Man könnte sagen: Das war ein bisschen deplatziert. Da zeichnet die Stadt verdiente Bürger und erfolgreiche Sportler aus, werden die Besucher von kurzen Sportvorführungen unterhalten – und mittendrin, gleich nach dem Auftritt der Ballett-Mädels und der Begrüßung durch Bürgermeister Mario Paul eine Gastrede ohne Titel: Ein Professor, Michael Müßig von der Fachhochschule Schweinfurt, lässt sich 30 Minuten lang über die moderne Zeit und die digitale Welt aus. Womöglich vor dem falschen Publikum?
Darauf ein klares Jein. Ja, ungewöhnlich war das schon. Aber nein: Es ist nicht so, dass es die Lohrer in der Stadthalle gar nichts anginge. Denn immerhin ist die FH Würzburg-Schweinfurt Netzwerkpartner des digitalen Gründerzentrums "Starthouse im Spessart", von dem viele Einheimische sicher noch keine konkrete Vorstellung haben. Zudem hatte Müßig einige Neuigkeiten in seiner Rede gepackt. Zum einen verkündete er, dass das Gründerzentrum im April nun endlich seine Pforten öffnen werde. Bekanntlich sah der ursprüngliche Zeitplan vor, dass die Büroräume im Energie-Gebäude in der Vorstadtstraße schon Ende des Jahres 2018 fertig sein sollten.
Diskussionen rund um die Uhr
Und schon einen Monat später könnte es in Lohr rund gehen, dürfte es in der Stadt nur so wimmeln von jungen Leuten: 120 bis 140 Studenten will Müßig anschleppen, auf dass sie an verschiedenen Orten in der Innenstadt – angefangen vom Bayersturm bis hin zu leer stehenden Geschäften – ihre Ideen vorstellen und mit der Lohrer Bevölkerung diskutieren. 24 Stunden lang – rund um die Uhr. Eingeladen sei jeder, verdeutlichte er – was das Neujahrsempfangs-Publikum einschloss, das er ansonsten vielleicht nicht in diesem Umfang erreicht hätte.
Möglicherweise werde er auch noch etwa 40 Inder aus Schweinfurt mitbringen, kündigte Müßig an. Für die Studenten sei das Feedback aus der Durchschnittsbevölkerung wichtig, führte er aus. Denn Umfragen auf dem FH-Campus brächten nicht unbedingt repräsentative Ergebnisse. Design Thinking nennt man diesen Ansatz, der zum Lösen von Problemen und zur Entwicklung neuer Ideen führen soll. Ziel dabei ist es, Lösungen zu finden, die aus Sicht des Anwenders überzeugend sind. Dass es ein Misserfolg werden könnte, schließt der Professor aus: "Was rauskommt, ist zumindest Erfahrung."
Eine Chance auch in der ländlichen Region
Das Starthouse im Spessart sieht Müßig durchaus als Chance an. Allein in Würzburg gibt es über 35 000 Studierende, dazu kommen knapp 3000 in Schweinfurt und 3500 in Aschaffenburg. Lohr liege da mittendrin, machte er klar – und dass die Start-Up-Unternehmen in Silicon Valley oft ebenso weit zur Stanford University hätten, der Ideenschmiede des Silicon Valley, deren Absolventen fast 5000 Unternehmen gegründet haben, darunter IT-Giganten wie Google oder Hewlett-Packard. "Sie müssen es nur schaffen, den Zugriff auf sie zu bekommen", riet er. Dass dies auch in ländlichen Regionen möglich ist, belegte der Professor mit dem Hinweis auf Jochen Engert, einen der drei Gründer des Fernbusunternehmens Flixbus, der aus dem Ochsenfurter Stadtteil Goßmannsdorf stammt.
Wenn denn wirklich die Inder kommen, die nur ein halbes Jahr in Deutschland leben, dann folgt ein erster Tauglichkeitstest: "Ist es in Lohr möglich, mit englischer Sprache einkaufen zu gehen?", so Müßig. In Schweinfurt sei dies "ein echtes Problem" – und das dürfe es eigentlich gar nicht sein. Ansonsten wünsche er sich von den Lohrern nur "ein Stück Offenheit – auch gegenüber Verrückten". Neujahrsempfänge sind halt auch immer mal wieder gut für Neues.