Es ist ein gewaltiges Monstrum, das eines Morgens unvermittelt in der schmalen Sackgasse einer Iphöfer Siedlung steht. Anwohner sprechen von einer „Art Panzer“, einem Panzer, der in der Lage ist, Wasser zu spucken, und der meterhohe Fontänen in die Luft speit. „Richtig aufregend“ sei das gewesen, erzählt einer der Männer mit leuchtenden Augen. So etwas werde er vermutlich nicht noch einmal erleben.
Tage später ist vom Auftritt des Monsters nur noch ein quadratisches Loch in der Straße geblieben. Man blickt etwa einen Meter tief in den matschigen Schlund, schwarze Kabel, manche dick wie Oberarme, verschwinden in einem kleinen Tunnel. Wo sie enden, kann man nur ahnen – hinterm Horizont geht’s weiter. Rund 80 Meter habe sich das Ungetüm durch den Untergrund gefressen, erzählt der Mann.
Die Freileitung war einst eine schnelle und günstige Lösung
In Iphofen hat der lange geplante Abbau der alten Freileitung begonnen. Sie stammt noch aus dem Jahr 1962, und wer einen genaueren Blick auf die fragil wirkenden Masten wirft, mit der sich die Leitung über die unter ihr liegenden Einfamilienhäuser im Bereich des Stadtgrabens West spannt, bekommt eine Ahnung, warum es für den Nürnberger Energieversorger N-Ergie höchste Zeit ist, den Abbau jetzt voranzutreiben. Der Beton, jahrzehntelang allen Launen des Wetters und der Natur ausgesetzt, ist porös geworden, an den Eisenträgern nagt der Rost. Als die Leitungen gebaut wurden, waren sie meist eine kostengünstige und schnelle Lösung. Doch sie sind störanfälliger, etwa durch Blitz- oder Sturmschäden, und auch der Wartungsaufwand ist höher. Deshalb werden sie vielerorts durch Erdkabel ersetzt.
Rund 27 000 Kilometer misst nach eigenen Angaben das Stromnetz der N-Ergie AG, der größte Teil der Leitungen schwingt sich über ausladende Stahlgittermasten durchs Land, manche bis zu 60 Meter hoch. „Freileitungen über bewohnte Gebäude hinweg sind eine große Ausnahme“, teilt das Unternehmen auf Anfrage mit. Eine davon ist die 500 Meter lange Mittelspannungsleitung (20 000 Volt) in Iphofen, die die Trafostationen in der Bahnhofstraße und in der Mainbernheimer Straße verbindet und dabei Gärten und Häuser überquert. Da Freileitungen elektrische und magnetische Felder erzeugen, landläufig bekannt unter dem Begriff Elektrosmog, sind sie schon vor längerer Zeit ins Gerede gekommen.
Als die Leute bauten, war die Stromleitung schon da
Die N-Ergie verweist in ihrer Stellungnahme auf Risikominimierung durch „konsequente Einhaltung der Mindestabstände“ und weitere „technische Vorkehrungen“. Fragt man die Bewohner, die an diesem Nachmittag in der Iphöfer Dr.-Karlheinz-Spielmann-Straße vor ihrem Haus stehen, hört man auch auf Nachfrage nichts von gesundheitlichen Beschwerden oder sonstigen Beeinträchtigungen. Als sie 1978 hier ihren Bungalow bauten, war die Leitung schon da, erzählt ein Ehepaar auf der Straße. Oft sammelten sich dort scharenweise Vögel, um zu rasten oder sich zum Abflug bereit zu machen.
Die Stärke elektromagnetischer Felder ist im Nahbereich oberirdisch geführter Hochspannungsleitungen am höchsten. Bei den im Mittelspannungsnetz üblichen zehn bis 20 Kilovolt sind diese Felder bereits in einer Entfernung von zehn Metern kaum noch wirksam, wie es vor Jahren in einer Studie der RWTH Aachen hieß.
Künftig wird der Strom zwischen den Trafostationen durch große Erdkabel fließen; sie sind weniger störanfällig und oft leistungsstärker als die gängigen Freileitungen. Um sie unter die Erde zu bringen, kommt schweres Gerät zum Einsatz, vor allem im Bereich privater Grundstücke und Gärten, weil der Einbau dort möglichst schonend ablaufen soll. Die Maschine, die Anwohner in Iphofen als Monstrum beschreiben, treibt von einer Grube aus im sogenannten Spülbohrverfahren einen Bohrkopf vor sich her, fräst passgenau einen Tunnel in den Untergrund und zieht – bevor sie die Röhre verlässt – Leerrohre ein. Durch sie werden später die Stromkabel geschoben.
Der Rückbau kostet den Versorger 200 000 Euro
Mehrere Tage dauerte das Spektakel im hinteren Teil der kleinen Sackgasse. Und nun ragen die Enden des Erdkabels aus dem Schacht, die nun auf öffentlichem Grund weitergeführt werden. Die Fräskanten im Gehsteig sind schon gesetzt; bald wird es auch dort losgehen. Ganz billig ist das alles nicht. Rund 200 000 Euro wird die N-Ergie nach eigenen Angaben allein in diese Baustelle stecken. Jährlich sind es 100 Millionen Euro, die der Energieversorger in den Ausbau und Unterhalt seines Netzes investiert. Bis die Leitung und alle Masten abgebaut und aus dem Stadtbild verschwunden sind, dürfte es Frühjahr 2021 werden.