zurück
Kitzingen/Hatzerim
So erlebt die kommende Kitzinger Partnergemeinde Hatzerim den Krieg zwischen Hamas und Israel
Kitzingen bahnt eine Partnerschaft mit einem israelischen Kibbuz an. In diese Vorbereitungen platzen die Angriffe der Terrorgruppe Hamas. Das berichtet ein Israeli vor Ort.
Das international tätige Bewässerungsunternehmen Netafim hat seinen Sitz im israelischen Kibbuz Hatzerim.
Foto: Iri Kassel | Das international tätige Bewässerungsunternehmen Netafim hat seinen Sitz im israelischen Kibbuz Hatzerim.
Andreas Brachs
 |  aktualisiert: 17.10.2023 03:02 Uhr

Iri Kassel kümmert sich um Beziehungen, nicht selten um besonders schwierige. Der Israeli hat es übernommen mitzuhelfen, eine deutsch-israelische Partnerschaft zwischen der Stadt Kitzingen und dem Kibbuz Hatzerim, seinem Wohnort, vorzubereiten. Angesichts der Geschichte verlangt das diplomatisches Geschick.

Doch der 77-jährige Kassel ist erfahren: Der ehemalige Gemeindevorsteher kümmert sich seit Jahren um gutnachbarschaftliche Beziehungen zu den Arabern und speziell zu den Palästinensern im Gaza-Streifen. Der Kibbuz Hatzerim liegt Luftlinie weniger als 40 Kilometer vom Palästinenser-Gebiet entfernt. Weil dort Not herrscht und die medizinische Versorgung zu wünschen übrig lässt, hat Kassel als Freiwilliger oft mitgeholfen, kranke Palästinenser aus Gaza in israelische Krankenhäuser zu fahren.

Und jetzt das: Die radikale palästinensische Terrororganisation Hamas greift seit Samstag Israel an, nimmt Geiseln, verbreitet Tod und Schrecken. Männer, Frauen, Kinder – die Hamas macht keinen Unterschied. Es herrscht Krieg.

Nachdem Vertreter aus Hatzerim und die ehemalige Generalkonsulin Israels in Bayern im Frühjahr Kitzingen besucht hatten, wollte die Kitzinger Stadtverwaltung im November zum Kibbuz aufbrechen. Unwahrscheinlich, dass das in nächster Zeit möglich sein könnte. Iri Kassel wollte die Deutschen empfangen und durch die ländliche 1000-Seelen-Siedlung führen.

Im Kibbuz Hatzerim hört man die Raketen explodieren

Der ehemalige Gemeindevorsteher im Kibbuz Hatzerim, Iri Kassel, mit seinem zweijährigen Enkel.
Foto: Iri Kassel | Der ehemalige Gemeindevorsteher im Kibbuz Hatzerim, Iri Kassel, mit seinem zweijährigen Enkel.

"Ich bin zutiefst frustriert", sagt Kassel in einem Telefonat mit der Redaktion über die "unmenschlichen Angriffe" der Hamas. Der 77-jährige Israeli kennt Menschen, die in anderen, nahen Kibbuzim ums Leben kamen, verwundet wurden oder gar als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden. Die Gräueltaten, die er gehört hat, will er am Telefon nicht im Detail erzählen.

Nur zwei Beispiele: Er erwähnt eine Bekannte, eine über 70-jährige Israelin, die sich seit 40 Jahren in Hilfsaktionen für die Palästinenser einsetzt und nun verschleppt wurde. Niemand hat Nachricht von ihr.

Eine andere Familie habe sich im Schutzbunker ihres Hauses befunden, als die Hamas-Kämpfer kamen. Der 17-jährige Sohn sei daraufhin aus dem Fenster gesprungen und konnte gerade noch das israelische Militär zu Hilfe rufen. Nicht immer geht es glimpflich ab. Kassel spricht von 1200 Toten, 2000 Verwundeten und 150 Geiseln, von denen er gehört hat. 

Anzeige für den Anbieter Google Maps über den Consent-Anbieter verweigert

Der Kibbuz Hatzerim selbst hat bisher Glück gehabt. Der "Iron Dome", das Raketenabwehrsystem des Staates Israel, das einen nahen Luftwaffenstützpunkt schützt, hat auch die Siedlung unter ihren Fittichen. Tatsächlich seien auf Hatzerim eine Reihe von Raketen abgeschossen worden, berichtet Kassel. Es habe viele Explosionen gegeben. Doch keine Rakete schlug ein.

Wegen der nahen Grenze zu Gaza, erzählt er, habe die Bevölkerung in seinem Ort nur 60 Sekunden Zeit sich in Sicherheit zu bringen, wenn die Sirenen heulen. Und die seien in letzter Zeit oft zu hören. Kassel selbst hat einen Schutzbunker, so wie andere Israelis. "Wir sind sicher", sagt er erstaunlich gelassen trotz der nahen Gefahr. 

"Krieg ist keine Lösung."
Iri Kassel, Bewohner aus dem Kibbuz Hatzerim

Seiner Familie, er hat Kinder und Enkel, sei nichts geschehen. Er wisse nur von einem jungen Offizier aus dem Kibbuz, der bei Kampfhandlungen am Bein verletzt worden sei. Zehn, 20 Kilometer von Hatzerim entfernt, sieht es anders aus. Grenznahe Kibbuzim wie  Be'eri und Kfar Azza wurden beschossen, zerstört, dem Erdboden gleichgemacht. Nach Zeitungsberichten sollen Dutzende von Leichen dort gefunden worden sein, auch von Kindern.

Der Kibbuz Hatzerim nimmt geflohene Israelis aus den Nachbarorten auf, bringt sie provisorisch unter, so gut es geht. Andere fliehen in weiter entfernte Gebiete im Norden oder Osten des Landes, berichtet Kassel. Der ehemalige Gemeindevorsteher hegt trotz all dem keinen hörbaren Groll. Bei ihm herrscht eher tiefe Traurigkeit.

Iri Kassel: Menschen beidseits der Grenze wünschen sich Frieden

Obwohl in der Wüste Negev gelegen, findet sich im Kibbuz Hatzerim viel Grün.
Foto: Iri Kassel | Obwohl in der Wüste Negev gelegen, findet sich im Kibbuz Hatzerim viel Grün.

Viele Menschen beidseits der Grenze wünschten sich Frieden, ein normales Leben und gute nachbarschaftliche Beziehungen. "Wir haben so hart dafür gearbeitet", sagt Kassel. Das alles versuche die radikale Terrororganisation zu torpedieren.

Sie habe gerade losgeschlagen, als Israel unter Vermittlung der USA die Beziehungen zum Nachbar Saudi-Arabien verbessern wollte. Ähnlich wie im Jom-Kippur-Krieg 1973, als die arabischen Nachbarstaaten Israel am Feiertag Jom Kippur überfielen, habe die Hamas jetzt die Urlaubszeit in Israel für ihre Invasion genutzt. Geheimdienst und Militär seien unvorbereitet gewesen, so sagt Kassel. 

Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, besuchte im Juni den Luftwaffenstützpunkt Hatzerim.
Foto: Tsafrir Abayov, dpa | Benjamin Netanjahu, Ministerpräsident von Israel, besuchte im Juni den Luftwaffenstützpunkt Hatzerim.

Wenngleich der Rentner weiß, dass Israel nun mit voller militärischer Härte zurückschlagen wird, so gibt es doch für ihn nur eine dauerhafte Lösung: Man müsse mit den Palästinensern verhandeln und den Ausgleich suchen, so wie es schon mit Ägypten und Jordanien gelungen sei. Kassel nennt sich – selbst jetzt – einen Optimisten. Für ihn steht fest: "Krieg ist keine Lösung."

Erklärung der Stadt Kitzingen

So erlebt die kommende Kitzinger Partnergemeinde Hatzerim den Krieg zwischen Hamas und Israel
Foto: Anne Schmidhuber
"Mit großer Sorge" verfolgen Landtagsabgeordnete Barbara Becker und Kitzingens Oberbürgermeister Stefan Güntner die aktuellen Entwicklungen in Nahost, wie sie in einer gemeinsamen Stellungnahme auf Anfrage der Redaktion mitteilen. "Wir verurteilen den Angriff der Hamas auf den Staat Israel aufs Schärfste", betont Becker darin. "Meine Gedanken und Gebete sind bei unseren israelischen Freunden."
Ende November war der Besuch einer Kitzinger Delegation im Kibbuz Hatzerim vorgesehen. Eine mögliche Partnerschaft mit der Stadt Kitzingen sollte dort vorbereitet werden. "Angesichts der Lage vor Ort, werden wir den Termin höchstwahrscheinlich verschieben", schreibt OB Güntner. 
Iri Kassel lebt seit rund sechs Jahrzehnten im Kibbuz Hatzerim, hatte dort verschiedene Führungspositionen inne und war Gemeindevorsteher. Er war Geschäftsführer der Israelischen Reformbewegung, Nationaldirektor der israelischen Pfadfinder, zehn Jahre Schulleiter und Manager in der Firma Netafim, deren Bewässerungstechnik für den Landkreis Kitzingen von Interesse ist.
Quelle: Stadt Kitzingen/abra
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Kitzingen
Andreas Brachs
Barbara Becker
Gazastreifen
Hamas
Iron Dome
Israelisches Militär
Palästinenser-Gebiete
Personen aus Israel
Stadt Kitzingen
Stefan Güntner
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top