Iri Kassel kümmert sich um Beziehungen, nicht selten um besonders schwierige. Der Israeli hat es übernommen mitzuhelfen, eine deutsch-israelische Partnerschaft zwischen der Stadt Kitzingen und dem Kibbuz Hatzerim, seinem Wohnort, vorzubereiten. Angesichts der Geschichte verlangt das diplomatisches Geschick.
Doch der 77-jährige Kassel ist erfahren: Der ehemalige Gemeindevorsteher kümmert sich seit Jahren um gutnachbarschaftliche Beziehungen zu den Arabern und speziell zu den Palästinensern im Gaza-Streifen. Der Kibbuz Hatzerim liegt Luftlinie weniger als 40 Kilometer vom Palästinenser-Gebiet entfernt. Weil dort Not herrscht und die medizinische Versorgung zu wünschen übrig lässt, hat Kassel als Freiwilliger oft mitgeholfen, kranke Palästinenser aus Gaza in israelische Krankenhäuser zu fahren.
Und jetzt das: Die radikale palästinensische Terrororganisation Hamas greift seit Samstag Israel an, nimmt Geiseln, verbreitet Tod und Schrecken. Männer, Frauen, Kinder – die Hamas macht keinen Unterschied. Es herrscht Krieg.
Nachdem Vertreter aus Hatzerim und die ehemalige Generalkonsulin Israels in Bayern im Frühjahr Kitzingen besucht hatten, wollte die Kitzinger Stadtverwaltung im November zum Kibbuz aufbrechen. Unwahrscheinlich, dass das in nächster Zeit möglich sein könnte. Iri Kassel wollte die Deutschen empfangen und durch die ländliche 1000-Seelen-Siedlung führen.
Im Kibbuz Hatzerim hört man die Raketen explodieren
"Ich bin zutiefst frustriert", sagt Kassel in einem Telefonat mit der Redaktion über die "unmenschlichen Angriffe" der Hamas. Der 77-jährige Israeli kennt Menschen, die in anderen, nahen Kibbuzim ums Leben kamen, verwundet wurden oder gar als Geiseln nach Gaza verschleppt wurden. Die Gräueltaten, die er gehört hat, will er am Telefon nicht im Detail erzählen.
Nur zwei Beispiele: Er erwähnt eine Bekannte, eine über 70-jährige Israelin, die sich seit 40 Jahren in Hilfsaktionen für die Palästinenser einsetzt und nun verschleppt wurde. Niemand hat Nachricht von ihr.
Eine andere Familie habe sich im Schutzbunker ihres Hauses befunden, als die Hamas-Kämpfer kamen. Der 17-jährige Sohn sei daraufhin aus dem Fenster gesprungen und konnte gerade noch das israelische Militär zu Hilfe rufen. Nicht immer geht es glimpflich ab. Kassel spricht von 1200 Toten, 2000 Verwundeten und 150 Geiseln, von denen er gehört hat.
Der Kibbuz Hatzerim selbst hat bisher Glück gehabt. Der "Iron Dome", das Raketenabwehrsystem des Staates Israel, das einen nahen Luftwaffenstützpunkt schützt, hat auch die Siedlung unter ihren Fittichen. Tatsächlich seien auf Hatzerim eine Reihe von Raketen abgeschossen worden, berichtet Kassel. Es habe viele Explosionen gegeben. Doch keine Rakete schlug ein.
Wegen der nahen Grenze zu Gaza, erzählt er, habe die Bevölkerung in seinem Ort nur 60 Sekunden Zeit sich in Sicherheit zu bringen, wenn die Sirenen heulen. Und die seien in letzter Zeit oft zu hören. Kassel selbst hat einen Schutzbunker, so wie andere Israelis. "Wir sind sicher", sagt er erstaunlich gelassen trotz der nahen Gefahr.
Seiner Familie, er hat Kinder und Enkel, sei nichts geschehen. Er wisse nur von einem jungen Offizier aus dem Kibbuz, der bei Kampfhandlungen am Bein verletzt worden sei. Zehn, 20 Kilometer von Hatzerim entfernt, sieht es anders aus. Grenznahe Kibbuzim wie Be'eri und Kfar Azza wurden beschossen, zerstört, dem Erdboden gleichgemacht. Nach Zeitungsberichten sollen Dutzende von Leichen dort gefunden worden sein, auch von Kindern.
Der Kibbuz Hatzerim nimmt geflohene Israelis aus den Nachbarorten auf, bringt sie provisorisch unter, so gut es geht. Andere fliehen in weiter entfernte Gebiete im Norden oder Osten des Landes, berichtet Kassel. Der ehemalige Gemeindevorsteher hegt trotz all dem keinen hörbaren Groll. Bei ihm herrscht eher tiefe Traurigkeit.
Iri Kassel: Menschen beidseits der Grenze wünschen sich Frieden
Viele Menschen beidseits der Grenze wünschten sich Frieden, ein normales Leben und gute nachbarschaftliche Beziehungen. "Wir haben so hart dafür gearbeitet", sagt Kassel. Das alles versuche die radikale Terrororganisation zu torpedieren.
Sie habe gerade losgeschlagen, als Israel unter Vermittlung der USA die Beziehungen zum Nachbar Saudi-Arabien verbessern wollte. Ähnlich wie im Jom-Kippur-Krieg 1973, als die arabischen Nachbarstaaten Israel am Feiertag Jom Kippur überfielen, habe die Hamas jetzt die Urlaubszeit in Israel für ihre Invasion genutzt. Geheimdienst und Militär seien unvorbereitet gewesen, so sagt Kassel.
Wenngleich der Rentner weiß, dass Israel nun mit voller militärischer Härte zurückschlagen wird, so gibt es doch für ihn nur eine dauerhafte Lösung: Man müsse mit den Palästinensern verhandeln und den Ausgleich suchen, so wie es schon mit Ägypten und Jordanien gelungen sei. Kassel nennt sich – selbst jetzt – einen Optimisten. Für ihn steht fest: "Krieg ist keine Lösung."