Jürgen Orth geht zum Geländer und schaut in die Tiefe: Zwölf Meter geht es hinunter. Es ist dunkel dort, sehen kann man kaum etwas. Lediglich das plätschernde Geräusch lässt vermuten, dass sich hier Wasser bewegt, in großen Mengen. Ein strenger Geruch steigt auf. "Hier kommt das Abwasser an", erklärt Orth, der seit 2002 Betriebsleiter im Klärwerk Kitzingen ist. "Und so riecht es auch." Hier, am Einlaufhebewerk, beginnt der Weg des häuslichen Abwassers, das aus der Stadt Kitzingen sowie den Gemeinden Mainbernheim, Rödelsee, Buchbrunn, Sulzfeld und Marktsteft einläuft.
Nachdem das Wasser auf das Höhenniveau des Klärwerks angehoben ist, beginnt die mechanische Reinigung. Eine Maschine, die in einer kleinen Halle steht, filtert Feuchttücher, Hygienetücher und alles, was nicht in die Toilette gehört, heraus. Schon als das Rolltor hochfährt, steigt einem der Geruch in die Nase. Aus den Containern, in denen das getrocknete, aussortierte Gut liegt, steigt Dampf auf. Wieder draußen werden in weiteren Becken Stoffe wie Fett oder Sand aus dem Wasser genommen. Ein Räumer fährt im nächsten Schritt im Vorklärbecken durch das Wasser, Schlamm setzt sich am Boden ab.
Ein Weg, der sich bis dato erst mal nicht von anderen Klärwerken unterscheidet. Doch eines ist in Kitzingen anders: Der Schlamm, der im Vorklärbecken gewonnen wird, wandert weiter in eine Faulung. Und hier startet die eigene Energiegewinnung des Klärwerks. Doch dafür braucht es mehr als häusliches Abwasser.
Eigenenergie durch Faulung und Photovoltaikanlage
Aus Prichsenstadt kommt seit Mai 2015 das Abwasser der Hanina GmbH. Die Kommune hat damals festgestellt, dass sie das Abwasser selbst nicht aufnehmen kann, weil das dortige Klärwerk überlastet ist. Statt es zu vergrößern, entschied man sich für die wirtschaftlichere Variante: fünf- bis sechsmal die Woche einen Laster mit 20 000 Litern stark verschmutztem Abwasser nach Kitzingen zu fahren und es dort in die Faulung zu geben.
Im April 2018 folgt ein zweiter Abwasserstrom von außerhalb: von der Firma Tecosol aus Ochsenfurt. Nachdem diese die Biodiesel-Produktion erhöht hatte, konnte das Abwasser nicht mehr ganz im Klärwerk Ochsenfurt aufgenommen werden. Ein Teil kommt nach Kitzingen und dort ebenfalls in die Faulung. "Das Abwasser ist stark verschmutzt. So viel Sauerstoff könnte man gar nicht einblasen, damit das Wasser sauber wird", erklärt Orth.
Ein Deal, der sich für alle Beteiligten lohnt, denn die Abwasserreinigung ist der größte Energiefresser in der gesamten Kommune. "Wir brauchen am Tag so viel Strom und Energie wie ein Haushalt in einem Jahr", sagt Orth. In den Faulbehältern entsteht Gas, das in Blockheizkraftwerken verbrannt wird. Durch den Verbrennungsprozess entsteht Strom und Wärme. Und zwar so viel, dass in Kombination mit der Energie durch eine Photovoltaikanlage der Strombedarf der gesamten Anlage mehr als gedeckt wird. Zumindest in der Theorie.
Noch kein Energiespeicher möglich
In der Praxis gibt es noch einen Haken: "Wir können noch nicht zeitnah den Strom erzeugen, den wir brauchen", erläutert Orth. So sei es bei Regen aktuell nicht möglich, den deutlich höheren Stromverbrauch zeitgleich durch die gewonnene Energie abzudecken. "Aktuell können wir noch keine Energie zwischenspeichern." Obwohl man sich schon Gedanken über einen Zwischenspeicher macht, dürfte sich die Investition erst Jahre später lohnen.
Was in den Faulbehältern passiert, sieht man nicht. Die Bakterien brauchen es dunkel und warm. Die Behälter sind aufgeheizt auf 40 Grad. Während die Abwässer aus Prichsenstadt und Ochsenfurt 40 Tage in den Faulbehältern brauchen, bis sie sauber sind, fließt das häusliche Abwasser bei Trockenwetter innerhalb eines Tages durch die gesamte Anlage. Was beide Arten des Abwassers in Kitzingen dennoch gemeinsam haben: Sie fließen durch die sechs Belebungsbecken.
Die sechs Becken sind in Zweierreihen hintereinander angeordnet. In einigen kommen Wasserblasen auf, andere sind ruhig. Hier beginnt die biologische Abwasserreinigung und hier leben Bakterien. "Wir haben Milliarden Mitarbeiter da drin, die das Abwasser reinigen", sagt Orth durchaus ernst gemeint. Dann geht es weiter ins Nachklärbecken, der letzten Station bevor es unterirdisch in den Main fließt.
Abwasserreinigung erfolgt weitestgehend automatisch
Die Reinigung des Abwassers läuft weitestgehend automatisch. Doch neben etwaigen Störungen müssen die Mitarbeiter auch anderes ständig im Blick haben. "Wir müssen jeden Tag schauen, wie viel Schmutz in die Anlage kommt und wie viele Bakterien wir brauchen, um den Schmutz zu entfernen", erklärt Orth. "Wir sind momentan doppelt so hoch belastet wie im Sommer." Jetzt, in der Weinlesezeit, in der durch das Spülen der Fahrzeuge oder das Reinigen der Weinpressen, mehr Schmutzwasser in die Kläranlage kommt, müsse man Bakterien aufstocken, was durch die Regulierung der Klärschlamm-Menge geschieht. Das Gegenteil sei im Juli und August der Fall, wenn Ferienzeit ist. "Dann sind wir unterlastet. Dann haben Firmen Betriebsurlaub und auch in den Privathaushalten sind viele weg."
Die Generalsanierung im Klärwerk Kitzingen, die seit 2012 in vollem Gange ist, ist noch längst nicht abgeschlossen. 2014 hat das Werk seine Blockheizkraftwerke ausgetauscht. Im kommenden Jahr werde ein weiteres hinzukommen, so Orth. Der gelernte Chemielaborant und Abwassermeister, der sich dreimal im Jahr mit anderen Klärwärtern trifft und diese in neuen Verfahren schult, hat auch schon eine Vermutung, wie es in der Branche weitergeht: "Die große Neuerung in den nächsten Jahren wird die vierte Reinigungsstufe sein, um Medikamentenrückstände, Hormone und Mikroplastik aus dem Wasser zu holen."
Aktuell ist eine derartige Anlage, die eine Investition von mehreren Millionen Euro erfordern würde, noch nicht vorgeschrieben. "Aber", ist sich Orth sicher: "Es wird kommen."