
Mike ist zunächst ein ganz normaler Labrador, überaus freundlich, ständig zum Kuscheln bereit und keinem Leckerchen abgeneigt. So weit, so gut, aber Mike kann eindeutig mehr als viele seiner Zeitgenossen: Er ist Therapiebegleithund im Zentrum für Seelische Gesundheit, das in Würzburg dem König-Ludwig-Haus angegliedert ist.
Sein Frauchen Ilona Zwosta aus Großlangheim hat den siebenjährigen Labrador aus einer ungarischen Zucht in der Hundeschule Taubert in Sennfeld kennen gelernt. Die Tauberts sind darauf spezialisiert, Therapie-, Service- und Behindertenbegleithunde auszubilden. Von dort kam Mike 2019 zu Ergotherapeutin Ilona Zwosta, die selbst im gleichen Jahr mit der Zusatzausbildung als Fachkraft für tiergestützte Intervention begann. In 1500 Unterrichtseinheiten in einer Schule in Rossdorf bei Darmstadt schloss sie die Ausbildung nach ESAAT-Kriterien (European Society for Animal Assisted Therapy) ab, die dem Europäischen Qualitätsrahmen entsprechen.
Gemeinsam mit Mike bildet sie nun ein Therapiebegleithundeteam, bei dem es wichtig ist, dass man sich aufeinander verlassen kann. Zu den Grundeigenschaften ihres Hundes kommt hinzu, dass er in jeder Situation ausgeglichen, kommandosicher und am Menschen orientiert sein muss.
Die erwachsenen Menschen, mit denen beide arbeiten, leiden an psychischen Krankheiten wie Depressionen, Angst- und Panikstörungen. Manchmal haben sie auch posttraumatische Belastungsstörungen, sind mutistisch, können also nicht mehr reden. Hier kommt Mike zum Einsatz: Er ist zunächst einfach nur da.
Patienten entscheiden selbst, wie weit sie gehen wollen

Die Patientinnen und Patienten entscheiden dann selbst, wie sie sich dem Hund nähern wollen: zunächst nur beobachten, Fragen über ihn stellen, ihn berühren, ihn streicheln. "Mike ist ein toller Eisbrecher", sagt Ilona Zwosta über ihren Hund, "er motiviert und gibt Struktur." Oft bewirkt er eine Antriebssteigerung. Ist der Kontakt erst einmal aufgebaut, können die Klientinnen und Klienten mit Ilona Zwosta und Mike Gassi gehen, was für viele Leidtragende schon einen großen Schritt bedeutet. Zwei Querstraßen geht es hoch, sie führen den Hund zum Teil selbst an der Leine. Ziel ist es, einen Weg zu gehen, anzukommen. Für die Betroffenen bedeutet das viel. Meist regiert erst eine große Unsicherheit. Ist es dann geschafft, hat man ein Erfolgserlebnis und es stellt sich Stolz ein.
Noch weiter kann Ilona Zwosta gehen, wenn sich ihre Patientinnen und Patienten langsam öffnen, nämlich in einem Dummykurs mit Hund Mike. Man arbeitet hier mit einem Dummy, einem kleinen, mit Sand gefüllten Säckchen, welches der Hund apportieren soll. Dieses Training erfordert Disziplin in der Körpersprache, in verbalen Äußerungen. Besonders Menschen, die ihren eigenen Rahmen verloren haben, profitieren davon. Hierfür gibt Mike eine Struktur vor, in die man sich einfügen muss, sonst klappt das nicht. Die Patientinnen und Patienten können wieder lernen, Beziehungen einzugehen, erleben, dass der Hund zu ihnen zurückkommt. Sie können wieder vertrauen.
Ilona Zwosta steht voll und ganz hinter der Therapie mit ihrem Hund: "Ich bin ganz begeistert, wie wir als Team zusammenarbeiten; das gibt den Therapiestunden eine andere Dimension." Sie kann von vielen Erfolgsgeschichten mit Mike berichten. Eine der schönsten ist diese: Sabine (Name von der Redaktion geändert), Mitte 50, litt an einer schweren depressiven Episode, zusätzlich zu einem Autismus, und kam mit ihrem Alltag gar nicht mehr klar. Kommunikation war nur sehr eingeschränkt möglich.
Mit dem Therapiehund den Weg zurück ins Leben finden

Sabine wurde zunächst stationär therapiert; dann kam ambulant Mike ins Spiel. Über viel Bewegung und immer wieder über das Erleben von guter Beziehung und Nähe zu Mike gewann Sabine langsam ihr Urvertrauen wieder zurück. Sie, die vorher Angst vor Hunden hatte, legte sich nach zwei Jahren Therapie ihren eigenen Hund zu, wandert nun mit ihm durch die Lande und ist sogar fähig, mit ihm zusammen selbst organisiert auswärts zu übernachten. Sie hat ihr Leben nun auf eine ganz andere Weise kennen gelernt als vorher. Ein Erfolg von Mikes Mitarbeit.
Mike wird am Tag zweimal in bis zu 45 Minuten dauernden Therapiesitzungen eingesetzt, in denen er direkt mit den Patientinnen und Patienten arbeitet. Aber auch sonst ist er gegenwärtig. Er begleitet sein Frauchen in den Sitzungen im Therapieraum, und wenn er nichts zu tun hat, legt er sich auf seinen Platz und fällt in einen entspannten tiefen Schlaf. Manchmal legen sich dann Patienten zu ihm, spüren seine Wärme, seine Ruhe und Ausgeglichenheit, fühlen sich sicher. Und wenn er anfängt zu schnarchen, hat das auf die ganze Gruppe einen positiven Effekt, allein seine Anwesenheit wirkt entspannend. "Die Patienten kommen gerne, wenn Mike da ist", sagt Ilona Zwosta, "es herrscht eine ganz andere Stimmung durch den Hund."
Als Therapeutin muss sich Zwosta natürlich im Team mit Mike immer genau klar sein, was gerade ansteht; sie muss sich ständig selbst reflektieren. Und sie muss Mike schützen, er darf nicht zu viel eingesetzt werden, hat seinen Rückzugsbereich in ihrem Büro, wo er es sich auch in einer Hundebox bequem machen kann. Läuft Mike über den Gang, so achtet sie darauf, dass er nicht einfach so berührt wird. – Arbeit und Freizeit sind für ihn klar definiert.
Mike bildet einen "Lehrling" als Therapiehund aus

Viel Spaß hat er seit Kurzem mit einem anderen Hund: Liesl. Die Hündin ist seit einem halben Jahr bei Sozialtherapeutin Helena Heinrich und befindet sich noch in der Ausbildung zum Therapiebegleithund. Die kleine Lagotto-Romagnolo-Hündin hat ein sehr offenes und freundliches Wesen und wurde Therapeutin Heinrich nach einem Verhaltenstest beim Züchter zugeteilt. Sie bewohnt mit ihrem Frauchen zwei Tage in der Woche im Zentrum für Seelische Gesundheit das Büro neben Mike und hat in ihm ein perfektes Vorbild.
Aber wenn dann mal Pause ist, und Mike und Liesl in den kleinen Garten hinter dem Haus dürfen, verhalten sich die beiden Therapiehunde wie alle Hunde: Sie genießen die Sonnenstrahlen und ihre Freizeit.