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MÜNCHEN/GEMÜNDEN
Affäre Felbinger: Wer wusste was bei den Freien Wählern?
Partei in Nöten: Betrugsermittlungen gegen Günther Felbinger, Anklage gegen Bernhard Pohl
Freie Wähler       -  Günther Felbinger: Sieht sich dem Verdacht des Betrugs ausgesetzt.
Foto: R. Pleier | Günther Felbinger: Sieht sich dem Verdacht des Betrugs ausgesetzt.
Michael Fillies
Michael Fillies
 |  aktualisiert: 12.11.2015 03:23 Uhr

Schwierige Zeiten für die Freien Wähler im Landtag: Gegen den Allgäuer Abgeordnete Bernhard Pohl hat die Staatsanwaltschaft München I am Donnerstag Anklage wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr erhoben. Gleichzeitig wird sich der Landtag Betrugsermittlungen der Staatsanwaltschaft gegen den Unterfranken Günther Felbinger nicht in den Weg stellen. Der Gemündener Abgeordnete steht, wie berichtet, im Verdacht, mit Werkverträgen und den Mietkosten für sein Abgeordnetenbüro getrickst zu haben. Er hat zwar mittlerweile Selbstanzeige erstattet und rund 65 000 Euro an die Staatskasse zurückgezahlt. Dennoch muss er, sollte sich der Verdacht des Betrugs oder der Steuerhinterziehung bestätigen, mit einer Bestrafung rechnen.

Bernhard Pohl       -  Bernhard Pohl: Angeklagt wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr.
Foto: A. Gebert, dpa | Bernhard Pohl: Angeklagt wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr.

Auch Landtagspräsidentin Barbara Stamm, die Felbinger bereits zweimal zur Rede gestellt hat, will noch einmal nachhaken. „Er hat die Fragen, die wir ihm gestellt haben, bis heute nicht so beantwortet, wie er sie hätte beantworten müssen“, sagte Stamm im Gespräch mit dieser Redaktion. Die Landtagsverwaltung, so betonte sie, prüfe mögliche Verdachtsfälle, insbesondere wenn es sich um Werkverträge handelt, „unerbittlich“.

Dass nur wenige Jahre nach der Verwandtenaffäre erneut ein Fall von möglicherweise ungerechtfertigter Bereicherung auftaucht, nannte die Landtagspräsidentin „sehr bedauerlich“. Stamm sagte: „Ich bin davon ausgegangen, dass jeder Abgeordnete weiß, dass er sich nach dem neuen, einstimmig verabschiedeten Abgeordnetenrecht zu verhalten hat.“

Zur Felbinger-Affäre liegen der Redaktion umfangreiche Unterlagen aus seinem Büro vor. Sie erhärten den Verdacht des betrügerischen Umgangs des Gemündener Freie-Wähler-Abgeordneten mit der für die Entlohnung von Mitarbeitern vorgesehenen Monatspauschale.

Unter anderem soll der 53-Jährige aus der Mitarbeiter-Pauschale von zurzeit 118 600 Euro im Jahr mit fingierten Verträgen private Gartenarbeiten und Büromieten bezahlt haben. Nach einem dieser Verträge „beschäftigte“ Felbinger von März 2009 an bis offenbar Ende 2011 den Bezirksverband der Freien Wähler mit „Sekretariatsarbeiten, Bearbeitung von Bürgeranliegen und Bürgeranfragen sowie Presse- und Öffentlichkeitsarbeit“. 400 Euro monatlich gab es für diese Tätigkeiten, die einem ehemaligen Mitarbeiter Felbingers zufolge nie erbracht wurden – „von wem denn auch?“.

Diesen Vertrag haben Günther Felbinger als Auftraggeber und sein Landtagskollege Hans Jürgen Fahn, bis November 2009 FW-Bezirksvorsitzender, als Auftragnehmer unterschrieben. Dazu sagt der Abgeordnete Fahn aus Erlenbach am Main (Lkr. Miltenberg), er wisse nicht und habe auch damals nicht gewusst, aus welchem Topf Felbinger das Geld nahm. Verwendet worden sei es für laufende Zwecke des Bezirksverbands – „die Verwendung ist in Ordnung“. Fahn verweist darauf, dass dieser Vertrag immerhin sechs Jahre alt sei. In der Bezirksvorstandssitzung an diesem Freitag wolle man die Sache, so weit möglich, aufklären.

„Ich glaube nicht, dass ich mir etwas zuschulden kommen habe lassen“, beteuert Fahn. Dafür spricht ein anderes Dokument aus Felbingers Büro: Demnach fragte Fahn – 2009 durch Felbinger vom Posten des FW-Bezirksvorsitzenden verdrängt – im September 2014 seinen Nachfolger nach der Bezirksgeschäftsstelle: Wie hoch sei die Miete und an wen werde sie bezahlt; offenbar war dem Bezirksvorstandsmitglied etwas eigenartig vorgekommen. Felbinger antwortete knapp: „Keine Miete nötig, deshalb auch keine Überweisung nötig.“ Und Fahn fragte: „Ist unser derzeitiges System nach den Vorgaben des Landtagsamtes zulässig?“ Felbinger: „Ja.“

Doch nicht nur an den Bezirksverband floss Geld aus der für die Entlohnung von Mitarbeitern vorgesehenen Monatspauschale. Felbinger ließ auch die Zahlungen für sein Abgeordnetenbüro nicht direkt an den Vermieter laufen, sondern zeitweilig über Konten der Kreiswählergruppe Main-Spessart, der Felbinger bis heute vorsteht. Ein reger Schriftverkehr aus dem Jahr 2014 belegt, dass die damalige Kassierin Andrea Hamberger (Kreisrätin Main-Spessart und Stadträtin in Marktheidenfeld) Erklärungsbedarf hatte.

Letztlich hat sie aber alle Buchungen so ausgeführt, wie Felbinger es ihr auftrug. Dazu Hamberger: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen. Ich habe alles nur auf Anweisung des Vorsitzenden gemacht. Er hat gesagt: Mach das so – das stimmt so!“ Dass ein Werkvertrag missbräuchlich auf Steuerzahlerkosten mit dem Sohn von Felbingers Büro-Vermieter geschlossen worden sei, um dem Abgeordneten das Geld für Mietzahlungen zu sparen, habe sie nicht gewusst, obwohl die Zahlungen über Konten der Kreiswählergruppe gelaufen sind.

Pohl, der bereits mit einer Reihe Verkehrsdelikten auffällig wurde, war Ende Juli nach dem Sommerempfang des Landtags betrunken Auto gefahren und von einer Polizeistreife gestoppt worden. Eine Blutalkoholprobe ergab einen Wert von 1,29. Ab 1,1 Promille gilt ein Autofahrer als absolut fahruntüchtig, was dann eine Straftat ist. Ob die Anklage zugelassen wird, entscheidet nun das Amtsgericht. Für Trunkenheit im Verkehr sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe vor.

 
 
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Kommentare
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  • christian@kreatil.de
    Die basisdemokratischen Defizite, welche Sie der Organisation FW bescheinigen, würde ich nicht als Spezialität der FW sehen. Nach meiner Wahrnehmung zieht sich das durch die gesamte Gesellschaft. Es herrscht fast überall das Prinzip „Nach oben buckeln, nach unten treten“. Traurig, nein erbärmlich, dass auch die FW hier keine Ausnahme bilden. Und ich freue mich erneut innerhalb von zwei Wochen, dass die Main-Post hier Aufklärungsarbeit leistet und damit eine wichtige Kontrollfunktion ausübt.
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  • rebnik
    Hätte nicht gedacht, wie frivol Felbinger die Steuerzahler betrogen hat. Ich zahle ja auch genug Steuern und sonst war´s mir eher wurscht, weil´s einfach nicht meine Art ist, aber jetzt ärgert´s mich doch.
    Witzig finde aber ich die Fotos von Pohl und Felbinger: beide in Moralistenpose mit erhobenem Zeigefinger! grinsen Ja, teeren und federn, aber was bringt´s? Sollte sich nicht jeder den Spiegel vorhalten? Zur Raffen-, mitnehmen-was-nur-geht, absahnen-und-abhauen-Mentalität werden wir doch täglich in Medien und Werbung ermuntert, da muss jetzt endlich mal ein Bewusstseinswandel her! Dann hätte die Affäre Felbinger doch noch was Gutes gebracht.
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  • teeren und federn...
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  • al-holler@t-online.de
    und schon gibt es zwei, die möglicherweise doch was hätten ahnen können müssen, wobei die Ausrede "... Ich habe alles nur auf Anweisung des Vorsitzenden gemacht...." das erbärmlichste ist, was ich mir vorstellen kann; es zeigt m.E.nebenbei bemerkt auch (basis)demokratische Defizite in der Organisation: Der Vors. ordnet an und man gehorcht blind.
    Nach Pohl und Felbinger ist jetzt mit Fahn (warum hat er denn nicht härter nachgefragt, woher das Geld kam?) schon der dritte FW-MDL ( DREI von wievielen bzw wie wenigen?!), der ins Fadenkreuz geriet.
    Na, dann klärt mal auf!
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