Seit dem 5. Juli 2015 gehört die 40,3 zu Kitzingen wie der Falterturm. 40,3 Grad zeigte ein Thermometer an diesem Tag am Rande der Stadt an. Eine Zahl mit Wucht: Es war der heißeste Tag, der seit Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahr 1881 jemals gemessen wurde. Einen Monat später wurde der Rekord gleich wieder eingestellt: Am 7. August erschien in Kitzingen erneut die 40,3 auf dem Thermometer.
Die Rekord-Messung blieb nicht ohne mediale Folgen. Alle Nachrichtensendungen berichteten über die 40,3-Grad-Stadt. Kitzingen hier, Kitzingen da. In den diversen Quizshows im Fernsehen war die Frage nach der heißesten Stadt Deutschlands ein Jahr lang überaus beliebt. Eine Art Gratis-Werbeblock.
Hitzige Aktivitäten
In Kitzingen selbst ließen so manche hitzige Aktivitäten ebenfalls nicht lange auf sich warten: Der Fotograf Hans Will bot in seinem Online-Shop www.kitziblog.de zusammen mit Hilde Weber Shirts und Tassen an, auf denen die magische 40,3 prangte.
Auch eine eigene Postkarte brachte der umtriebige Fotograf auf den Markt: Mit besten Grüßen aus dem „wärmsten Ort Deutschlands“. Eine nette Idee, die jedoch einen kleinen Schönheitsfehler hat: Heutzutage schreibt kaum noch einer Postkarten. Schon gar nicht, wenn es so heiß ist.
Gute Werbung
Werben lässt sich dennoch gut mit dem Rekord, wie Julia Then zu berichten weiß. Die Leiterin der Kitzinger Tourist-Info betont, dass sich bei Gesprächen mit Gästen immer wieder zeige, dass der Rekord im Hinterkopf abgespeichert ist. Kitzingen werde nicht zuletzt deshalb oft „mit mediterranem Klima“ in Verbindung gebracht. „Das Hitzethema taucht bei der Bewerbung Kitzingens immer wieder auf. Es ist ein Baustein wie Main, Wein und Kultur“, so Then. Ein neuer Hotspot, wenn man so will.
Die Mitarbeiter in der Tourist-Info selber haben keine Hitze-Probleme: Die Mittagspause kann hinter das Haus direkt an den Main verlegt werden. „Dort weht“, betont Then augenzwinkernd, „meist ein kleines frisches Lüftchen.“
Drei-Klassen-Gesellschaft
Keine 200 Meter weiter befindet sich die Zentrale der Hitzestadt. Im Rathaus der gut 20.000-Einwohner-Stadt gibt es hitzetechnisch eine Art Drei-Klassen-Gesellschaft: Im Altbau ist es zumindest an den Vormittagen noch gut auszuhalten. Der angrenzende Neubau ist klimatechnisch eine Herausforderung, was für die Südseite gleich dreimal gilt.
Wohl dem, der an Hundstagen einen Termin bei Oberbürgermeister Siegfried Müller hat. Im Besprechungszimmer lassen sich die Vorzüge einer Klimaanlage genießen. Und wenn alle Stricke reißen, so hat Hauptamtsleiter Ralph Hartner nachgemessen, sind es von seinem Büro bis zur Eisdiele „exakt 35 Meter“.
Landrätin als Getränkelieferantin
Ein kurzer Weg ist es auch bis zum Landratsamt – einmal über die Straße. Dort sieht man Landrätin Tamara Bischof im Sommer auch schon mal als Getränkelieferantin. Bei der ersten großen Juni-Hitzewelle gab es heuer erstmals sogar Freigetränke – Wiederholung an besonders heißen Tagen ausdrücklich nicht ausgeschlossen.
Wer beim Kitzinger Gesundheitsamt anklopft, um ein paar Hitze-Infos zu sammeln, bekommt einen Warnhinweis in die Hand gedrückt. „Sonne mit Verstand“ heißt es da und im Mittelpunkt steht der Hinweis, dass jährlich in Bayern um die 3000 Menschen an Hautkrebs erkranken und jeder Sonnenbrand das Risiko erhöht. Um hier mehr aufzuklären, wird ab dem 24. Juli – pünktlich zum Ferienbeginn – im Foyer des Gesundheitsamtes ein Infostand aufgebaut. Dort gibt es neben Flyern netterweise auch Wasserbälle für Kinder.
8000-Liter-Tank
Wie hält man die heißeste Stadt des Landes möglichst grün? Mit dieser Frage beschäftigen sich Günther Lorey und seine 16 Kollegen von der Kitzinger Stadtgärtnerei tagtäglich. Um den Durst der aktuell etwa 30.000 Blumen im Stadtgebiet zu stillen, heißt es gießen, gießen, gießen. Pro Tag werden 36 000 Liter Wasser ausgebracht. Ein umgebautes Feuerwehrauto mit 8000-Liter-Tank gehört deshalb ebenso zum Stadtbild wie ein Unimog mit Gießfass. Während das Feuerwehrauto dreimal am Tag ausrückt, ist der Unimog sozusagen immer unterwegs, um seinerseits die Beete mit 12.000 Liter pro Tag zu wässern.
Wobei Rasenflächen zuletzt kein Wasser mehr abbekamen, weil das Wasser in der Zisterne am Bauhof zur Neige ging. Überhaupt bewege man sich beim Gießen längst „an der Leistungsgrenze“, so Lorey. Zumal auch gelte, „den Grundwasserspiegel zu schützen“.
Bäume leiden
Ein besonderes Kapitel sind auch die Bäume: „Die leiden zunehmend unter der Hitze“, hat Lorey beobachtet. Weniger Laub, kleinere Blätter – das sind die sichtbaren Folgen. Ebenso wie aufgeplatzte Baumstämme als Folge der hohen Sommer-Temperaturen. Zumindest hier haben die Stadtgärtner zu einem Anti-Hitze-Trick greifen können: Alle Jungbäume erhalten zum Schutz Schilfrohrmatten um die Stämme gewickelt.
Ein weiterer Trick ist der Umstieg auf Palmen. Drei fest eingepflanzte Palmen sowie 15 in Containern – sie bestimmen immer mehr das Bild der deutschen Hitzehauptstadt.
Wird das Wasser in Kitzingen knapp? Roger Lindholz, Prokurist der Licht-, Kraft- und Wasserwerke (LKW), schüttelt den Kopf und verweist auf elf Tiefbrunnen, vier davon liegen in Trinkwasserschutzgebieten. 1,3 Millionen Kubikmeter werden pro Jahr gefördert. An besonders heißen Tagen kann die Tagesspitze schon mal bei 6000 Kubikmeter liegen. Man sei „noch nie in Bedrängnis geraten“, betont Lindholz und fügt hinzu: „Es wird auch künftig kein Mengenproblem in Kitzingen geben!“ Die gute Nachricht für Kitzingen lautet also: 40,3 Grad hin oder her – es wird immer Wasser aus dem Hahn kommen.
Schwächelnde Bäche
Dass die Hitze trotzdem nicht spurlos an Kitzingen vorbeigeht, zeigt der Blick auf die Bäche. Davon hat Kitzingen vier, wobei der Rödelbach inzwischen hin und wieder schwächelt und auszutrocknen droht. Ein Problem, das nicht zuletzt auch die Kitzinger Feuerwehr betrifft: Sich bei einem Brand auf Bäche zu verlassen, kann schief gehen. Stadtbrandinspektor Markus Ungerer rückt deshalb die Tanklöschzüge mehr und mehr in den Mittelpunkt – im Zweifelsfall bringt die Wehr ihr Wasser also mit. Etwa zu Flächen- und Buschbränden, die es im Hitzerekordjahr 2015 durchaus zahlreich gab.
Im Stadtgebiet selber stellt sich die Wasserfrage eher nicht – im Zweifelsfall ist der Main in der Nähe. Gut aufpassen muss der Feuerwehr-Chef zunehmend auf seine Leute: „Die Fürsorge fürs Personal“ steht im Mittelpunkt, sprich: Für genügend Flüssigkeit sorgen und ein extra Blick auf alle, die Schutzbekleidung tragen müssen.
Die Freuden der Hitze lassen sich dagegen im Freibad auf der Mondseeinsel entdecken: Dort ist es im Grunde immer voll, was Aqua-Sole-Leiterin Verena Dambach erfreut. Bis zu 2000 Besucher an einem Tag – wie zuletzt an Fronleichnam – können da schon mal zusammenkommen.
Neue Rekorde?
Bleibt noch die Frage, wie lange der Kitzinger Rekord halten wird? Nicht allzu lange, glaubt Magdalena Michelsen. In ihrem Garten am Rande der Stadt wurde die Rekordtemperatur an einer Messstation des Deutschen Wetterdienstes (DWD) gemessen. Seither trägt sie den Namen Hitze-Oma und ist durchaus eine Berühmtheit.
Seit 19 Jahren betreut sie die Station, eine von 500 in Deutschland. Wobei die Kitzinger Messstelle eine Besonderheit aufweist: Sie steht in einer Stadt, die rund 200 Meter über dem Meeresspiegel in einem Kessel liegt. Auf Sandboden, der sich besonders leicht erwärmt. Ein ideales Hitzesammelbecken. Wenn es also einen neuen Rekord geben sollte, kann sich Kitzingen nur selber schlagen: Er dürfte wieder aus dem Garten der Hitze-Oma stammen.