeln. Sie legen ihre E-Bikes oft rings um jene beiden Holzfiguren ab, die Freunde den beiden Sonntagswirtsleuten vergangenes Jahr zur Hochzeit vors Haus gestellt hatten. "Da liegen dann Zehntausende von Euro im Gras", verdeutlicht Pfeuffer, der an solchen Tagen die (wie Silvaner und Riesling vom Fürsten gelieferten) Wildbratwürste grillt, Getränke und Kuchen aus dem Fenster der Gaststube hinausreicht.
Apfelzupfkuchen, Ameisenkuchen ... - ein halbes Dutzend Kuchen backt Margit Ullrich-Pfeuffer für einen normalen Sonntag. "Damit ist der Samstag ausgefüllt", so die 58-Jährige, deren Vater als Konditor das Cafe Durchholz im Eingang zur Neustädter Siedlung betrieb. Vor Feiertagen können es auch mal zehn werden, so die gelernte Bürokauffrau. "Mach' net so viel", kritisiert Stefan Pfeuffer in der eher mürrischen "Pfeufferschen Art", wie er selbst sagt, seine Frau, die er als "liebevoll-diplomatische" Partnerin beschreibt. Die Frauen wollten immer alle Kuchen sehen, nörgelt der Pragmatiker. Das nerve, halte den Betrieb auf. "Ich sag' immer: ,Die schmecken alle!'", versucht er die Prozedur dann abzukürzen.
Zum Leben im Wald gehört auch der Fuchs
Zu zweit über 100 Gäste in sechs Stunden bewirten, wäre selbst bei Selbstbedienung nicht möglich. "Ohne Familie ginge gar nix", macht der 53-Jährige deutlich. Zum Helfen kommen sein Bruder Dirk (er lebt in Windheim und ist in der Industrie tätig) und Schwägerin Birgit, Servicekraft Florence aus Neustadt, bisweilen auch seine Mutter Gertrud, die inzwischen 75 Jahre alt ist und mit ihrem Lebensgefährten im schwäbischen Steinheim lebt. Die legendären Eier mit Speck brate Linda inzwischen so gut wie seine Mutter, lobt Pfeuffer seine Stieftochter. Die Eier stammen natürlich von eigenen Hühnern. Allerdings habe er erst vor zwei Wochen zehn neue Hühner kaufen müssen, erzählt Pfeuffer. Denn auch das ist Teil des Lebens dort: Die Vorgänger hatte allesamt ein Fuchs gemeuchelt. Pfeuffer aber hat sie gerächt und sechs Tiere geschossen, als diese sich hinterbliebene Hühner holen wollten.
Das Telefon als Verbindung zur Außenwelt ist ein Thema für sich. In den 1950ern war das ein Feldtelefon mit Drehkurbel, ein brauner Kasten von der Größe eines Schuhkartons. Der war allerdings nur mit den anderen Häusern des fürstlichen Forstbetriebs gekoppelt. Wenn es zweimal klingelte, war das Forsthaus Aurora gemeint. Dreimal war der Margarethenhof, viermal die Karlshöhe. Stefan Pfeuffer, Jahrgang 1970, ist schon mit Festnetzanschluss aufgewachsen. Doch die Leitung vom Hafenlohrtal hoch (über 250 Höhenmeter) durch den Wald wurde immer wieder mal beschädigt. Die Reparatur ließ oft Monate auf sich warten. Erst dieser Tage hat Pfeuffer den Anschluss deshalb gekündigt. Mobilfunkkontakt ist selbst in 500 Metern Höhe problematisch. Um den besten Empfang zu haben, eilt Pfeuffer immer wieder mal zum Ausschankfenster.
Feuerwehr kann in neun Minuten am Forsthaus sein
Auf Aurora lernt man Haushalten. Der Kaffee wird in alter Manier per Hand aufgegossen, um Strom zu sparen. Eine Spülmaschine gibt es nicht. Nach einer Ladestation fragen E-Biker vergeblich: "Da tät ich ja meinen eigenen Strom abzapfen", macht Pfeuffer deutlich. Wasser liefert die Quelle bislang genug. "Toi, toi, toi", klopft Pfeuffer auf Holz. Nur 2018 sei es mal knapp geworden. Im September sei es "nur noch dünn wie ein Bindfaden" aus der Leitung gelaufen.
Telekommunikation, Motorisierung, technischer Fortschritt – in mancherlei Hinsicht ist das Leben einfacher geworden in den vergangenen 200 Jahren. Vorbei die Zeit, in der Förster Grasmann mit dem Rucksack auf dem Motorrad einkaufen fuhr, Kindern durch den Schnee zur Schule stapften. Einmal die Woche kommt der Bierlaster den Berg hochgefahren. Die Feuerwehr – auch das wurde erprobt - wäre in neun Minuten vor Ort. Gut, dass das Ehepaar nun im ehemaligen Café Durchholz einen Zweitwohnsitz haben: Dort wird die Post abgeliefert, dort werden auch die Mülltonnen entleert, die Pfeuffer von der Aurora aus in die Siedlung bringt.
Geblieben ist die Abgeschiedenheit, geblieben ist auch das eigene Jagdrevier vor der Haustür. Auch wenn das – im Gegensatz zu früher – auf der anderen Seite des Zaunes liegt.