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Kitzingen
Eine Stadt und ihr Müllproblem: So viel kostet die Abfallentsorgung in Kitzingen den Steuerzahler jedes Jahr
Die Beschwerden über Müll in der Stadt reißen nicht ab. Wie berechtigt sind sie, und wer muss den ganzen Dreck eigentlich wegmachen? Auf Tour mit der Kitzinger Stadtreinigung.
Der Mann von der Kitzinger Stadtreinigung: Peter Hauck kennt jeden der etwa 40 Mülleimer in der Innenstadt, die ältesten stehen im Rosengarten.
Foto: Eike Lenz | Der Mann von der Kitzinger Stadtreinigung: Peter Hauck kennt jeden der etwa 40 Mülleimer in der Innenstadt, die ältesten stehen im Rosengarten.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:35 Uhr

Wenn die Sonne scheint, der Abend lau ist, weiß Peter Hauck, dass für ihn am nächsten Morgen wieder das böse Erwachen kommen wird. Die Stadt schläft noch an diesem Samstag, nur die Krähen kreisen kreischend und putzmunter über dem Eingang zur Kitzinger Fußgängerzone, wo Hauck um kurz nach 6 Uhr mit seinem orangen Dienstwagen vorfährt, auf der Ladefläche Schaufel, Besen, Eimer und – ein Bündel Plastiksäcke.

Der Abend vorher war ungewöhnlich mild, einer der ersten lauen Frühlingstage, die Cafés und Eisdielen gut besucht – und die Abfalleimer am Marktplatz brechend voll. Hauck nimmt es stoisch, er ist Kummer gewohnt. Von den Beschwerden, dass es in der Stadt immer dreckiger werde, hat er gehört. Am Ende der Tour mit Kitzingens ältestem Straßenfeger wird man zu einer überraschenden Erkenntnis gelangt sein. Und Hauck wird erklären: "Kritisch wird es erst, wenn wir keinen Müll mehr haben."

Was nicht mehr reinpasst, wird obendrauf gestellt. Überquellender Abfalleimer vor dem Kitzinger Rathaus.
Foto: Eike Lenz | Was nicht mehr reinpasst, wird obendrauf gestellt. Überquellender Abfalleimer vor dem Kitzinger Rathaus.

Wer dem vermeintlichen Abfallproblem im Stadtgebiet auf die Spur kommen möchte, würde nicht zuerst bei Walter Vierrether nachfragen. Doch Kitzingens Kultur- und Tourismusreferent war mit der Erste, der das Thema vor Monaten publik machte und eine Sauberkeitsoffensive anmahnte. Im Stadtrat sprach er von einem "leidigen Thema", das man "dringend angehen" müsse. Die Stadt solle nicht nur Manager anstellen, sondern auch Arbeiter. Peter Hauck ist ein Arbeiter, eigentlich schon Rentner. Vor Kurzem hat man ihn zurückgeholt für die heikle Mission Müll. Samstag und Sonntag ist er nun wieder auf den Straßen Kitzingens unterwegs, um die schlimmsten Auswüchse der Wegwerfgesellschaft zu beseitigen.

Mancher wird Hauck noch als Wirt des Kitzinger Markt-Cafés kennen

Hauck hat in seinem Leben schon so ziemlich alles gemacht. Er ist auf Dächern herumgekraxelt, hat Torten gebacken und nachts in einer Zeitungsdruckerei gearbeitet. Er stand am Fließband und sah die Gummibärchen an sich vorbeiflitzen, er war "Dienstleister aller Art" und "Stadtkümmerer" bei der Gartenschau 2011.  Mancher wird ihn noch als Wirt des legendären Kitzinger Markt-Cafés kennen, das er von 1978 bis in die 1990er-Jahre betrieb. Und als vor drei Jahren ein neuer Oberbürgermeister in der Stadt gesucht wurde, stand er als (parteiloser) Kandidat bereit. Sein Motto: Ich will, dass sich alles ändert.

Man übertreibt nicht, wenn man Hauck ein Stehaufmännchen und einen Lebenskünstler nennt. Ein Hans im Glück, dem es immer gelang, seinem Schicksal eine neue Wendung zu geben. Jetzt, mit knapp 70, ist er Alltags-Philosoph – und räumt weg, was andere Menschen achtlos wegwerfen oder fallen lassen.

Die Reste eines lauen Frühlingsabends: Vor allem Eisbecher und Bäckertüten finden sich in den  Mülleimern der Fußgängerzone.
Foto: Eike Lenz | Die Reste eines lauen Frühlingsabends: Vor allem Eisbecher und Bäckertüten finden sich in den  Mülleimern der Fußgängerzone.

Rund 40 Mülleimer klappert Hauck auf seiner morgendlichen Tour durch die Innenstadt ab, schimpft, wenn er mal wieder halbvolle Kaffee- oder Eisbecher darin findet, zieht verkeilte Pizzakartons oder Pfandflaschen aus den Behältern, die Reste eines feuchtfröhlichen Abends. 2010 begann er seinen Job als Stadtreiniger. Schocken kann ihn schon lange nichts mehr. Um 6.54 Uhr – die Sonne blinzelt gerade über das Dach des Rathauses – ist der erste Plastiksack voll.

Frage an den Bauhofleiter: Ist es wirklich schmutziger geworden?

Die Stadt und ihr Müll – zwischen 30 und 35 Kubikmeter kommen alle drei Wochen zusammen. Abfall, der in Mülleimern, auf der Straße oder einfach in der Natur landet. Aufs Jahr gerechnet ergibt das einen Berg von 600 Kubikmetern. Den Steuerzahler kostet die Entsorgung 230.000 Euro, das Team um Bauhofleiter Georg Günther viel Kraft und Nerven. Ruft man Günther an seiner Arbeitsstelle an, spricht er von einem "schwierigen Thema". Dass es in der Stadt schmutziger geworden sei, will er so nicht bestätigen. Im Februar fiel für sechs Wochen die Kehrmaschine aus – schon möglich, dass die Beschwerden aus dieser Zeit rühren.

Eines jedoch haben sowohl Günther als auch Hauck beobachtet: In den öffentlichen Mülleimern wird zunehmend privater Hausmüll entsorgt. Manche Behälter wurden deshalb schon versetzt, andere mit kleineren Öffnungen versehen, damit die großen Tüten mit dem Hausmüll nicht mehr durchpassen. Jetzt liegt der Müll einfach neben den Körben. Hauck glaubt zu wissen, wann genau sich das Problem verschärft hat: ab dem Moment, wo der Landkreis kleinere Mülltonnen mit der Hälfte des Volumens eingeführt hat.

Am Kitzinger Falterturm verschwindet Peter Hauck mit seinem Greifer mal kurz hinter dem Efeu.
Foto: Eike Lenz | Am Kitzinger Falterturm verschwindet Peter Hauck mit seinem Greifer mal kurz hinter dem Efeu.

Inzwischen ist Hauck vor dem Rathaus angekommen. Der Boden vor der Bushaltestelle ist übersät mit Pistazienschalen, eine Taube pickt sich durch die Reste. Hauck greift nach dem Reisigbesen und fegt die Schalen zu einem kleinen Haufen zusammen. Um 7.59 Uhr ist der zweite Sack voll. Die Schalen findet man auch in der Grünanlage am Königsplatz und rund um einen Baum in der Würzburger Straße. Fragt man Walter Vierrether, der als Kitzinger Hofrat viel in der Stadt herumkommt und sein Ohr am Bürger hat, dann nennt er als "Problemzonen" den Rosenberg am Roxy-Kino, die Obere Kirchgasse, die Fischergasse und die Würzburger Straße, zum Teil auch die Schrannenstraße und den Leidenhof.

"Die Gehsteige sind stets in reinlichem Zustand zu halten und von Gras und Unkraut zu befreien."
Reinigungsverordnung der Stadt Kitzingen

Man könnte meinen, die Straßenkehrer würden ihrem Job nicht ordentlich nachkommen. Oberflächlich betrachtet wirkt es so – und wer der Sache auf den Grund gehen will, muss sich tief durch den Bereich von Satzungen und Paragrafen wühlen. Dort, in der "Verordnung der Stadt Kitzingen über die Reinhaltung und Reinigung der öffentlichen Straßen und die Sicherung der Gehbahnen im Winter (Reinigungs- und Sicherheitsverordnung)", ist eindeutig geregelt, dass in den meisten Bereichen die Anwohner für die Sauberkeit zuständig sind. Sie haben Gehsteige und sogar einen Teil der Fahrbahn "stets in reinlichem Zustand zu halten, von Gras und Unkraut zu befreien und den Kehricht, Schlamm und sonstigen Unrat zu entfernen". Übersetzt heißt das: Jeder kehre erst mal vor seiner eigenen Tür.

Verdreckte Gehwege wie hier am Königsplatz müssten eigentlich die Anwohner sauber halten.
Foto: Eike Lenz | Verdreckte Gehwege wie hier am Königsplatz müssten eigentlich die Anwohner sauber halten.

Auf dem Dorf werde noch regelmäßig gefegt, sagt Georg Günther. In der Stadt wird diese Bürgerpflicht gern mal übersehen oder ignoriert. Was dagegen hilft? "Aufklärung, nur Aufklärung", sagt Günther. Aber das Problem fange schon damit an, dass bei Mehrfamilienhäusern die Post an den Vermieter geht, der sie an seine Mieter weitergeben müsse. Und es endet damit, dass manche die Schreiben mangels hinreichender Sprachkenntnisse nicht verstehen. In letzter Konsequenz helfen wohl nur Bußgelder.

Oberbürgermeister Stefan Güntner versichert auf Nachfrage, die Sauberkeit der Stadt liege ihm sehr am Herzen. Vor einiger Zeit wurden auf beiden Seiten des Mainufers spezielle Behälter aufgestellt, in denen Pizzaschachteln und Flaschen entsorgt werden können. Als Peter Hauck am Morgen einen der Abfalleimer öffnet, flattert ihm erst einmal jede Menge Papier und Servietten entgegen – nicht im Sinne des Erfinders.

Am Narreneck befüllt Peter Hauck den dritten und letzten Müllsack auf seiner Tour durch die Innenstadt.
Foto: Eike Lenz | Am Narreneck befüllt Peter Hauck den dritten und letzten Müllsack auf seiner Tour durch die Innenstadt.

Hauck ist auf seiner Tour am Falterturm angekommen, Narreneck, Schlappmaulbrunnen, alles blitzblank an diesem Samstag. "Die Stadt", sagt er, "sollte immer so sauber sein, als hätte sie ein Rendezvous mit der Welt." Die Sonne steht nun hoch am Himmel, Kitzingen ist erwacht. Der Mann mit dem Schlapphut legt den Besen in sein Fahrzeug und wird noch einmal zum Philosophen. Gebe es keinen Müll mehr, werde es problematisch. Denn: "Die Menschen können nur wegwerfen, was sie vorher gekauft und konsumiert haben." Es ist 8.43 Uhr, und auch der dritte Sack ist voll.

 
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  • E. K.
    Als Bürger mit einem zugegeben übermäßig ausgeprägten Gerechtigkeitssinn ist es mir unverständlich, weshalb die Anwohner den angrenzenden Bürgersteig kehren sollen, weil der Bürgersteig bekanntlich nicht deren Besitz, sondern das Eigentum der Kommune ist grinsen
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