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Würzburg/Kitzingen
DDR-Jugendknast beeinflusst Urteil im Drogenprozess
Eine 51-jährige Kitzingerin stand wegen Drogenhandels und Waffenbesitzes vor Gericht. Der Richter fällte ein bemerkenswertes Urteil, das eher als Lebenshilfe zu verstehen ist.
Ein gerechtes Urteil soll die richtige Balance finden. Das verkörpert die Symbolfigur der Justitia.
Foto: ped soe nie, dpa | Ein gerechtes Urteil soll die richtige Balance finden. Das verkörpert die Symbolfigur der Justitia.
Franz Barthel
 |  aktualisiert: 08.02.2024 16:56 Uhr

Seit fünf Jahren ist Konrad Döpfner am Landgericht Würzburg Vorsitzender einer Großen Strafkammer mit großem Spielraum beim Urteil. Zum ersten Mal hat er jetzt einen Prozess, obwohl es um Drogen und Dealen ging, mit einer Geldstrafe beendet und einer nicht vorbestraften Hartz-IV-Empfängerin aus Kitzingen in sehr persönlichem Ton gewünscht, dass es ihr mit ärztlicher Hilfe gelingen möge, aus ihrem Leben "noch etwas zu machen". Die Frau ist 51 Jahre alt.

Die Anklage war deftig: Es war von schwunghaftem Handel mit Marihuana die Rede, von Waffen in der Wohnung, für den Fall, dass es mit einem Kunden bei Verkaufsgesprächen Ärger geben sollte. Da muss also noch etwas anderes gewesen sein, was bei der Endabrechnung eine Geldstrafe in Höhe von 2550 Euro möglich machte, 170 Tagessätze zu je 15 Euro. Dieses Etwas war in diesem Fall der berühmt-berüchtigte Jugendknast von Torgau in der ehemaligen DDR. Offizielle Bezeichnung: "Geschlossener Jugendwerkhof" – ein Heim mit hohen Mauern, mit Gittern vor den Fenstern, Endstation unter den Disziplinar-Einrichtungen der DDR-Jugendhilfe. Dort war die angeklagte Frau als Jugendliche vorübergehend untergebracht, in Einzelhaft, weil ihre als politisch unzuverlässig eingestuften Eltern einen Ausreiseantrag gestellt hatten.  

Folgen der Einzelhaft in Torgau

Für den Psychoterror in Torgau erhält die Frau eine Opfer-Entschädigung, die Erlebnisse von damals hat eine psychiatrische Gutachterin im Prozess jetzt als Auslöser für "chronische  posttraumatische Belastungsstörungen" im späteren Leben der Frau bezeichnet: mit depressiver Verstimmung, permanenter Unruhe, Schlafstörungen, Panikattacken. Über viele Jahre hinweg haben Ärzte mit wechselnden Medikamenten, ambulant und stationär, zu helfen versucht, aber besser ging es der Frau erst, als sie sich auf eigene Faust, also illegal, mit Marihuana versorgte. Ihr ging es nicht um schöne Träume und vorübergehendes Abheben, sondern darum, am Abend  überhaupt ein- und ohne Alpträume durchschlafen zu können.

Freigesprochen wurde die Frau, soweit ihr der Verkauf von 350 Gramm Marihuana zum Preis von 3000 Euro an einen Kunden vor einem Spielsalon in Kitzingen vorgeworfen wurde: Die in diesem Zusammenhang vernommenen Zeugen haben überwiegend selbst Prozesse wegen "Drogengeschichten" vor sich und ihre zum Teil wechselnden, belastenden Aussagen reichten, so sagte selbst die Staatsanwaltschaft, nicht für eine Verurteilung aus.

Springmesser zum Äpfel schälen?

Nach der  Festnahme ihres damaligen "privilegierten" Untermieters – ein vorübergehender Lebensgefährte, der im großen Stil mit Rauschgift handelte – hatte die Polizei in der Wohnung der Frau eine Woche später noch 116 Gramm Marihuana gefunden und 3000 Euro. Dass eine so große Menge nur für den Eigenverbrauch der Angeklagten bestimmt gewesen sein soll, da hatte das Gericht Zweifel, aber beweisen könne man nicht, dass sie auch ein bisschen handeln wollte.

Also wurde die 51-Jährige nur wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln verurteilt und wegen des Besitzes einer verbotenen Waffe, eines Springmessers. Obwohl sie behauptete, damit habe ihr Lebensgefährte, der inzwischen in Straubing eine hohe Freiheitsstrafe verbüßt, nur Äpfel geschält und geschnitten. Das hat er allerdings als Zeuge bestritten. Und bei den 3000 Euro, so die Angeklagte, handele es sich um Ersparnisse aus der Opfer-Entschädigung für die Zeit in Torgau. Die habe sie für eine Augen-Operation zurückgelegt.

Die Staatsanwaltschaft wollte die Angeklagte nicht hinter Gittern sehen, hatte aber eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten beantragt. Dagegen hatte sich Rechtsanwalt Klaus Spiegel (Würzburg) mächtig ins Zeug gelegt, weil eine Freiheitsstrafe, egal ob mit Bewährung oder im Gefängnis, den Verlust der Opfer-Entschädigung bedeutet hätte.

Marihuana statt Hundehäufchen

Am ersten Verhandlungstag hatte das Codewort "Katzenfutter", unter dem Kunden beim Lebensgefährten der Angeklagten Drogen bestellt hatten, für Heiterkeit gesorgt. Am zweiten Tag ging es dann kurz um Hunde: Ein Zeuge berichtete, dass Marihuana in kleinen dunklen Plastikbeuteln übergeben worden sei, die eigentlich zur Aufnahme und Entsorgung von Hundehäufchen bestimmt waren.

Am Ende nahm die Angeklagte das Urteil unter Tränen sofort an. Ein Termin für ihre stationäre Behandlung in einer psychiatrischen Einrichtung steht bereits fest.

 

 
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