zurück
Landkreis Kitzingen
Zugfahrt in den Tod: Vor 80 Jahren wurden 134 jüdische Bürger aus dem Landkreis Kitzingen von den Nazis deportiert
Am 24. März 1942 bestiegen in Kitzingen jüdische Männer, Frauen und Kinder einen Zug, an dessen Endstation der Tod wartete. Keiner überlebte. Beim Abtransport schaute die Bevölkerung zu.
Der Abmarsch der Deportationsopfer am 24. März 1942 vom 'Fränkischen Hof' in Kitzingen.  Der junge Mann mit der Umhängetasche neben dem Polizisten ist der damals 16-jährige Horst Bauer aus Kitzingen.
Foto: Staatsarchiv Würzburg | Der Abmarsch der Deportationsopfer am 24. März 1942 vom "Fränkischen Hof" in Kitzingen. Der junge Mann mit der Umhängetasche neben dem Polizisten ist der damals 16-jährige Horst Bauer aus Kitzingen.
Wolf-Dieter Gutsch
 |  aktualisiert: 08.02.2024 14:25 Uhr

Am 20. Januar 1942 – also vor 80 Jahren – fand in einer Villa in Berlin die sogenannte Wannsee-Konferenz statt. SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich hatte in das SS-Gästehaus geladen. Was dort vereinbart wurde, betraf auch die Stadt und den Landkreis Kitzingen: die Deportation und systematische Ermordung der jüdischen Mitbürger.

Heydrich hatte 14 hochrangige Vertreter aus SS, Partei und Ministerialbürokratie zu einer "Besprechung mit anschließendem Frühstück" geladen. Das Protokoll führte SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann, Leiter des "Judenreferates" im Reichssicherheitshauptamt. Eine einzige Ausfertigung blieb erhalten und wurde erst lange nach Kriegsende im Archiv des Auswärtigen Amtes gefunden.

"Effektive Methoden" des Massenmords diskutiert

Eine Gruppe von Schulmädchen (Jg. 1921/22/23) bei der Einweihung des Kriegerdenkmals am 4. Juli 1932 in Prichsenstadt. Auf dem Bild sind drei jüdische Mädchen zu sehen: Käthe Reich (hinten, rechts), Hilde Fleischmann (hinten, 2. v. r.) sowie Ilse Jette Hahn (vorne, 4. von links). Käthe Reich konnte 1939 nach England emigrieren, Hilde Fleischmann 1941 nach Spanien. Ilse Jette Hahn gehörte zu den Insassen des Nürnberger Deportionszuges und wurde in der Nähe von Lublin ermordet.
Foto: Staatsarchiv Würzburg | Eine Gruppe von Schulmädchen (Jg. 1921/22/23) bei der Einweihung des Kriegerdenkmals am 4. Juli 1932 in Prichsenstadt.

Die Besprechung dauerte nur 90 Minuten. Ihr einziger Tagesordnungspunkt war die "Endlösung der Judenfrage", mit der Heydrich am 31. Juli 1941 von Reichsmarschall Hermann Göring beauftragt worden war. In der Konferenz wurde nicht die Entscheidung über die Ermordung der europäischen Juden getroffen – dies war schon seit Jahren beschlossene Sache. Vielmehr ging es um die Organisation des Massenmordes, eine Einbeziehung von "Halb- und Geltungsjuden" sowie um "effektive Methoden" zur Durchführung des Massenmordes durch Deportation in die besetzten Gebiete des Ostens und "Sonderbehandlung" in speziellen Vernichtungslagern durch Einsatz von Giftgas.

Deportationen in den Osten und Massenmorde in den besetzten Gebieten hatten schon vor der Wannsee-Konferenz stattgefunden, speziell nach dem Überfall auf die Sowjetunion im Juni 1941. Unmittelbar hinter der vorrückenden Wehrmacht zogen die Mörderbanden der vier "Einsatzgruppen der SS", bestehend aus SS-Truppen und Ersatz-Polizeibataillonen, teils unterstützt von Teilen der örtlichen Bevölkerung, mit Massenerschießungen eine wahre Blutspur in Richtung Osten.

Eines der bekanntesten Einzelmassaker fand am 29. und 30. September 1941 in dem Sandgrubenareal Babyn Jar bei Kiew statt. Laut Bericht des Leiters der Einsatzgruppe C, SS-Gruppenführer Friedrich Jeckeln, wurden dort innerhalb von zwei Tagen 33.771 jüdische Männer, Frauen und Kinder ermordet.

Mehr als 8500 Juden in Unterfranken beheimatet

Die Ankunft von Deportationsopfern am Königsplatz in Kitzingen am 21. bzw. 22.3.1942.
Foto: Staatsarchiv Würzburg | Die Ankunft von Deportationsopfern am Königsplatz in Kitzingen am 21. bzw. 22.3.1942.

In Unterfranken lebten zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Machtergreifung 1933 insgesamt 8520 jüdische Menschen in 115 verschiedenen Kommunen, was einem Bevölkerungsanteil von etwa 1,1 Prozent entsprach. Von 1941 bis 1944 wurden 2069 jüdische Männer, Frauen und Kinder in die Ghettos und Vernichtungslager in den eroberten Gebieten im Osten sowie in das "Altersghetto" Theresienstadt deportiert, darunter 98 Einwohner der Stadt Kitzingen.

Nur wenige Menschen überlebten die insgesamt acht Deportationen; alle anderen starben an Hunger und Krankheit oder wurden bei Massenerschießungen oder in Gaskammern ermordet. Ablauf und Opferzahlen der Deportationen wurden anhand des vorwiegend im Würzburger Staatsarchivs vorhandenen Materials – darunter etwa 16.000 Akten der Gestapo – genau recherchiert und rekonstruiert.

Dazu hat der ehemalige Kitzinger Gymnasiallehrer Dr. Elmar Schwinger Werke verfasst oder als Herausgeber mitgewirkt: Zum einen ist dies das umfangreiche und mit viel Empathie geschaffene Buch "Von Kitzingen nach Izbica" (Kitzingen 2009), zum anderen das mit Dr. Rotraud Ries herausgegebene Büchlein "Deportationen und Erinnerungsprozesse in Unterfranken und an den Zielorten der Deportationen" (Würzburg 2015). Die akribische und einfühlsame Arbeit von Dr. Elmar Schwinger kann nicht hoch genug eingeschätzt werden und ist eine fruchtbare, solide Quelle, auch für diesen Artikel.

Erste Deportation aus Würzburg am 27.11.1941

Die Fotocollage zeigt den Abmarsch der Deportationsopfer am 24. März 1942 vom 'Fränkischen Hof' zum Bahnhof in Kitzingen.
Foto: Staatsarchiv Würzburg | Die Fotocollage zeigt den Abmarsch der Deportationsopfer am 24. März 1942 vom "Fränkischen Hof" zum Bahnhof in Kitzingen.

Die erste Deportation aus Unterfranken erfolgte am 27. November 1941 von Würzburg aus, wobei 202 jüdische Menschen aus der Stadt betroffen waren. In Nürnberg lud man zwei Tage später noch weitere Opfer in den Zug zu. Insgesamt kamen 1001 Erwachsene und neun Kinder nach Riga in Lettland in die dortigen Ghettos und Konzentrationslager, von denen nur wenige überlebten.

Für die zweite Deportation vom 24. März 1942 – die einzige unterfränkische, die nicht von Würzburg aus erfolgte – hatte die Gestapo vom 21. bis 24. März den Gasthof "Fränkischer Hof" in Kitzingen angemietet. Diese Deportation sollte vom Bahnhof Kitzingen aus erfolgen. Vom 21. März an wurden die Opfer in das Deportationslokal in Kitzingen gebracht, wo sie innerhalb von drei Tagen allerlei Formalitäten und teilweise peinliche Untersuchungen über sich ergehen lassen mussten.

Es waren 134 jüdische Menschen aus dem Landkreis Kitzingen: 75 aus der Stadt Kitzingen, 27 aus Mainstockheim, 23 aus Marktbreit, drei aus Hüttenheim, zwei aus Großlangheim, zwei aus Mainbernheim sowie je einer aus Obernbreit und aus Wiesenbronn, zusammen mit 37 aus dem Landkreis Ochsenfurt, 17 aus Wiesenfeld im Landkreis Karlstadt und 18 aus der Stadt Würzburg. 208 Betroffene und das Bewachungspersonal mussten sich die offensichtlich überfüllte Unterkunft teilen.

Todesfahrt führte nach Ostpolen

Denkmal zur Erinnerung an die Deportation von Kitzinger Juden am Rosengarten.
Foto: Andreas Brachs | Denkmal zur Erinnerung an die Deportation von Kitzinger Juden am Rosengarten.

Am Dienstagmorgen, 24. März, musste die Gruppe unter den Augen der Bevölkerung am helllichten Tag durch die Stadt Kitzingen zum Bahnhof marschieren, wo ihr Gepäck schon auf dem Bahnsteig bereitlag. Um 10.49 Uhr verließ der Deportations-Sonderzug Kitzingen und fuhr nach Nürnberg, wo er an einen Zug mit 792 Jüdinnen und Juden aus Nürnberg angekoppelt wurde und anschließend in Richtung Izbica bei Lublin in Ostpolen weiterfuhr. Dort traf er drei Tage später, am 27. März, ein.

Alle Insassen wurden anschließend in das dortige "Transitghetto" gebracht, in dem sie vermutlich binnen kürzester Zeit an Krankheit und Hunger starben oder in einem der naheliegenden Vernichtungslager, in erster Linie wohl in Sobíbor, ermordet wurden. Nicht ein einziger der Deportierten hat überlebt!

Dazu kam der Zynismus des NS-Regimes: Für ihre Bahnfahrt in den Tod mussten die Deportierten bezahlen. Es wurden Beträge von bis zu 80 Reichsmark pro Person fällig. Nach Abzug sämtlicher Kosten verblieb in der Regel ein stattlicher Überschuss, welcher der Staatskasse zufloss. Bei einer Deportation am 25. April 1942 betrug dieser Überschuss beispielsweise rund 20.377 Reichsmark.

Wolf-Dieter  Gutsch

Gastautor Wolf-Dieter Gutsch (72) aus Wiesentheid ist Mitbegründer und Sprecher des Arbeitskreises "Stolpersteine – Erinnern und Gedenken" im Verein Alt Prichsenstadt e. V.
Seit er 15 Jahre alt war, beschäftigt sich Gutsch mit der Historie der Juden, intensiv seit seinem Ruhestand. Gutsch war früher Lehrer am Gymnasium in Wiesentheid.
Die Geschichte der Juden in Unterfranken und im Landkreis Kitzingen hat der Autor recherchiert und im vergangenen Jubiläumsjahr "1700 Jahre jüdisches Leben" beispielhafte Familienschicksale für eine Kurzserie über "Juden im Landkreis Kitzingen" zusammengetragen.
Quelle: abra
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Kitzingen
Adolf Eichmann
Auswärtiges Amt
Deportationen
Gestapo
Hermann Göring
Juden
Kinder und Jugendliche
Opferzahlen
Reinhard Heydrich
Stadt Kitzingen
Stadt Würzburg
Vernichtungslager
Wehrmacht
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top