In den Großstädten heißen sie "Art Night", also Kunstnacht, und laut der Veranstalter sind dort "Spaß und Kreativität garantiert". Dort malen die Teilnehmer an einem Abend das Werk eines berühmten Künstlers nach – Kunst zum Mitnehmen sozusagen. Die Volkshochschule (Vhs) Kitzingen hat seit Jahrzehnten die nachhaltigere Variante im Programm: "Acrylmalen für Anfänger" ist einer der zahlreichen kreativen Kurse. Zeit für einen Besuch .
Tief über ihre Katze gebeugt ist Paula Stang. Besser gesagt: Über eine grundierte Leinwand, auf der die 70-Jährige aus Sickershausen mit feinen Pinselstrichen gerade das Haustier entstehen lässt. Als Vorbild dient das Foto auf dem Smartphone. Neben ihr versucht sich Petra Wagner-Schad gerade an einer Blume vor grauem Hintergrund. Die "blutige Anfängerin", als die sich die 50-Jährige selbst bezeichnet, hat auf Märkten schon lange dort ausgestellte Bilder bewundert. "Das wenn ich könnte, das wär' schön", dachte die Hohenfelderin dann oft. Und hat sich im Herbst schließlich für den Kurs von Gabriele Schaller-Grötsch angemeldet.
Wie man Apricot am besten anmischt
Seit 2016 leitet sie selbst Kunst-Kurse, nachdem die gelernte Grafikerin 2009 als Teilnehmerin bei den sogenannten Freitagsmalern der Vhs begonnen hatte. Manche in der schon seit 1997 bestehenden Künstler-Gruppe sind allerdings quasi Profis, ganz im Gegensatz zu den Frauen – und einem Mann – an dem Mittwochabend. Jeder hat ein ganzes Bündel an Pinseln vor sich liegen. Farben und vollgekleckste Wassergläser sind auf dem Tisch des Werkraums im Luitpolbau in Kitzingen verteilt. In Plastikschüsselchen, auf Papptellern oder Paletten verschwimmen die Grundfarben zu neuen Tönen. Petra Wagner-Schad ruft die Kursleiterin zu sich. "Wie mischt man Apricot am besten an?"
Währenddessen arbeitet die Volkacherin Waltraud Kirch (66) nach ihrem Werk "Toskana" an einer Komposition in Grün. Kreise, Vierecke, die Andeutung einer Sonne: Das abstrakte Gemälde hat kein Vorbild. "Ich probier' einfach aus", sagt die ehemalige Grundschullehrerin. Gemalt hatte sie früher schon, aber erst seit ihrer Pensionierung ist sie wieder richtig eingestiegen. Den Kurs möchte sie auf jeden Fall weiter besuchen, Mitte März geht's wieder los. Auch die anderen Teilnehmer freuen sich an diesem letzten Abend schon auf die Fortsetzung im Sommersemester der Volkshochschule.
Es ist diese Mischung aus konzentriertem Arbeiten und lockeren Gesprächen, die bei allen gut ankommt. Gabriele Schaller-Grötsch macht keine starren Vorgaben, die Motive sucht sich jeder selbst aus. Die 61-jährige Mainbernheimerin möchte vor allem, dass sich die Teilnehmer Zeit nehmen zum Malen. Und mit ihrer Hilfe können sie Lösungen finden, wenn sie nicht weiterkommen. Zudem haben die Frauen in Reinhold Dukat einen Unterhalter, der gerne spannende Geschichten aus seinem Kunstgeschichte-Studium weitergibt. Das ist für den 69-Jährigen auch der Grund, dass er sich für den Kurs angemeldet hat. "Kunsthistoriker sind wie Eunuchen: Wir wissen, wie's geht, aber uns fehlt die Praxis", sagt der Kitzinger und grinst. Der Erbauer der Würzburger Residenz aus Lego-Steinen möchte noch mehr mit den Händen schaffen. So wie sein Erstlingswerk "GroKo Bavaria blu", dessen abstraktes Gebilde so instabil sei wie unsere Regierung. "Nun weiß ich", sagt Dukat, "wie schwierig es ist, einen Pinsel zu führen".
Ziemlich genau kennt sich Ingrid Mehlert damit aus. Die 56-Jährige hat sich nämlich eingeschmuggelt in den Anfängerkurs – genau genommen. In Prichsenstadt hat Mehlert eine eigene Kunstmanufaktur, verkauft schon lange ihre Bilder und gibt auch selbst Vhs-Kurse. Wie kommt ein Profi wie sie zu den Neulingen? "Malen in einer Gruppe, das hab ich noch nie gemacht", antwortet Mehlert. Es tue gut, einmal pro Woche zusammen zu kommen, in Ruhe zu malen und Spaß miteinander zu haben. Als sie ihre im Kurs entstandene "Amaryllis in rot-weiß" für das Foto holt, ertönt ein bewunderndes "Ohh" am Tisch.
Gut geeignet für Einsteiger
Aber um das perfekte Bild geht es Kursleiterin Schaller-Grötsch überhaupt nicht. Für sie ist gerade die Acrylmalerei perfekt für Einsteiger. "Das Schöne am Acrylmalen ist, dass man nicht so viel Mut braucht", ermuntert die 61-Jährige zum Selbstversuch. Diese Farben seien sehr geduldig, während man bei der Aquarellmalerei mehr gedankliche Vorarbeit leisten müsse, damit sie gelinge. Das bestätigt die blutige Anfängerin Petra Wagner-Schad. Sie habe vorher gedacht, "da kann ja nichts schiefgehen". Blumen haben es ihr angetan – und jetzt hält sie stolz ihr Bild namens "Zierlauch" in der Hand.
Genau das möchte Gabriele Schaller-Grötsch erreichen. Sie weiß, dass das Malen für die wenigsten zum alleinigen Lebensunterhalt reicht –auch für sie nicht. Aber für die vierfache Mutter und frischgebackene Oma ist es ein wichtiger Lebensinhalt geworden. Was sie ärgert: "Manche tun die Kunst völlig ab." Dabei könne es gerade nach dem Arbeitsleben helfen, nicht in ein Loch zu fallen. Die Mainbernheimerin weist darauf hin, dass es auch im Internet tolle Videos übers Malen gebe. "Aber das ist was ganz anderes im Kurs", ruft Paula Stang über den Tisch. Gelächter – und Kopfnicken.
Ruck-zuck sind sie vorüber, die zwei Stunden in dem Werkraum. Nur was macht man mit all den Kunstwerken, die entstehen? In Paula Stangs Arbeitszimmer hängen vor allem Aquarelle, die sie bislang gemalt hat. Nun kommen Bilder aus Acryl hinzu, wie "Die kleine Meerjungfrau", angelehnt an das berühmte Original aus Kopenhagen. Und wenn kein Platz mehr ist, hat sie einen einfachen Tipp, der noch dazu anderen Freude macht: "Wenn jemandem eins meiner Bilder gefällt, bekommt er es einfach geschenkt."