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Kitzingen
Entlassungen bei Klavierbauer Seiler: Koreanischer Konzern Samick reduziert Produktion in Kitzingen auf ein Minimum
Seiler baut seit 175 Jahren hochwertige Tasteninstrumente. Jetzt wurde bei der Kitzinger Firma vielen Mitarbeitern gekündigt. Was Geschäftsführer und Betriebsrat sagen.
Der traditionsreiche Kitzinger Klavier-Hersteller Seiler ist in der Krise. Der schleppende Absatz seiner Instrumente hat jetzt Entlassungen zur Folge.
Foto: Harald Keitel (Archivbild) | Der traditionsreiche Kitzinger Klavier-Hersteller Seiler ist in der Krise. Der schleppende Absatz seiner Instrumente hat jetzt Entlassungen zur Folge.
Andreas Brachs
 |  aktualisiert: 08.08.2024 02:45 Uhr

Längst ist nicht mehr alles Gold, der Glanz ist verblasst. Der Klavierbauer Seiler im Kitzinger Industriegebiet "Goldberg" muss sogar fürchten, dass es bei Gewitter ins veraltete Produktionsgebäude regnet. Nur die Grünflächen davor sind picobello. "Wir haben sonst nicht viel zu tun", sagt René Olbrich und zeigt aufs kurzgeschorene Gras. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende spürt wie seine gut 20 Kolleginnen und Kollegen seit Monaten den Auftragsrückgang. Nun gibt es Kündigungen.

Im Oktober 2023 hatte Samick, der koreanische Mutterkonzern der Seiler Pianofortefabrik, laut Betriebsrat einen Großauftrag für Flügel und Klaviere storniert. Instrumente in verschiedenen Fertigungsphasen füllen das Lager in Kitzingen. Niemand weiß, ob sie jemals zu Ende gebaut werden.

Krise auf dem Weltmarkt bei Luxusprodukten: Klavierbauer leidet unter schleppender Nachfrage

Die schleppende Nachfrage auf dem Weltmarkt, erklärt Geschäftsführer Daniel (Sung Young) Kwon, habe zu einer "schrecklichen Situation" geführt und den Absatz der hochwertigen Seiler-Produkte einbrechen lassen. Verantwortlich für die Flaute seien wirtschaftliche Probleme im Hauptabsatzmarkt China und Sanktionen gegen Russland, wo es reiche Kunden gibt. Ein Klavier oder Flügel aus deutscher Produktion sei ein Luxusprodukt, sagt Kwon. An solchen Gütern werde in der Krise gespart.

Geschäftsführer Daniel (Sung Young) Kwon hat die Aufgabe, die Umstrukturierung bei Seiler in Kitzingen durchzuführen.
Foto: Andreas Brachs | Geschäftsführer Daniel (Sung Young) Kwon hat die Aufgabe, die Umstrukturierung bei Seiler in Kitzingen durchzuführen.

Mehr als 10.000 Euro kostet ein Klavier "made in Kitzingen", bis zu 160.000 Euro ein großer Konzertflügel. Auch der Umsatz im kriselnden Europa liege am Boden, erklärt der Seiler-Geschäftsführer: "Die Lager der Produzenten und der Händler quellen über."

Dieses Problem treffe nicht nur Seiler in Kitzingen, sondern auch Samick-Fabriken in Indonesien mit Tausenden von Mitarbeitern. Dort werden die "Billiglinien" der Seiler-Instrumente gebaut, wie Betriebsrat René Olbrich sagt. 

Koreanischer Großkonzern Samick zieht bei Seiler in Kitzingen Konsequenzen

In Kitzingen zieht Samick jetzt Konsequenzen: Nach Kurzarbeit von März bis Juli hat Kwon der Belegschaft jetzt verkündet, dass neun Beschäftige in der Produktion und der Betriebsleiter gehen müssen. Bereits Ende 2024 sollen die Stellen abgebaut sein. Betriebsratsvorsitzender Nikolas Patsiouras und sein Stellvertreter Olbrich haben ihren Worten zufolge mit einem Anwalt Sozialpläne erstellt und Abfindungen erstritten.

Markenzeichen: Der Gussrahmen der Flügel und Klaviere weist auf den Produktionsort Kitzingen hin.
Foto: Harald Keitel (Archivbild) | Markenzeichen: Der Gussrahmen der Flügel und Klaviere weist auf den Produktionsort Kitzingen hin.

Betroffen sind Auszubildende ebenso wie Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten dabei sind. Ein Klavierbauer und gefragter Klavierstimmer, der Mitte der 1970er-Jahre in die Firma eintrat, ist fassungslos: "Da steckt viel Herzblut drin." Die Instrumente aus Kitzingen hätten "Seele" und "Transparenz" - den typischen Seiler-Klang, heißt es in der Werbung.

Billigkonkurrenz für Seiler kommt aus Asien - vom Mutter-Konzern Samick

Werbung für ihre Produkte und Transparenz in den Gesprächen vermisst die Belegschaft allerdings. Die Wirtschaftslage sei schwierig, sagen auch die Betriebsratschefs Patsiouras und Olbrich. "Aber im Vertrieb und im Marketing wurde in den letzten zehn Jahren nichts gemacht." Andere Klavierbau-Firmen litten auch, "aber ein bisschen was geht bei denen trotzdem – bei uns geht nichts".

Handwerkskunst und Handarbeit seit 1849: Die Seiler Pianofortefabrik in Kitzingen gehört zu den traditionsreichen Klavierproduzenten in Deutschland.
Foto: Harald Keitel (Archivbild) | Handwerkskunst und Handarbeit seit 1849: Die Seiler Pianofortefabrik in Kitzingen gehört zu den traditionsreichen Klavierproduzenten in Deutschland.

Samick habe sich seit der Übernahme der damals insolventen Firma Seiler im Jahr 2008 darauf konzentriert, die deutschen Patente zu bekommen und die Kitzinger Handwerkskunst zu kopieren, sagen die Betriebsräte. In Indonesien entstanden Produktlinien wie "Eduard Seiler" und "Johannes Seiler", die nach Worten der Betriebsräte billigere Einstiegsmodelle bieten.

Die Qualität sei zwar nicht dieselbe wie die der Instrumente der puristischen Marke "Seiler", die in Kitzingen gefertigt werden. Doch nicht für jeden Laien sei der Unterschied erkennbar.

Ruhmreiche Vergangenheit, unsichere Zukunft: Collage mit Fotos aus der Anfangszeit der Firma Seiler, die in Liegnitz/Legnica in Schlesien ihren Ursprung hat.
Foto: Harald Keitel (Repro) | Ruhmreiche Vergangenheit, unsichere Zukunft: Collage mit Fotos aus der Anfangszeit der Firma Seiler, die in Liegnitz/Legnica in Schlesien ihren Ursprung hat.

Die Arbeitnehmer-Vertreter vermuten, dass hinter den Entlassungen eine Strategie des koreanischen Konzern stecken könnte: Samick reduziere den Standort Kitzingen auf ein Minimum, trenne sich von der teuren Fertigung in Deutschland und produziere ganz in Asien weiter. Den Standort Kitzingen behalte man nur, um die Marke zu erhalten und auf ein Teil der Instrumente "made in Bavaria/ Germany" stempeln zu können. 

Mitarbeiter fassungslos: Nach 175 Jahren Seiler geht viel Fachwissen und Handwerkskunst verloren

Geschäftsführer Kwon betont hingegen, dass die Produktion von Flügeln, also den hochwertigsten Seiler-Produkten, in Kitzingen erhalten werden soll. Allerdings nur noch in einem Gebäude; ein zweites werde verkauft. Wie er das mit einer Rumpf-Belegschaft bewerkstelligen will, ist den Mitarbeitern schleierhaft.

Ein Flügel entsteht in einer Vielzahl von Arbeitsschritten: vom Bau des Holzrahmens über den Einbau von Resonanzdecke und Tastatur, das Lackieren bis zum Intonieren. Das dauert viele Monate und erfordert Spezialisten, die jetzt bis auf wenige das Haus verlassen.

Samick habe angesichts der Zahlen keine andere Wahl, sagt Geschäftsführer Daniel Kwon. Die wirtschaftliche Lage werde sich so schnell nicht ändern. Die Mitarbeiter dagegen sprechen vom Verlust einer 175-jährigen Tradition, eines immensen Fachwissens - und eines Instruments mit unverwechselbarem Klang.

 
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  • Andreas Brachs
    Sehr geehrter Herr König,
    danke für Ihre Anmerkungen. Nur zur Verdeutlichung: Es ist ausdrücklich von zwei Betriebsräten im Artikel die Rede; einen weiteren dritten gibt es auch noch. Arbeitnehmer-Vertreter ist im weiteren Verlauf des Berichts nur ein Synonym für Betriebsrat.
    Freundliche Grüße
    Andreas Brachs
    Main-Post, Kitzingen
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  • Edgar König
    Ok- vielen Dank für die Klarstellung.
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  • Edgar König
    Seiler ist wohl eine der übelsten Geschichten, die einem Kitzinger Unternehmen nach dem Nationalsozialismus passiert sind.
    Eines der größten Musikinstrumentenbauunternehmen weltweit, mit tausenden Angestellten, opfert jetzt weitere 9 Stellen in einer Belegschaft von 20, um den Namen Seiler zu erhalten.
    Ordentlichen Betriebsrat mit Kündigungsschutz scheint es nicht zu geben, weil die Rede von einem Angestellten-Vertreter ist.
    Die Angestellten sollten sofort die Arbeit niederlegen, bzw. fristlos Kündigen, und sich andere Anstellungen suchen, oder kurzfristig Bürgergeld beantragen.
    Gerade den älteren Seiler-Mitarbeitern wäre mal ein mehrwöchiger - oder mehrmonatiger Urlaub gegönnt, während sich Samick überlegen kann, was ihnen der Name Seiler Kitzingen Wert ist.
    gez. R.König
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