Gut eineinhalb Monate hat das Coronavirus in der Seniorenresidenz Phönix in Dettelbach so stark grassiert wie an keinem anderen Ort im Landkreis Kitzingen. 22 Bewohner sind im Zusammenhang mit einer Covid-19-Infektion gestorben. Insgesamt 96 Bewohner hatten sich dort nach Angaben des Landratsamtes nachweislich mit dem Virus infiziert. Doch seit einigen Tagen gibt es Nachrichten aus der Einrichtung, die hoffen lassen.
Seit 27. Januar ist die Seniorenresidenz coronafrei, bestätigen auf Nachfrage dieser Redaktion deren Betreiber, die Korian-Gruppe mit Sitz in München, und das Landratsamt Kitzingen. Das hat positive Folgen für die derzeit 99 Bewohner, die dort noch leben, und deren Angehörige: Das Besuchsverbot gilt seitdem nicht mehr. Dieses hatte das Landratsamt am 10. Dezember nach Bekanntwerden der ersten Infektionen verhängt, zusammen mit einem Aufnahmestopp.
Beides ist nun mit Ende der verhängten Quarantäne außer Kraft gesetzt, berichtet der Betreiber. "Neueinzüge sind möglich", erklärt Tanja Kurz von der Korian-Unternehmenskommunikation. Wer nach den langen Wochen zwischenmenschlicher Auszeit seine Angehörigen im Phönix-Heim besuchen möchte, muss Besuchstermine vorher mit der Einrichtung vereinbaren sowie während des Besuchs Abstands-, Hygiene- und Schutzvorschriften beachten.
Wie kam das Virus ins Heim?
Die Frage, auf welchem Weg das Coronavirus in das Seniorenheim gelangt war und wie es sich dort so verheerend ausbreiten konnte, ist weiter ungeklärt. "Trotz intensiver Kontaktpersonen-Nachverfolgung, die wir gemeinsam mit den Behörden betrieben haben, war nicht nachzuvollziehen, wie das Virus in unsere Einrichtung gelangen konnte", antwortet der Betreiber auf Anfrage. Das Heim sei bis zum Besuchsstopp für Besuche geöffnet gewesen, und Bewohner hätten die Einrichtung auch verlassen und seien zum Einkaufen gegangen.
"Auch die Mitarbeiter pflegen soziale Kontakte, auf die wir als Arbeitgeber keinen Einfluss haben", heißt es seitens des Unternehmens weiter. "Wir arbeiten seit Monaten unter höchsten Schutz- und Hygienebedingungen, testen regelmäßig Bewohner und Mitarbeiter mittels Schnelltest. Einen hundertprozentigen Schutz vor einer Einschleppung gibt es leider nicht."
Die Leidensgeschichte der Dettelbacher Seniorenresidenz hatte am 10. Dezember begonnen: Damals wurden drei Mitarbeiter sowie drei Bewohner positiv getestet; ab dem Moment hing das "Geschlossen"-Schild an der Tür. Für Bewohner und Angehörige begannen Wochen des Hoffens und Bangens. So wie für Frau B., die uns ihre Geschichte geschildert hat. Ihre 85-jährige Mutter, die an mittlerer Demenz leidet, hat sie und ihre Schwestern am 28. November zuletzt gesehen, ein gemeinsamer Spaziergang sollte für lange Zeit das letzte Zusammentreffen mit der Familie sein.
Der Tag vor der Impfung
Zunächst konnte das tägliche Telefonat über den Dezember einigermaßen hinweghelfen. Aber Weihnachten und Neujahr ohne Besuche – das fühlte sich seltsam an. Eine gewisse Ohnmacht breitete sich aus. Zumal die Corona-Meldungen zunahmen und das Seniorenheim mit jedem Tag mehr zum Brennpunkt wurde. Am 8. Januar kam dann die beklemmende Nachricht aus dem Heim: Der Mutter geht es nicht gut, sie hat Fieber – und schon war der positive Corona-Test da. Frau B. erinnert sich sogar noch an den Wochentag: Die Corona-Nachricht kam am Freitag. Der Tag darauf hätte nämlich ein besonderer werden sollen: An dem Samstag war die Corona-Impfung der Mutter geplant gewesen. So aber musste die 85-Jährige für die Quarantäne das Stockwerk wechseln, für Demenz-Kranke eine weitere Belastung.
Frau B. rief jeden Tag an, traf auf verständnisvolle und geduldige Pflegerinnen, die sie über den Zustand der Mutter informierten. Bis zum 20. Januar. An diesem Tag, sagt Frau B., zog es ihr "die Füße unter dem Boden weg". Die Mutter konnte am Telefon kaum noch reden, wusste nicht, mit wem sie telefonierte. Sie konnte, so berichteten die Schwestern, nicht mehr alleine essen, sich nicht mehr alleine anziehen.
Jetzt war sie mit voller Wucht da: eine entsetzliche Hilflosigkeit. Zu wissen, dass man in fünf Minuten bei der Mutter sein könnte – und es doch nicht darf. Spekulieren zu müssen, ob es einen Schub gegeben und sich der Zustand ein für alle Mal verschlechtert hatte. Oder ob eine Begegnung vielleicht doch wieder Erinnerungen bei der Mutter hervorrufen könnte. "Man wird fast verrückt", fasst die Dettelbacherin ihre aufgewühlte Gefühlslage zusammen.
Quarantäne aufgehoben
Seither gab es nur noch diese eine Frage: Wann kann man endlich wieder ins Heim? Wann gibt es Gewissheit, wie es um die Mutter steht? Am 27. Januar wurde die Quarantäne aufgehoben. Am 2. Februar dann die erlösende Nachricht: Das Besuchsverbot wird aufgehoben. Auch Frau B. darf am kommenden Samstag wieder zu ihrer Mutter. Eine gute Nachricht – in die sich jedoch immer mehr Angst mischt. Angst vor dem Moment des Wiedersehens – womöglich ohne erkannt zu werden.