zurück
Gräfenneuses
Leben mit Asperger-Syndrom: Christoph Mahr bekommt trotz sehr guter Noten keinen Ausbildungsplatz
"Inklusion sieht anders aus": Familie Mahr aus Gräfenneuses ist entsetzt darüber, dass ihr Sohn bislang zu keinem einzigen Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.
Gemeinsam mit seinen Eltern, Ludwig und Barbara Mahr, hat Christoph Mahr schon vieles gemeistert. Letztes Jahr schloss er mit sehr guten Noten die Realschule ab. 
Foto: Fabian Gebert | Gemeinsam mit seinen Eltern, Ludwig und Barbara Mahr, hat Christoph Mahr schon vieles gemeistert. Letztes Jahr schloss er mit sehr guten Noten die Realschule ab. 
Autorenköpfe Volos       -  Nargis Silva
Nargis Silva
 |  aktualisiert: 26.06.2023 02:54 Uhr

Christoph Mahr würde gerne in der Stadt leben und eine Ausbildung zum Bürokaufmann oder Verwaltungsfachangestellten machen. Im September vergangenen Jahres schloss er die Realschule mit einem Schnitt von 1,8 ab. Seitdem hat er sich auf 15 Praktikumsstellen und vier Ausbildungsplätze beworben. Zwar hat er einige Praktika machen können. Zu einem Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung ist er aber bislang nicht eingeladen worden – und das obwohl er sehr gute Noten hat.

Kürzlich hat er ein Praktikum bei einem großen Unternehmen gemacht. Es sei sehr zufrieden mit ihm gewesen. Doch auf die Bewerbung für einen Ausbildungsplatz kam nach drei Wochen eine Absage: "Sie sagten, es liege nicht an seinen Fähigkeiten, sondern an der Vielzahl von Bewerbungen, weshalb sie sich für andere Kandidaten entschieden hätten", sagt Vater Ludwig Mahr. So richtig glauben will er es nicht. "Leider geben ihm die Betriebe nicht die Chance, sich persönlich vorzustellen. Wir sind nicht nur enttäuscht, sondern entsetzt darüber. Sollte nicht auch bei einer Ausbildung die Inklusion behinderter Menschen im Vordergrund stehen?", fragt seine Mutter Barbara Mahr.

Der 18-jährige Christoph Mahr hat das Asperger-Syndrom. Jedes Mal, wenn er sich auf ein Praktikum oder einen Ausbildungsplatz bewirbt, schickt er einen Flyer vom Caritas-Don Bosco-Bildungszentrum mit.  Darin stehen Hinweise, die Arbeitgeber im Umgang mit Menschen mit Autismus beachten müssen: "Erwartungen klar und deutlich formulieren, Smalltalk nicht erzwingen, E-Mail statt Telefon, Reizüberflutung vorbeugen." So kann sich der Betrieb informieren und vorbereiten.

Menschen mit Autismus fällt es schwer, den Blickkontakt zu halten 

Familie Mahr ist es wichtig, ihre Mitmenschen über Autismus aufzuklären, um Vorurteilen entgegenzuwirken. Viele haben laut Barbara Mahr ein falsches Bild vom Syndrom, etwa wenn sie glauben, Betroffene wären aggressiv oder unsozial. Diesen Eindruck macht Christoph Mahr keineswegs: Bei einem Besuch begrüßt er mit kurzem und festem Handschlag. Er wirkt dabei freundlich und neugierig.

Christoph Mahr in seinem Garten in Gräfenneuses bei Geiselwind. Der 18-Jährige hat das Asperger-Syndrom und sucht seit vielen Monaten einen Ausbildungsplatz. 
Foto: Fabian Gebert | Christoph Mahr in seinem Garten in Gräfenneuses bei Geiselwind. Der 18-Jährige hat das Asperger-Syndrom und sucht seit vielen Monaten einen Ausbildungsplatz. 

Obwohl es ihm schwerfällt, Menschen länger in die Augen zu schauen, bemüht er sich darum, sagt er. Dass er das heute kann, liegt vor allem am "sozialen Kompetenztraining", das Christoph Mahr seit drei Jahren macht. Dabei habe er unter anderem gelernt, den Blickkontakt zu halten und bei Feierlichkeiten mit am Tisch zu sitzen; auch wenn er meist "nur etwas trinkt und isst und dann wieder in sein Zimmer geht", sagt Mutter Barbara Mahr.

"Sollte nicht auch bei einer Ausbildung die Inklusion behinderter Menschen im Vordergrund stehen?"
Barbara Mahr, Mutter von Christoph Mahr

Aus Sicht der Eltern fördern Ämter oft nur das Nötigste bei Menschen mit Autismus 

Die Vorgeschichte: Nachdem eine Kinderpsychologin 2011 bei Christoph Mahr Asperger-Autismus diagnostiziert hatte, empfahl sie seinen Eltern, ihn in eine Förderschule zu schicken. Diese ist auf die Bedürfnisse von Autisten ausgelegt. Die Familie ist heute sehr dankbar dafür, dass ihr Sohn einen Platz in der Dr.-Karl-Kroiß-Schule in Würzburg – mit dem Förderschwerpunkt Hören und Kommunikation – bekommen hat.

"Mit der Schule waren wir immer zufrieden", sagt Barbara Mahr, "aber die Ämter machten uns oft Probleme. Nur was absolut nötig ist, wird gefördert." So habe sie zunächst nicht gewusst, dass ihrem Sohn eine Schulbegleitung zusteht. Erst über die Kinderpsychologin haben sie erfahren, dass er Anspruch darauf hat: "2011 habe ich beim Jugendamt nachgefragt. Die wussten nicht, wovon ich rede. Wir mussten die Schulbegleitung dann bei uns einstellen. Die Kosten dafür wurden größtenteils vom Jugendamt getragen". Erst 2013 habe das Jugendamt der Familie bewilligt, bei einem karitativen Träger einen Antrag auf Schulbegleitung zu stellen. 

Mit der Diagnose sei die Familie von Anfang an offen umgegangen: "Als wir vor acht Jahren nach Gräfenneuses gezogen sind, haben wir der ganzen Nachbarschaft gesagt, dass Christoph Asperger-Autist ist", erzählt Ludwig Mahr. Gerade weil auf Außenstehende manches befremdlich wirke, sei es wichtig, sie aufzuklären: "Was für uns normal ist, kann für andere verwirrend sein. Etwa wenn man Christoph klare und kurze Anweisungen gibt, statt ihn umschweifig um etwas zu bitten." Die Kommunikation dürfe nicht verschlüsselt sein. Auch Witze und Ironie verstehe er nicht.

Im Büromanagement fühlt sich Christoph Mahr am wohlsten

Durch zahlreiche Praktika in verschiedenen Bereichen hat Christoph Mahr herausgefunden, was zu ihm passt: "Ich war schon in der Buchhaltung und im Marketing. Außerdem habe ich ein Praktikum als Industriekaufmann gemacht. Es war interessant, aber im Büromanagement fühle ich mich am wohlsten", sagt er. "Allerdings", fügt Barbara Mahr hinzu, "könnte er niemals in einem Großraumbüro arbeiten." Der Geräuschpegel und die Hektik würden ihm das Arbeiten erschweren. Er brauche einen Arbeitsplatz in ruhiger Atmosphäre, an dem er strukturiert arbeiten kann. 

Im Grunde, sagt Ludwig Mahr, müsse der Arbeitgeber nur eine Handvoll Dinge beachten, um Christoph ein gutes Arbeitsumfeld zu schaffen: "Wichtig ist vor allem, ihm klare Arbeitsanweisungen zu geben." Unter guten Bedingungen sei sein Sohn ein sehr zuverlässiger und ehrlicher Mitarbeiter: "Autisten sind sehr genau und können nicht lügen." Und er fügt lachend hinzu: "Selbst Dialekt spricht er nicht, weil alles seine Richtigkeit haben soll." 

Asperger -Autimsmus

Menschen mit Asperger-Syndrom, eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS), haben 
Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und eingeschränkte Kommunikationsfähigkeiten, was unter anderem daran liegt, dass sie nicht-sprachliche Zeichen wie Mimik oder Gestik bei anderen schwer oder gar nicht deuten können.
Oft haben Menschen mit Asperger-Autismus ein starkes Interesse an bestimmten Themen und zeigen wiederholende Verhaltensweisen. Daher sind für sie Routinen sehr wichtig. 
Sie haben häufig eine hohe Intelligenz und spezielle Talente. Eine individuelle Unterstützung und angepasste Förderung sind wichtig, um ihnen ein erfülltes Leben zu ermöglichen.
Quelle: nasi
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Gräfenneuses
Nargis Silva
Arbeitgeber
Autisten
Behinderte
Praktikumsplätze
Stadt Gerolzhofen
Söhne
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • M. F.
    Ich wünsche dem jungen Mann beruflich nur das Beste. Vielleicht sollte er mal ein Praktikum im IT- Bereich machen. Da ist der Kundenkontakt meist gering und er könnte von zu Hause aus arbeiten. Ist vor allem ein Bereich mit absolutem Zukunftspotential.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • U. A.
    Vier Bewerbungen in knapp zehn Monaten?
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • Veraltete Benutzerkennung
    Der junge Mann hat 4 (in Worten:vier) Bewerbungen geschrieben für einen Beruf, in dem er Dinge tun muss (telefonieren, Kundenkontakt) die er nicht so gut kann und beschwert sich nun über mangelnde Chancen? Aha.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • T. H.
    Vielleicht ist "Bürokaufmann" nicht der richtige Beruf, wenn man nicht telefonieren kann und keine normale Konversation führen kann. Die Kunden und Geschäftspartner am Telefon wissen ja nicht, dass Christoph nur direkte Ansagen versteht. Als Koch oder Mechatroniker könnte ich ihn mir besser vorstellen.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • E. K.
    Mir unverständlich, weshalb Christoph mit diesen Einschränkungen und den guten Noten nicht weiterhin die Schule besucht.
    Wenn ihn die Ausbildungsbetriebe mit seinem guten Realschulabschluss aktuell noch nicht wollen, muss er sich so lange weiterbilden, bis sie keine andere Wahl mehr haben, als ihn einzustellen ..
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • M. S.
    Vier geschriebene Bewerbungen seit letztem September sind halt leider auch nicht sonderlich viel; trotz der Praktika. (steht so im ersten Absatz des Artikels). Da kann man nicht unbedingt damit rechnen einen Ausbildungsplatz zu bekommen.

    Ein Notenschnitt von 1,8 ist zwar beachtlich, aber gerade in den Berufen in denen man sich nicht schmutzig macht drängeln sich manches Mal noch die (sehr guten) Bewerber.

    Jedenfalls wünsche ich dem jungen Mann schnellstmöglich einen passenden Ausbildungsplatz. In Zeiten des demografischen Wandels läuft die Zeit jedenfalls er für als gegen ihn.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • S. K.
    jeder redet von Inklusion
    wenns dann aber mal wirklich drauf ankommt
    dann waren die Sprüche
    leider nur heiße Luft
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • D. E.
    Die Ängstlichkeit möglicher Ausbildungbetreibe ist einfach nur beschämend!
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten
  • M. B.
    @wiggins - Inklusion ist in diesem Bereich nun mal mit viel Mehrarbeit des Ausbilders im Vergleich mit Azubis ohne Einschränkungen verbunden auch wenn dies die Eltern nicht so sehen. Gerade in Firmen mit wechselnden Einsatzbereichen muss ein Autist zu Beginn gut "eingeführt und auch entsprechend begleitet werden" Allen neuen Kollegen müssen die Probleme und Besonderheiten immer wieder von vorne erklärt werden. Das kostet viel Zeit, die heute oft nicht mehr vorhanden ist. Ein Asperger arbeitet fast immer sehr sorgsam, allerdings sind die Probleme im Bereich Kommunikation oft sehr deutlich. Auch für die Berufsschule bedarf er viel mehr Zeit für Gespräche.
    Generell ist der Beruf gerade - wie gewünscht - in kleinen Betrieben nur mit Kundenkontakt z.B. telefonisch möglich. Der junge Mann sollte sich entsprechend umorientieren.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten