
Es ist eine menschliche Tragödie, die sich in der Nacht vom 1. auf den 2. März in der Winzergemeinde abspielt. Und sie hat zwei Seiten. Die objektive: Der Sohn ersticht seine Mutter mit einer Schere, nach der Tat läuft er davon, wird wenig später festgenommen. Die subjektive Seite ist viel komplizierter.
Der Mann auf der Anklagebank gilt seit seiner Kindheit als einer, der sich schwer tut mit dem Leben. In der Schule ist er nur mäßig erfolgreich, eine Lehre beendet er zwar, macht aber nichts draus, mit einem eigenen Online-Shop scheitert er. Er lebt bei der Mutter, die sich mit mehreren Jobs über Wasser hält, sie unterstützt ihn.
In der Pubertät beginnt der Junge zu trinken und zu kiffen, später nimmt er Amphetamin. „Drei Monate vor der Tat war ich drogenabstinent und bin dadurch in eine Psychose gerutscht, ohne dass ich es gemerkt habe“, sagt der blasse, nervöse 30-Jährige vor Gericht.
Ob das stimmt, weiß man nicht. Der Mann ist psychisch schwer krank, das, was er erzählt, ist seine Wahrheit. Es muss nicht die eines gesunden Menschen sein.
Zur Tatzeit ist der 30-Jährige ein Getriebener. Er will nach Tibet. „Zu den Mönchen, weil es da ruhig ist und Geld keine Rolle spielt.“ Am Flughafen kriegt er kein Ticket, weil er weder Pass hat noch Visum. Er fühlt sich verfolgt, er verrammelt sein Zimmer, er glaubt, er werde abgehört, man könne sehen, was er denkt, er interpretiert die Nummernschilder von Autos als „Zeichen“. Immer stärker wird seine Angst, irgendwann nimmt sie ihn komplett gefangen.
Die Mutter muss mitbekommen haben, dass ihr Sohn in einer tiefen Krise steckt. Wohl wissend, dass er ohne Papiere nicht nach Tibet reisen kann, fuhr sie ihn zum Flughafen. Sie ließ ihr Handy daheim, weil er befürchtete, damit abgehört zu werden. „Sie hat auf der Fahrt geweint“, sagt der 30-Jährige.
Die 62-Jährige war der Esoterik zugetan, von Schulmedizin hielt sie nichts, „Chemie“ lehnte sie ab. „Sie gab mir homöopathische Mittel“, sagt der Sohn über seine Mutter, die Heilpraktikerin werden wollte, aber an der Prüfung scheiterte. Als er sich vor Jahren freiwillig in einer Nervenklinik behandeln ließ, habe sie alles getan, ihn dort raus zu holen, obwohl die Ärzte davon abrieten, erzählt seine Halbschwester im Zeugenstand. Und die Schwester der Toten sagt vor Gericht, dass sie der 62-Jährigen geraten habe, den Sohn in eine psychiatrische Klinik zu bringen. Aber die Mutter habe davon nichts wissen wollen. „Da kommt er doch nicht mehr raus“, habe sie gesagt.
Kurz vor der Tat fühlte der Mann sich „vom Internet ausspioniert“. Er band einen Schal um eine Deckenlampe, weil er sich erhängen wollte. Im weißen Nadelstreifenanzug legte er sich in die Badewanne. Mit einem Teppichmesser schnitt er sich in den Oberkörper. „Ich wollte sehen, ob ich noch ein Mensch bin, ob ich ein Herz habe“.
Dann kamen die Stimmen. Sie flüsterten ihm ein, die Mutter sei eine Hexe, er müsse ihr den Kopf abschneiden. „Da hab ich zugestochen“, sagt der Mann vor Gericht.
Nach der Tat zerstörte er mit einem Kreuz seinen Laptop, zog einen Skianzug an, lief nach Kitzingen, fuhr mit dem Zug nach Würzburg, dann nach Frankfurt, wo er gefasst wurde. „Mein Geld hatte ich im Mund. Ich hatte den Weltdurchblick. Ich wusste, dass sich alles nur um Geld dreht.“ Die Verhandlung wird am 28. November fortgesetzt.