
Alleine zuhause lernen statt im Klassenzimmer mit anderen zusammen, während Quarantäne-Fehltagen Schulstoff verpassen: All das stand an der Tagesordnung in den vergangenen Schuljahren. Nur das zweite Schulhalbjahr ab Februar 2022 verlief erstmals seit Pandemiebeginn wieder etwas "normaler". Aber sind die Schülerinnen und Schüler schon in der "neuen Normalität" angekommen? Zwei Lehrkräfte und eine Schulpsychologin berichten.
Das Verhalten in der Gruppe neu lernen
Sabine Huppmann ist Grundschullehrerin und im Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) Kitzingen engagiert. Ihr zufolge gebe es Kinder und einzelne Klassen, denen man massiv anmerke, dass sie keine Kontakte hatten: dass sie gar nicht in der Gruppe normal miteinander umgehen oder spielen können. "Das kann man nicht pauschal für alle herunterbrechen, aber es sind mehr als vor der Pandemie", sagt Huppmann ihrem Gefühl nach.
Anja Sterbling, Schulpsychologin am Franken-Landschulheim Schloss Gaibach, beobachtet ähnliches – vor allem bei den fünften Klassen, die in der Grundschule wenig Zeit hatten ihr Sozialverhalten zu trainieren. "Die einen tun sich vielleicht schwer, Freundschaften zu schließen und Anschluss zu finden in der Gruppe", sagt sie. Andere hätten große Schwierigkeiten, Grenzen und Gruppenregeln zu akzeptieren. "Wenn ich allein zuhause bin, brauche ich keine definierten Regeln für eine Gruppe", sagt Sterbling.
Im Klassenzimmer wieder einer unter vielen
Von den unterschiedlichen Betreuungssituationen während der Pandemie mussten sich die Schülerinnen und Schüler außerdem erst wieder an die Klassenzimmer-Situation gewöhnen: "Teilweise hatten die Kinder zuhause eine 1-zu-1-Betreuung, wenn es die Eltern gut gemeint haben. Und plötzlich sind sie wieder einer von vielen in der Klasse und müssen die Aufmerksamkeit teilen", sagt Huppmann. Das seien aber noch die guten Fälle – anders als Kinder, die allein zuhause waren: "Die wissen teilweise gar nicht mehr, wie man fragt oder wie man um Hilfe bittet oder sich hilft", sagt Huppmann. Teils seien auch die Aufmerksamkeitsspannen deutlich geringer, Kinder seien nicht bei der Sache.
Verlorenes mit viel Energie wieder aufbauen
Jörg Nellen, Geschäftsführer des Kreisverbands Würzburg der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft und selbst Gymnasial- und Mittelschullehrer, beobachtete gutes Sozialverhalten, eine gewisse Solidarität. Und ein wenig Stolz über gute Abschlussnoten, es auch unter zwei Jahren Sonderbedingungen geschafft zu haben. Trotzdem sagt er: "Wir haben aber auch viele Schülerinnen und Schüler, die am unteren Ende rausgefallen sind." Abhängig sei das vor allem vom sozialen Status und der Unterstützung durch die Eltern. Das gelte es nun weiter aufzubauen. "Dazu brauchen wir Ressourcen, Menschen, Material. Motivation ist da", sagt der Lehrer über die Situation an den Schulen.
In mehreren Schularten sei Nellen ein Knick in der Anstrengungsbereitschaft aufgefallen, so dass Schülerinnen und Schüler sich leichter mal krank fühlen, leichter mal eine Aufgabe nicht machen würden. "Wir müssen viel mehr Energie reinstecken, um die Schülerinnen und Schüler zu motivieren", so Nellen.
Von Kollegen aus der Schulpsychologie weiß Schulpsychologin Anja Sterbling, dass es insgesamt mehr Beratungsanfragen gebe als vor der Pandemie. Ihr persönlicher Eindruck: Es handelt sich dabei weniger um kleinere Probleme, die in der schulpsychologischen Beratung zu lösen sind. Vermehrt müssten Fälle außerschulisch an Kinder- und Jugendpsychotherapeuten weitergeleitet werden.
Tipps für die Ferienzeit
Alle drei gaben unabhängig voneinander den Ratschlag: Die Ferien auch wirklich Ferien sein lassen. Huppmann rät, die Ferien zu genießen - trotz allem. Und zu "Abstand von der Schule." Eltern sollten für individuelle Empfehlungen den Kontakt zur Klassenlehrkraft suchen, gerade in der Grundschule seien diese die ersten Ansprechpartner oder -partnerinnen. Zudem gebe es Hilfe von Schulpsychologen und Beratungslehrkräften. "Oft täuschen sich Eltern – vielleicht sagt die Lehrerin dann, dass alles passt und sie sich umsonst Sorgen gemacht haben", so Huppmann.
Sehr engagierten Eltern rät Nellen: "Lassen Sie Ihren Kindern die Ferien. Die brauchen unbedingt eine Pause von dieser Anspannung und von dieser dauernden Leistungsforderung." Aber auch Eltern, die wenig Zeit hatten während der Pandemie, sollten erst einmal mit ihren Kindern Pause machen: "Einmal wirklich eine Woche lang Kinderwoche machen: Rausgehen, in den Zoo gehen, auf den Spielplatz", sagt Nellen.