Der altehrwürdige Zehnthof in Nordheim ist aus einer Art Dornröschenschlaf erwacht. Der Würzburger Sternekoch Bernhard Reiser hat dem Restaurant in dem historischen Gemäuer in diesem Corona-Sommer wieder Leben eingehaucht – allerdings nur vorübergehend. Denn im Oktober soll das Gastspiel der Haute Cuisine im Zehnthof wieder enden. Wie's dann dort weitergeht, ist offen.
Damit ist die Zukunft der Zehnthofs aktuell ungewisser, als es vor gut einem Jahr ausgesehen hat. Damals waren im Nordheimer Gemeinderat Pläne diskutiert worden, wonach ein Investor auf dem Areal im Herzen des Winzerortes ein 100-Zimmer-Hotel samt Tiefgarage und Tagungsräumen errichten möchte. Diese Pläne, erklärt Wendelin Grass, geschäftsführender Vorstand von Divino, werden nach so vielen Monaten ohne Fortschritt "wohl schwerlich zum Ziel führen". Zwar gebe es noch Kontakt zu den damals aufgetretenen Investoren, doch klingt Grass nicht so, als ob er weiter an einen Erfolg der offensichtlich festgefahrenen Verhandlungen über den Verkauf des Zehnthofs glaubt. Zumindest nicht mit diesen Partnern.
Divino nutzt weiter den Gewölbekeller im Zehnthof
Divino ist seit dem Jahr 2014 alleiniger Besitzer des Zehnthofs. Die Geschichte der Winzergenossenschaft, die jetzt Divino heißt, ist eng verknüpft mit dem Zehnthof, der in Sichtweite von dessen Sitz liegt. 1951 wurde die Genossenschaft im Zehnthof gegründet. Sie baute dort fortan ihren Wein aus; auch die Verwaltung war dort untergebracht, berichtet Grass. 1979 hat Divino den Zehnthof größtenteils verkauft, an die Zehnthof-Weinstuben e. G., die dort im Jahr darauf die Zehnthof-Weinstuben als Gaststätte und Aushängeschild der Winzergemeinde eröffnete. Divino blieb aber 20-prozentiger Miteigentümer des Zehnthofs, weil die Genossenschaft im Gewölbekeller unter anderem bis heute Rotwein in Barrique-Fässern reifen lässt.
Nach wirtschaftlichen Problemen der Zehnthof-Weinstuben übernahm Divino das Gebäude im Jahr 2014 erneut. Das Defizit des Gaststättenbetriebs blieb jedoch bestehen, so dass Divino Ende 2017 die Reißleine zog und den Zehnthof schloss. "Wir haben unser Lehrgeld mit der Übernahme der Gastronomie im Zehnthof bezahlt", meint Grass und schließt einen erneuten Einstieg von Divino als Betreiber einer dortigen Gastronomie aus. Divino werde sich auf sein Kerngeschäft konzentrieren. Und das liegt im Wein. Deshalb sei Divino weiter bestrebt, den Zehnthof über einen Makler zu verkaufen, stellt Grass klar.
Dabei ist die Genossenschaft bereit, Nachbarflächen zu veräußern, für mögliche Fluchtwege und Versorgungswege des Zehnhof-Grundstücks; es gibt allerdings noch zwei weitere Privatgrundstücke, die ein Investor für eine größere Lösung des Zehnthof-Umgriffs erwerben müsste. Konkret möchte sich Divino von seiner bisherigen Kelterhalle neben dem Zehnthof trennen. Für diese plant Divino derzeit einen Ersatzbau in der Raiffeisenstraße, im Anschluss an das eigene Betriebsgelände, auf dem sich auch die Vinothek samt Lagerflächen befinden. Zwar werde die alte Kelterhalle am Zehnthof wohl auch kommendes Jahr noch in Betrieb sein, meint Grass, doch der Neubau sei finanziell – auch ohne den Verkauf des Zehnthofs – gesichert. Deshalb müsse Divino die Zukunft des Zehnthofs nicht unter Zeitdruck regeln und möglicherweise unliebsame Kompromisse eingehen.
Bedarf an Übernachtungsbetten und Tagungsräumen
Priorität hat der Verkauf des Zehnthofs, möglichst an einen Investor, der dort ein Hotel mit Gastronomie plant. Grass ist überzeugt, dass ein 100-Zimmer-Hotel in Nordheim wirtschaftlich zu betreiben wäre, obwohl vergangenes Jahr im nahen Volkach mit dem Weinhotel ein Haus vergleichbarer Größe eröffnet hat. Diese Ansicht teilt Nordheims Bürgermeisterin Sybille Säger. Sie sieht an der Mainschleife einen Bedarf an Übernachtungsbetten, aber auch an Tagungsräumen.
Neben dem favorisierten Verkauf des Zehnthofs schließt Grass eine Verpachtung an einen Gastronomen nicht aus. So ist er auch mit der für diesen Sommer gefundenen Zwischenlösung hoch zufrieden und würde sich über eine Dauerlösung mit Bernhard Reiser durchaus freuen. Doch dieser winkt auf Nachfrage dieser Redaktion freundlich, aber doch unmissverständlich ab. Er habe seinen Stammsitz weiter in Würzburg Am Stein. Die Zweigstelle im Nordheimer Zehnthof habe er gewählt, um sein Catering-Team trotz Corona-Stillstand weiter beschäftigen zu können, was er nicht bereut: Das Angebot in Nordheim "wird Bombe angenommen", ist Reiser zufrieden.
Kombination aus Hotel und Gaststätte macht es leichter
Dennoch kann er sich nicht vorstellen, die Zweigstelle dort auf Dauer aus der Ferne zu managen, obwohl er mindestens einmal pro Woche selbst in Nordheim ist. "Den Zehnthof wieder erstrahlen zu lassen, das wäre eine große Aufgabe, das viel Unternehmertum und Herzblut verlangt", sagt der Sternekoch, dem selbst dafür die Kapazität fehlt. Auch er sieht vor allem dann eine Chance für den Zehnthof, wenn dort ein Hotel mit Gastronomie eröffnet – Gastro allein, vor allem gehobene, sei in ländlichen Regionen kaum wirtschaftlich zu betreiben, weil gutes Personal genauso viel kostet wie in Städten, das Publikum auf dem Land aber niedrigere Preise erwartet. In Kombination mit einem Übernachtungsbetrieb ließen sich laut Reiser Defizite des Gastrobereichs leichter ausgleichen.
Aktuell freuen sich jedoch sowohl Grass als auch Bürgermeisterin Säger, wie die zeitlich begrenzte gastronomische Wiederbelebung des Zehnthofs sehr gut angenommen wird und den Ort belebt. "Das unterstreicht die touristische Bedeutung des Zehnthofs für Nordheim", sagt Grass. Und Säger spricht von einer Bereicherung für den Ortskern und einem dringend notwendigen gastronomischen Angebot für den Ort. "Reiser hat voll ins Schwarze getroffen."