Der Applaus am Ende ist heftig und ausdauernd. Begeistert stehen die Besucher von ihren Plätzen auf, erst einige wenige, dann immer mehr, schließlich steht der ganze Saal und klatscht. Die River Queen, sie hat das Publikum mit auf eine wilde Reise genommen und ist jetzt am Ziel. Durchatmen bei allen Beteiligten, vor und auf der Bühne, nach mehr als zwei atemraubenden Stunden großer und überraschender Emotionen.
Wenn an diesem Sonntag, nach sechs fast immer ausverkauften Abendvorstellungen, der letzte Vorhang gefallen ist, werden fast 2000 Menschen das neueste Musical des Egbert-Gymnasiums Münsterschwarzach (EGM) gesehen haben – hin- und hergerissen von einer wunderschönen und meisterlich dargebotenen Co-Produktion zwischen Schauspielern und Musikern, zwischen Bühne und Orchestergraben, wo der Maestro Markus Binzenhöfer den ganzen Abend über persönlich den Taktstock schwingt.
Ein abgetakelter Dampfer mit einer bis in die Haarspitzen emanzipierten Kapitänin, die in ihrem Männerhass sogar bereit ist, den eigenen Untergang zu riskieren; eine erwartbare, aber schwierige Romanze zwischen Kapitänstochter und Passagier sowie eine unkalkulierbare Gefahrenlage, die wie aus dem Nichts die heitere, gelöste Stimmung platzen lässt – kann man aus so einem Stoff ein Musiktheater machen, das die Leute unterhält und berührt? Die Antwort lautet: Ja, man kann. Vor allem, wenn das Ganze so subtil und einfühlsam verpackt ist wie in diesem Fall.
Auch dieses Musical stammt aus der Feder des Direktors
Die glitzernde Bühnenshow ist deutlich mehr als eine Nummernrevue, sie ist ein dramaturgisch ausgeklügeltes Theaterstück, das über seine starken Songs und die Energie ihrer Performer jederzeit den Funken zum Publikum überspringen lässt. Wie die vergangenen vier Musicals am EGM stammt auch dieses aus der Feder von Direktor Markus Binzenhöfer. Er hat die Geschichte mit ihrer klugen Poesie in ein Libretto gefasst und gleichzeitig in Musik übersetzt. Jede Szene wird von passenden Melodien getragen, von sanften Balladen bis hin zu kraftvollen Hymnen, manche so eingängig, dass man sie noch lange auf dem Nachhauseweg summt.
Diese Geschichte hat alles. Sie hat Lachen, Weinen, Liebe, Heldentum, das Drama. Sie hat Relevanz und eine Botschaft. Mag das Ganze auch im Amerika der 1950er-Jahre spielen, so es ist doch ein irritierend zeitgenössisches Stück, das in Zeiten voller Krisen, Kriege und globaler Notstände aktueller kaum sein könnte. Aber man blickt eben nicht bloß in den Abgrund, gewärtigt nicht nur die drohende Apokalypse, sondern man bekommt auch Hoffnung gespiegelt und einen Ausweg aus der Dunkelheit gezeigt.
Die Menschen wollen auch im Musical inzwischen mehr
Dieses Stück ist auch deshalb nicht aus der Zeit gefallen, weil es ein Publikum adressiert, das auch im Musical inzwischen mehr will als Rollschuh laufende, singende Katzen. Die Menschen sehnen sich nach Sinn, nach Inspiration, nach einem Bezug zur Realität auch im Entertainment. Das alles greift diese Geschichte auf – mit Emotion, sinnlicher Überwältigung und der ganzen Opulenz, die dieses Genre zu bieten hat.
Getragen wird der kurzweilige Abend von einem Ensemble, dem man die Lust, singen und spielen zu dürfen, jede Minute anmerkt. Der Orchestergraben im frisch renovierten Theatersaal bietet kaum Platz für all die jungen Musiktalente der Schule, dazu die beeindruckenden schauspielerischen und gesanglichen Leistungen auf der Bühne.
Fast jede der Hauptrollen ist doppelt besetzt, die Crew wechselt tageweise, nur Anne Krämer sieht man durchgehend als resolute Kapitänin Patricia Rocket. Ihre zerrissene Tochter Sue spielt mal Anna Wirsching, mal Emilia Weidt, den hilflosen Broadway-Star Neill Malvis mal David Oppermann, mal Jan Eberhardt, und den (zu) hilfsbereiten Schiffsjungen Geoffrey verkörpern Lena Till und Ada Patriche.
Die Zuschauer gehen, teils mit Gänsehaut, aus dem Saal und hinaus in die Nacht – nachdenklich, aber in der Gewissheit: Dunkles geht vorbei, es wird alles wieder neu. Vor uns liegt ein neuer Tag.