SPD-Politikerin Andera Nahles zieht nach vier Jahren als Arbeits- und Sozialministerin eine positive Bilanz. Man stehe im Wahlkampf nicht mit leeren Händen da, erklärt die 46-Jährige im Gespräch mit dieser Redaktion am Rande des SPD-Neujahrsempfangs in Karlstadt (Lkr. Main-Spessart).
Frage: Das Rentenkonzept, die befristete Teilzeit – bevor der Wahlkampf losgeht drücken Sie noch einmal aufs Tempo, oder?
Andrea Nahles: Habe ich jemals etwas anderes gemacht? (lacht) Ich habe meine Geschwindigkeit während dieser Legislaturperiode nicht verändert. Gestartet sind wir mit der Rente mit 63, dann kam der Mindestlohn, die Tarifeinheit, die Verbesserungen für Leiharbeitnehmer, das Bundesteilhabegesetz – um nur die großen Gesetze zu nennen. Es ging Schlag auf Schlag.
Sie bekommen aber nicht nur Applaus für Ihre Initiativen. Für viele Arbeitnehmer klingt Ihr Plan, dass sie das Recht bekommen, befristet Teilzeit zu arbeiten und anschließend in die Vollzeit zurückkehren können, gut. Arbeitgeber sind dagegen skeptisch. Verstehen Sie das?
Nahles: Im Kern geht es darum, dass man Verabredungen trifft. Das bringt mehr Sicherheit für Arbeitnehmer, aber auch für Arbeitgeber. Genau wie bei der Elternzeit kann man mit seinem Arbeitgeber verabreden, für eine begrenzte Zeit weniger Stunden zu arbeiten. Aber der Zeitpunkt, wann man in die vorherige Arbeitszeit zurückkommt, muss feststehen, damit der Arbeitgeber planen kann. So bleibt die Arbeitnehmerin nicht gegen ihren Willen in der Teilzeitfalle stecken. Als ich das gerade einem Unternehmer in meinem Wahlkreis so erklärt habe, war der sehr entspannt.
Die Wirtschaft warnt vor einer „Überdosis Bürokratie“. Erinnert Sie das an die Diskussion nach der Einführung des Mindestlohns?
Nahles: Immer wenn es um echte Verbesserungen der Situation von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern geht, wird das Bürokratiemonster hervorgekramt. Aber eine Verabredung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bietet dafür wirklich keinen Anlass. Es ist so einfach, dass es eigentlich von alleine gehen müsste. In Unternehmen mit einer guten Kultur läuft das auch. In vielen Fällen aber nicht – und da muss man sich fragen, ob diese Arbeitgeber in ihren Köpfen modern genug sind. Flexibilität ist keine Einbahnstraße.
Wo liegt bei der befristeten Teilzeit der Vorteil für Arbeitgeber?
Nahles: Schätzungsweise 750 000 Beschäftigte können ihren Wunsch nicht realisieren, die eigene Arbeitszeit zu verlängern. Und rund 80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Das ist praktisch ein Fachkräftepool. Wir sollten das Potenzial der Frauen besser nutzen.
Zuletzt sorgte der neue Armuts- und Reichtumsbericht für Schlagzeilen. Aber nicht wegen der Erkenntnis, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht, sondern wegen des Vorwurfs, die Bundesregierung habe Passagen zum politischen Einfluss von Eliten und Vermögenden geschönt.
Nahles: Ich habe den Titel des Berichts ernst genommen: Er heißt Armuts- und Reichtumsbericht. Bisher wurde immer nur die Armut untersucht. Über die Reichen hatten wir keine Daten. Also haben wir erstmals versucht, auch den Reichtum zu beleuchten. Dabei haben wir auch untersucht, wie es sich auswirkt, wenn man reich ist.
Wie alarmierend ist der Bericht aus Ihrer Sicht?
Nahles: Es ist eine gute Botschaft, dass zum ersten Mal seit Jahren die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergegangen ist. Wir können sagen, dass sich die Mitte stabilisiert hat – das hat mit dem Mindestlohn und mit guten Tarifabschlüssen zu tun. Aber: Trotz Reallohnzuwächsen haben wir eine Lohnspreizung. Das heißt, die Distanz der Niedrigverdienenden zu den Normalverdienenden hat sich noch einmal vergrößert. Das müssen wir uns ansehen.
Dazu passt, dass sich immer mehr Menschen im Land abgehängt fühlen. Gleichzeitig wird über die Erfolge der SPD – etwa den Mindestlohn – kaum gesprochen. Was heißt das für Ihren Wahlkampf?
Nahles: Ich mache weiter gute Regierungsarbeit, da haben wir in dieser Legislaturperiode viel getan. Aber niemand wird für die Vergangenheit gewählt, wir müssen auch darüber sprechen, welche Ideen wir für die Zukunft unseres Landes haben.
Ihr Fraktionschef Thomas Oppermann hofft für die SPD auf „30 Prozent plus X“. Realistisch?
Nahles: Ja, denn Gewissheiten gibt es nicht mehr – auch nicht für die Union. In Rheinland-Pfalz lag die SPD sechs Monate vor der letzten Landtagswahl elf Prozent hinter der CDU. Am Ende lag sie vier Prozent vor ihr. Warum sollten also „30 plus X“ für die SPD im September nicht möglich sein?