
Der Ofen ist aus. Das ist wörtlich zu nehmen, weshalb es sich empfiehlt, die Jacke bei einem Besuch im Cineworld im Mainfrankenpark lieber anzulassen. Das Kino ruht, heruntergefahren für den zweiten Lockdown. Acht Säle mit 2400 Plätzen bleiben einen Monat lang leer. Ab und an werden mal – um in Schwung zu bleiben – die technischen Anlagen angeworfen. Der Hausmeister dreht regelmäßig seine Runden. Lothar Michel, geschäftsführender Gesellschafter, schaut alle zwei Tage vorbei. Irgendetwas ist dann doch noch zu tun: Ein bisschen was besprechen, die Post durchgucken. Manchmal auch einfach nur auf den Kalender schauen, wann dieser blöde Lockdown-November endlich vorbei ist. Im Rücken einen Heizofen, weil sich für die paar Stunden das Anheizen nun wirklich nicht lohnt.
Herunterfahren. Damit kennt man sich in dem Multiplex-Kino in dem Dettelbacher Stadtteil inzwischen aus. Wobei es diesmal anders ist als im Frühjahr. Damals war alles neu, alles unklar. Eher wie in einem Film auf der großen Leinwand, ein Blockbuster mit einer abstrusen Handlung: Ein Killervirus hält die Welt in Atem – dummerweise passierte das ohne sich öffnenden Vorhang.
Lothar Michel wähnte sich damals tatsächlich in einem bösen Film. Dass so etwas einmal passieren könnte – es schien undenkbar. 1949 hatten seine Eltern mit dem Kinobetrieb in Würzburg begonnen. Der Junior, Jahrgang 1942, war von Kindesbeinen an dabei. Der Rest ist Geschichte: Das Ende der Würzburger Ära. Raus vor die Tore der Stadt in den Mainfrankenpark. Die Eröffnung des Cineworlds Ende 1999. 21 Jahre ist das nun schon wieder her.
Die Lockdown-Machtlosigkeit
Man kann also schon sagen, dass Lothar Michel einiges erlebt und auch gestemmt hat. Nur beim Lockdown im März war da plötzlich diese Machtlosigkeit. Am Montag, 16. März, die letzten Vorstellungen. Tags darauf alles dicht. Sechs lange Wochen. Viele Waren mussten weggeworfen werden, das Kino hatte sich gerade für den geplanten James-Bond-Start eingedeckt. Doch statt Action nur Schockstarre. Plötzlich war da dieses Zuschauen müssen. Und natürlich die bange Frage: Wie endet so etwas? Wie lässt sich das wegstecken? Klar, sagt Lothar Michel, als Corona einschlug, gab es auch finstere Momente. Die ersten 14 Lockdown-Tage waren "die schlimmste Phase in meinem Berufsleben". Aus dem Mund eines bald 78-Jährigen will das etwas heißen.
Zum Glück hat der Senior-Chef, dessen beide Töchter schon längst in den Betrieb mit eingestiegen sind, eine Gabe, die ihm letztlich Kraft gibt: Er hält sich nicht mit Dingen auf, die er nicht ändern kann. Das verschwende nur Energie. "Mit dem Kopf durch die Wand bringt nichts – man muss einen Weg um die Wand herum finden!" Dieses Motto hat ihn bisher gut durch das Leben getragen. Und so war es denn auch in der Corona-Krise.
Zwei Monate Autokino
Nach den schlimmen 14 Tagen ging der Blick nach vorne. Ideen wurden entwickelt: Popcorn to go – die treuesten Fans nahmen das Angebot gerne an. Wäre Autokino eine Option? War es. Zwei Monate lang, von Mitte Mai bis Mitte Juli, gab es Kino trotz Corona. Nicht zuletzt durch das unkomplizierte Mitspielen des Kitzinger Landratsamtes bei den Genehmigungen. Es gab Auto-Gottesdienste. Und eine Auto-Abiturfeier. Es gab sogar eine Vorstellung, die es gar nicht gab, für die man aber zur Unterstützung Karten kaufen konnte. Außerdem wurden Fußballspiele der Würzburger Kickers übertragen.
Die nächste spannende Frage: Wie würde es nach dem Lockdown wieder anlaufen? Überraschend gut, blickt Lothar Michel zurück. "Mit den neuen Filmen kamen auch die Besucher zurück", sagt er und verweist auf viele Dinge, die das Kino beim Thema Hygienekonzept umgesetzt hat. Ein einzelner Besucher beispielsweise hatte um sich herum zwölf freie Plätze. Zuletzt durften nur noch 50 Zuschauer pro Vorstellung in einen Saal – aber man gewöhnt sich in diesen Zeiten eben an alles. Sicherheit geht vor. Und auf die pocht der Kino-Mann: Kein Kinobesucher in Deutschland habe sich bisher mit Corona angesteckt. Der Satz hallt beim Gespräch im leeren Kinosaal nach.
Die zweite Vollbremsung
Genau deshalb ist die erneute Schließung für ihn so schwer zu verstehen. Gucken nicht alle nach vorne? Geht mehr Abstand? Und viel geredet wir ja während der Filme auch eher nicht. Nein, eigentlich ist die Schließung nicht schwer zu verstehen, sondern gar nicht. Gerade als die Welt halbwegs wieder in Ordnung schien, als man sich "ganz gut erholt" habe, folgte die zweite Vollbremsung. Kopfschütteln. An dem Wochenende vor dem Stillstand wollten alle noch einmal ins Kino, es war das vielleicht beste Wochenende in diesem Jahr. Ein Lichtblick, gut für die gebeutelte Kino-Seele. Davon zehrt sogar ein Kino-Urgestein.
Und noch ein Lichtblick: Diesmal wurde bei den Hilfen auch an die Kinos gedacht. 75 Prozent des Vorjahresmonats gibt es vom Staat. Ein Hoffnungsschimmer im grauen November. Die Stammbelegschaft, um die 25 Mitarbeiter, befindet sich in Kurzarbeit. "Wichtig ist, dass wir niemanden entlassen müssen", betont der Kino-Betreiber.
Gebeutelt ist die Branche dennoch genug: Die Gastronomie im Kino hat seit März geschlossen, die Lieferanten hängen entsprechend in den Seilen. Alles hängt eben mit allem zusammen. Deshalb wird jetzt an den Samstagen auch wieder "Popcorn to go" nach vorheriger Anmeldung auf der Kino-Internetseite verkauft. Derweil Lothar Michel nach dem Sichten der Post im Internet recherchiert: Gibt es weitere Richtlinien? Wie wird der Neustart geplant? Bleiben die Auflagen wie zuletzt, also mit maximal 50 Zuschauern pro Saal?
"Lebbe geht weiter", zitiert Lothar Michel zum Ende des Gespräches ein geflügeltes Wort des ehemaligen Fußballtrainers Dragoslav Stepanovic. Und er zeigt stolz ein paar Sofas, die seit einiger Zeit im Kinosaal stehen, um sich richtig fläzen zu können. So lässt sich zumindest etwas entspannter durch die Krise kommen.
So geht's im Cineworld weiter
