
Eigentlich hatte Jonas Hilbert vom Lernen die Nase voll, von Latein sowieso. Also warf der Zellinger (Lkr. Main-Spessart) nach der siebten Klasse das Gymnasium hin und ging auf die Realschule. Wie sich jetzt herausstellt, war das kein Nachteil für den heute 20-Jährigen. Im Gegenteil: Mit Hilfe des Berufsabiturs und viel Extra-Fleiß ist aus Jonas ein studierender Handwerker geworden – mit guten Karrierechancen.
"Eigentlich war ich zu faul", erzählt der junge Mann über seine Schulzeit. Weil er mit Büffeln nichts mehr zu tun haben wollte, fing Jonas Hilbert nach der Realschule eine Ausbildung im Kfz-Handwerk an. Das passte ihm viel besser: "Ich brenne für Autos."
Zunächst sah alles nach einem klassischen Weg im Handwerk aus: Lehrling, Geselle, dann vielleicht Meisterprüfung. Doch als ihn im zweiten Lehrjahr ein Berufsschullehrer auf das Berufsabitur aufmerksam machte, dämmerte es Jonas Hilbert: Da geht noch ein bisschen mehr.
Schnell sei ihm jedoch auch klar geworden, dass der neue Weg einige Extrahürden hat. Denn die "Berufsschule plus", wie das Berufsabitur offiziell heißt, bedeutete für den jungen Mann: Jeden Tag von morgens bis 16.45 Uhr im Ausbildungsbetrieb in Karlstadt arbeiten, dann montags und donnerstags von 17.30 bis maximal 20.30 Uhr zusätzlich Abendschule.
Wie der Lohn der Mühe für Jonas Hilbert aussieht
Gut sei gewesen, so Jonas Hilbert, dass dieser Unterricht auch in Karlstadt war. So musste er nach der Arbeit während der 45 Minuten Pause nur wenige Kilometer zurücklegen. Andere Mitschüler hätten es schwieriger gehabt, weil ihr Betrieb zum Teil weit außerhalb von Karlstadt und damit der Weg zur Abendschule länger war.
Den Lohn der Mühe erntete der 20-Jährige vor wenigen Monaten: Im Februar schloss er seine Gesellenprüfung ab, im Mai errang er über das Berufsabitur die Fachhochschulreife. Zwei Abschlüsse auf einen Schlag, die Hilbert den Weg frei machen zu Größerem.
So beginnt der Zellinger im Oktober ein Duales Studium im Fach "Kfz-Prüftechnik". Sein Arbeitgeber wird der TÜV in Würzburg sein, das Studium absolviert er an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg in Horb am Neckar.
Hilberts Weg ist in der Region offenbar ein seltener. Zu erkennen daran, dass die Berufsabitur-Klasse von Hilbert gerade mal aus fünf Schülern bestanden habe, erinnert sich der 20-Jährige.
In der Tat hätten nicht viele junge Menschen den Mut, das Berufsabitur zu machen, bestätigt Studienrat Manuel Loschert von der Berufsschule in Karlstadt und Lohr. Er kennt Jonas Hilbert und somit auch den Antrieb, der generell hinter einer solchen Entscheidung steckt: "Man muss das wirklich wollen." Andere Azubis gingen nach der Arbeit ins Freibad, pflegten ihre Hobbys und sagten sich: Den Aufwand fürs Berufsabitur "tue ich mir nicht an". Nicht so Jonas Hilbert.
Doch neben der Extra-Qualifikation sieht Berufsschullehrer Loschert einen weiteren Vorteil des Berufsabiturs: "Man spart Zeit." Denn der Weg zur Hochschulreife über die Fach- oder Berufsoberschule (FOS/BOS) dauere etwa ein Jahr länger.
Wie Jonas Hilberts Chef das Berufsabitur sieht
Dass Jonas Hilbert mit seinem Berufsabitur die Karriereleiter schnell nach oben klettert, sieht Maximilian Krischer mit einem weinenden und einem lachenden Auge. Denn in der Auto-und Motorradwerkstatt "Kfz Maximal" des 31-Jährigen in Leinach (Lkr. Würzburg) arbeitet der Berufsabiturient seit einigen Monaten. Nun wird Krischer den Gesellen bald wieder in Richtung Duales Studium verlieren.
"Aber ich finde es gut, was er macht", sagt der Werkstattinhaber. Wenn heutzutage junge Menschen beruflich weiterkommen wollen, dann müssten sie Schritte wie Jonas Hilbert tun. Insofern sei das Berufsabitur eine gute Basis, ist Krischer überzeugt.
Handwerkskammer: Berufsabitur ist ein Mittel gegen Fachkräftemangel
Auch Hauptgeschäftsführer Ludwig Paul von der Handwerkskammer für Unterfranken ist vom Berufsabitur überzeugt. Es sei ein Ansatz, um dem Azubi- und Fachkräftemangel zu begegnen. Denn: "Das Berufsabitur ist eine Chance für Betriebe, auch solche Jugendliche für eine Ausbildung zu gewinnen, die sich ansonsten anders orientieren würden."
Den ganzen Tag arbeiten oder in der Berufsschule sitzen, dann abends noch Extra-Unterricht: "Ja, das war anstrengend", blickt Jonas Hilbert auf die Zeit rund um das Berufsabitur zurück. Er habe Tage gehabt, an denen er auf das alles "keine Lust mehr" hatte - auch wenn viele in seinem Umfeld auf seinen Weg "sehr positiv reagiert" hätten.
Aber nun sei er froh, dass er die zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen hat: Ausbildung plus Fachabitur. Und das, obwohl Jonas Hilbert vom Lernen eigentlich die Nase voll hatte.
Jürgen Haug-Peichl
Regionalredaktion / Main-Post
97084 Würzburg