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Main-Spessart
Als die Main-Spessarter so sehr hungerten, dass sie Quecken aßen
Aus der Geschichte Main-Spessarts (81): Der Sommer 1816 fiel praktisch aus. Er war regnerisch und frostig. Missernten und Hunger waren die Folge. Hauptschuldiger war ein Vulkan im fernen Indonesien.
Das Foto zeigt den Krater, der durch die gewaltige Eruption des Vulkans Tambora im Jahr 1815 in Indonesien entstand. Durch Missernten infolge des Ausbruchs hungerten auch im heutigen Landkreis Main-Spessart die Menschen.
Foto: dpa | Das Foto zeigt den Krater, der durch die gewaltige Eruption des Vulkans Tambora im Jahr 1815 in Indonesien entstand.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 08.02.2024 15:00 Uhr

1816 wird als das "Jahr ohne Sommer" bezeichnet, der Sommer war der kälteste seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Anhaltende Niederschläge mit Gewittern und Hagel sowie niedrige Temperaturen führten auch in Main-Spessart zu Missernten. Dabei waren durch die napoleonischen Truppen und den Durchzug der Heere in den Jahren davor die Felder bereits verwüstet und die Vorräte aufgebraucht. Der Hauptgrund für den kalten Sommer wurde erst gut 100 Jahre später bekannt: Im fernen Indonesien war im April 1815 der Vulkan Tambora gewaltig ausgebrochen. Das gab zwar prächtige Sonnenuntergänge, wie Gemälde aus der Zeit beweisen, aber der Staub hielt die Sonne ab. Die Folge war, dass 1817, also vor 200 Jahren, das Essen knapp wurde.

Im Buch "Beiträge zur Pfarr- und Stadtgeschichte Gemündens nach der Chronik des Pfarrers Heckelmann" heißt es: "Das Jahr 1816 und 17 war ein großes Hungerjahr. Es regnete immerfort, und die Früchte erreichten einen ungeheuern Preiß; das Malter Korn zu 40 Gulden; so daß viele Familien sich in diesem Jahr arm fraßen, und doch nicht satt wurden." In der Chronik der Gemeinde Bühler sind die Aufzeichnungen des Lehrer Spehnkuchs zum Jahr 1816 zu lesen: "1816 bringt eine Mißernte infolge anhaltender Maifröste und außergewöhnlich starker Regenfälle im Juni und Juli, eine große Hungersnot und Teuerung ist die Folge davon. Ende November steht der Hafer noch, mit Schnee bedeckt, auf den Fluren und im übrigen Frankenland."

Diese altbackene Brötchen, der Wertheimer Hungerweck von 1816, ist im dortigen Grafschaftsmuseum ausgestellt und erinnert an die Hungerjahre 1816/17.
Foto: Kurt Bauer | Diese altbackene Brötchen, der Wertheimer Hungerweck von 1816, ist im dortigen Grafschaftsmuseum ausgestellt und erinnert an die Hungerjahre 1816/17.

In der Halsheimer Chronik heißt es: "1816/17 waren Hungerjahre; das erste war sehr nass und das folgende sehr teuer. Die Trauben mussten 1816 mit hölzernen Stempeln zerstoßen werden, damit man sie keltern konnte. Viele ließ man gleich hängen. Am 12. Mai herrschte noch Frost, der Sommer war rau und regnerisch, die Traubenblüte dauerte bis in den August hinein, bereits am 23. September kam der Frost wieder, am 12. Oktober lag bereits tiefer Schnee."

Queckenmehl als Zusatz zum Getreide

Nachdem der ärmere Teil der Bevölkerung seinen wenigen Wintervorrat verbacken hatte, wurde aus dem staatlichen Speichern Korn abgegeben. Um das zu strecken, musste später noch Hafermehl zugesetzt werden, im Sommer 1817 dann noch Queckenmehl, schrieb Rudolf Schmitt im Buch "Heimat" (1972), das sich mit der Geschichte des Altlandkreises Gemünden befasst.

Befördert wurde die Not auch dadurch, dass die Dörfer in den Jahren zuvor von durchziehenden Truppen ausgeplündert und wegen der jahrelang erpressten Kriegskontributionen geschwächt und die Infrastruktur schlecht waren. Schmitt führt Maßnahmen des Königlichen Distriktskommissariats Gemünden auf. Am 16. März 1817 schrieb das Kommissariat: "Zur Verbrötung der Notdürftigen im Landgerichte und Distrikte mit Ausnahme des Amts Wolfsmünster, welches aus dem juliusspitälischen Speicher Unterstützung erhalten, sollen abermals 100 Malter Korn und der noch bestehende Vorrat von 48 Malter Hafer abgegeben werden."

Korn wurde zur Linderung der Not ausgegeben

Jede Ortskommission sollte entscheiden, wie viel Korn ihrem Ort zugeteilt wird. Konkret genannt sind Harrbach (vier Malter, wobei ein Malter etwa 160 Kilogramm waren) und Dittlofsroda (fünf Malter, heute Lkr. Bad Kissingen). Im Mai wurde noch zweimal Korn ausgegeben. Auch die Lehrer des Bezirks Gemünden sollten ihren Teil zur Notlinderung beitragen. Sie sollten gegen Empfangsschein die geernteten Queckenwurzeln entgegennehmen. Wer die gelieferten Quecken ersetzt haben wollte, der erhielt dafür im Verhältnis das erzielte Mehl oder Brot nach Abzug "der noch darauf verwendeten Mühe".

Einzug der ersten Erntewagen nach der großen Hungersnot von 1816–1817 am 4. August 1817 auf dem 'Platz' in Ravensburg.
Foto: Gottlob Johann Edinger | Einzug der ersten Erntewagen nach der großen Hungersnot von 1816–1817 am 4. August 1817 auf dem "Platz" in Ravensburg.

Quecken, sonst Unkraut, wurden so zum wichtigen Nahrungsmittel. Bis zum 19. Jahrhundert wurde die Wurzel der Quecke laut Wikipedia auch hierzulande noch zum Bierbrauen verwendet. Und in Teilen der Sowjetunion ist die Quecke heute noch Nahrungsmittel. 1817 sollten die Lehrer im Raum Gemünden die frischen Wurzeln von Kindern zubereiten und reinigen lassen. Die Lehrer hatten sie dann zur Mühle zu bringen und zu kontrollieren, dass das Wurzelmehl richtig unter das Getreidemehl gemischt wird.

Kinder mussten Queckenwurzeln ernten

Welche Kinder zu arbeiten haben, wird ebenfalls festgelegt und sollte der versammelten Gemeinde wörtlich vorgelesen werden: "Jedes Kind, welches dazu bestimmt wird, hat täglich 3 Stunden zu arbeiten; die größeren Schulkinder, dann alle Kinder im Orte bis zum 16. Jahre einschlüßig, deren Eltern nicht hinlänglich mit Nahrung versehen sind und das auf diese Art zubereitete Brot genießen müssen, sind hierzu zu verwenden und die Eltern verbunden, die Kinder deshalb in die Schule zu schicken; diejenigen Eltern, die ihre Kinder hierzu zu verwenden sich weigern, dürfen durchaus kein Brot erhalten."

Die Kinder sollten aber nicht umsonst arbeiten. Die Lehrer sollten schätzen, wie viel Mühe jedes Kind aufgewendet hat, dies den Eltern gutschreiben und bei der Brotabgabe anrechnen. Die bayerische Regierung gab ein Rezept heraus, wie man ein wohlschmeckendes, nahrhaftes Brot backen könne. Man nehme: 6 Pfund Roggenmehl, 2 Pfund Kohlrabi, 2 Pfund Möhren. Vielerorts wurden Moos, Flechten, Disteln, Brennesseln verspeist. Man fand sogar Tote mit Heu im Magen.

In Würzburg wurde ein Brothaus eingerichtet

Die Getreideknappheit hatte auch höhere Getreidepreise zur Folge. Sie stiegen auf das Zweieinhalb- bis Dreifache. Im "Königlich-baierischen Intelligenzblatt für das Großherzogthum Würzburg" wurde im Januar 1817 deshalb bekannt gegeben, dass der König Arme mit Getreide und wohlfeilem Brot zu unterstützen gedachte. Der Verkauf von staatlichem Getreide sollte außerdem die Preise drücken. In Himmelstadt wurden im Juni 1817 aus vom königlichen Landgericht angewiesenem Mehl wöchentlich 520 Laib Brot gebacken und an die örtlichen Hilfsbedürftigen verteilt. Ende Juni 1817 wurde den Bäckern in Würzburg aufgrund der Teuerung der eigenhändige Brotverkauf verboten und ein allgemeines Brothaus eingerichtet. Dort sollte das Brot gesammelt und an die Würzburger zum billigsten Preis abgegeben werden. Ein Pfund Schwarzbrot kostete damals umgerechnet 18 bis 20 Euro.

An den Folgen der Hungerjahre 1816/17 hatten die Menschen noch lange zu knabbern. In der Halsheimer Chronik etwa steht: "Das in diesen Jahren gekaufte Getreide war von den Halsheimern in den 20-er Jahren noch nicht bezahlt." Dass der Kartoffel damals offenbar der Durchbruch von einer "Schweinefrucht" zu einem Hauptnahrungsmittel gelang, da der Kartoffelanbau von Seiten der Regierung in den Notjahren sehr stark gefördert wurde, erfährt man aus der Aschfelder Chronik.

Lesetipp: Den Einstieg in die Serie verpasst? Die bisher erschienenen Serienteile finden Sie unter /dossier/geschichte-der-region-main-spessart

 
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