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Karbach
Antisemitismus 1851: Gewaltsamer Tod einer Mutter und ihres Babys
Der 9. November gilt als ein deutscher Schicksalstag. Am Jahrestag des Novemberpogroms von 1938 berichten wir über die Misshandlung einer jüdischen Familie im Jahr 1851.
Auf dem jüdischen Friedhof von Karbach befinden sich die Grabsteine für Löb Adler und seine Familienmitglieder.
Foto: Martin Harth | Auf dem jüdischen Friedhof von Karbach befinden sich die Grabsteine für Löb Adler und seine Familienmitglieder.
Martin Harth
Martin Harth
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:07 Uhr

Der jüdische Viehhändler Löb Adler war 1834 mit 21 Jahren aus seinem Geburtsort Urspringen nach Karbach gezogen und hatte dort das Anwesen 191, heute Obere Klimbach 17, unweit der Synagoge erworben. Dort lebte er mit seiner 15 Jahre jüngeren, aus Wenkheim stammenden Frau Mina ("Michle"), geborene Karpf. Im September 1851 war dem Ehepaar der Sohn Meier Löb geboren worden. Kurz darauf wurde die Familie am 6. Dezember 1851 zum Opfer einer Misshandlung, die stark antisemitische Züge trug. Bayerische Zeitungen berichteten umfangreich von den Vorgängen.

Was war vorgefallen? Löb Adler hatte dem Birkenfelder Bauern Kaspar Endres einen Ochsen oder Stier für den Preis von 22 Gulden abgekauft. Der Verkäufer sollte am Abend des Nikolaustags seinen Kaufpreis im "Sternwirtshaus" in Karbach abholen. Es war dort jedoch kein Geld hinterlegt worden. Daraufhin stürmte Endres mit zwei Begleitern zum Wohnhaus von Löb Adler.

Ehefrau stellte sich den Angreifern in den Weg

In dessen Wohnstube soll es an diesem Samstagabend zum tätlichen Streit über die Werthaltigkeit der Münzen in Gold- oder Silberwährung gekommen sein. Adler warf den offenbar angetrunkenen Birkenfelder mit Hilfe seine Knechts kurzerhand hinaus. Dort warteten die Begleiter des Bauern auf der Straße. Gemeinsam drang man mit Gewalt in das Anwesen vor und schlug mit einem Prügel, lauthals über die Juden schimpfend, auf den Viehhändler ein. Ehefrau Mina stellt sich mit dem Baby auf dem Arm den wütenden Angreifern in den Weg.

Das Resultat war bitter. Das Söhnchen wurde auf dem Arm der Mutter erschlagen. Die Mutter verlor dabei ihren Arm sogar. Beide Eheleute waren lebensgefährlich verletzt worden. Mina Adler starb wenig später am 30. Dezember 1851 an den Folgen. Die Vorgänge sind aus den damaligen Zeitungsberichten wie aus dem Friedhofsverzeichnis des Jüdischen Friedhofs in Karbach, auf dem der Grabstein von Mina Adler bis heute erhalten ist, nachvollziehbar.

Was folgen sollte, war eine heftige antisemitische Kontroverse in einigen bayerischen Zeitungen. Die einen meist im katholisch-konservativen Milieu beheimateten Blätter verharmlosten die Angelegenheit wortreich oder leugneten den Vorfall mit falsch recherchierten Berichten sogar rundweg. Liberale Blätter waren um Richtigstellung bemüht, kritisierten den Judenhass und forderten eine rechtliche Aufarbeitung.

Stiftung aus dem Familienvermögen errichtet

Diese sollte auch kommen und endete in erster Instanz offenbar mit unerwarteten Freisprüchen. Ende Juli 1852 wurden diese vom Appellationsgericht in Aschaffenburg aufgehoben und Arrest- oder Gefängnisstrafen zwischen zwei und zehn Monaten gegen die drei Täter verhängt.

Titelblatt der Satzung der Stiftung vom Löb und Schifa Adler.
Foto: Martin Harth | Titelblatt der Satzung der Stiftung vom Löb und Schifa Adler.

Löb Adler heiratete schon kurz nach den Geschehnissen seine zweite Frau Schifa Kahn aus Steinbach. Ihr gemeinsamer Sohn Wolf, der am 9. März 1853, geboren worden war, starb mit nur 15 Jahren. 1886 baute der inzwischen vermögend gewordene Karbacher Viehhändler sein Haus um. Im Jahr darauf starb er Seine zweite Frau Schifa überlebte ihn nur um zwei Jahre und starb 70-jährig. 1890 war dann Löb Adlers Karbacher Anwesen in die Hände seines Urspringer Neffen Wolf Adler übergegangen.

Die Namen Löb und Schifa Adler aus Karbach blieben aber noch lange unter den Juden in Bayern bekannt. Aus ihrem Vermögen war 1890 eine Braut-Aussteuer-Stiftung eingerichtet worden. Die Zinsen aus dem Stiftungsfond sollten eine Braut aus der Verwandtschaft auf Nachweis sittlich religiösen Benehmens unterstützen. Die Aufsicht hatte die Israelitische Kultusgemeinde von Karbach. Bald schon war der Stiftungszweck auf eine Braut, bevorzugt eine Waise, aus Bayern ausgedehnt worden. Noch 1937 wurde ein Betrag von 500 Mark in der Bayerischen Israelitischen Gemeindezeitung ausgelobt, bevor die Stiftung in der NS-Zeit aufgelöst werden musste und verschwand.

 
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