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Mainbernheim
Drama um zwei ausgebüxte Ziegen bei Mainbernheim: Warum die Tiere jetzt zum Abschuss freigegeben sind
Seit Sommer treiben sich die Tiere an der Staatsstraße und der Bahnlinie herum. Weil sie den Verkehr gefährden, müssen sie weg – irgendwie. Ein Lehrstück über deutschen Kompetenz-Wirrwarr.
Seit Monaten durchstreifen zwei Ziegen (hier ein Vergleichsbild) die Flur bei Willanzheim. Genauso lange sind sie zur Gefahr für den Auto- und Bahnverkehr und damit zum Problem geworden.
Foto: Patty Varasano | Seit Monaten durchstreifen zwei Ziegen (hier ein Vergleichsbild) die Flur bei Willanzheim. Genauso lange sind sie zur Gefahr für den Auto- und Bahnverkehr und damit zum Problem geworden.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 08.02.2024 17:41 Uhr

Wenn die Willanzheimer Bürgermeisterin Ingrid Reifenscheid-Eckert sich vor Kurzem ins Auto setzte und die dreieinhalb Kilometer nach Mainbernheim fuhr, tauchten im Licht der Morgensonne bisweilen zwei Ziegen am Straßenrand auf. Auch an der dortigen Bahnstrecke wurden die Ziegen gesichtet.

Kurz vor Silvester rannte eine der Ziegen dann auf die Straße direkt vor ein Auto, von dem sie erfasst wurde, ehe sie, offenbar unverletzt, das Weite suchte. Spätestens von diesem Zeitpunkt an waren die Ziegen nicht mehr die putzigen Tierchen, die bei Sonnenaufgang romantisch in der Landschaft grasen, sondern ein potenzielles Sicherheitsrisiko, das es auszumerzen gilt – notfalls mit roher Gewalt.

Wildwechsel an der Staatsstraße von Willanzheim nach Mainbernheim? Das Schild steht dort wegen zweier freilaufender Ziegen.
Foto: Eike Lenz | Wildwechsel an der Staatsstraße von Willanzheim nach Mainbernheim? Das Schild steht dort wegen zweier freilaufender Ziegen.

Fährt man an einem leicht nebligen Februarmorgen die gut ausgebaute Strecke zwischen den beiden Ortschaften ab, fallen drei Dinge auf: Autos, die trotz fehlendem Tempolimit mit maximal 60 km/h unterwegs sind, ein geschlossener Anhänger auf einer Wiese, dessen Tür sperrangelweit offensteht, und zwei provisorisch aufgestellte Schilder, eines auf jeder Fahrbahnseite. Sie zeigen einen springenden Hirsch inmitten eines signalroten Dreiecks und warnen vor Wildwechsel. Ein Wildtier aber ist die Ziege nach gängiger Definition des Gesetzes nicht. Damit fangen die Probleme an.

Kurz vor Silvester sprang eine der Ziegen auf die Straße und vor ein Auto

Am Mittag des 28. Dezember 2022 kam es auf der Strecke zum bislang einzig dokumentierten Vorfall. Im Polizeibericht ist von "kreuzenden Ziegen" die Rede sowie von einer "weiteren Ziege", die unvermittelt auf die Fahrbahn und gegen ein langsam fahrendes Auto sprang. Am Auto entstand ein Schaden von 500 Euro, die beteiligte Ziege beging Unfallflucht.

Die Polizei in Kitzingen ist alarmiert. "Bislang", so teilt ihr Chef Jochen Dietrich auf Anfrage mit, "konnten die Streifen vor Ort die Ziegen jedoch nicht auf der Straße feststellen". Auch entlang der dort verlaufenden Bahnlinie sollen die Ziegen gesichtet worden sein. Gerüchte, dass es deswegen zu einem Feuerwehreinsatz am Bahndamm gekommen sei, wollen auf Nachfrage weder der Mainbernheimer noch der Willanzheimer Kommandant bestätigen.

Der Eigentümer versuche, die Tiere "mittels Anlocken bzw. Falle einzufangen", heißt es beim Landratsamt. Unterhalb des Bahndamms steht seit Wochen ein kleiner Anhänger mit Heu und Pellets, um die Tiere anzulocken. Doch die Ziegen scheinen über einen ausgeprägten Freiheitsdrang zu verfügen und finden offenbar stets genügend Futter.

So sind alle Versuche, die Ziegen einzufangen, bislang grandios gescheitert. Fragt man beim Landratsamt nach, dann heißt es, zuständig sei die "Gemeinde vor Ort". Aber wer ist das?

Mit diesem Anhänger und darin verstreutem Futter versucht der Eigentümer seit Monaten die Ziegen anzulocken und einzufangen.
Foto: Eike Lenz | Mit diesem Anhänger und darin verstreutem Futter versucht der Eigentümer seit Monaten die Ziegen anzulocken und einzufangen.

Entflohen sind die Tiere aus einem Gehege in Tiefenstockheim, einem Ortsteil von Seinsheim. Dort weiß Bürgermeisterin Ruth Albrecht nichts von streunenden Ziegen. Gesichtet wurden die Tiere zunächst auf Willanzheimer Gemarkung. Bürgermeisterin Reifenscheid-Eckert hat sie "seit mindestens vier Wochen nicht mehr gesehen".

Seit geraumer Zeit ziehen sie offenbar durch Mainbernheimer Flur. Viel freie Landschaft, viel Buschwerk, viele Rückzugsmöglichkeiten für zwei freiheitsliebende Ziegen. Eine echte Provinzposse.

Die Ziegen beschäftigen Polizei, Landratsamt und mindestens drei Kommunen

Die Ziegen halten, seitdem sie im vorigen Sommer ausgebüxt sind, nicht nur den Auto- und Bahnverkehr in Atem, sondern auch zahlreiche Kommunal- und Behördenvertreter auf Trab. Sie haben ein Kompetenzwirrwarr gestiftet, weil in Deutschland nicht vorgesehen ist, dass Haustiere über Monate herrenlos durch die Landschaft streifen und allen Versuchen widerstehen, sich einfangen und in ihr abgestecktes Revier zurückführen zu lassen.

Viel freie Landschaft, viel Buschwerk, ideale Rückzugsmöglichkeiten für zwei freiheitsliebende Ziegen.
Foto: Eike Lenz | Viel freie Landschaft, viel Buschwerk, ideale Rückzugsmöglichkeiten für zwei freiheitsliebende Ziegen.

Die Ziegen beschäftigen mittlerweile mindestens drei Gemeinden, mehrere Abteilungen des Kitzinger Landratsamts, das Ordnungsamt der Verwaltungsgemeinschaft Iphofen, die Polizeiinspektion in Kitzingen, die Bundespolizei in Würzburg, die örtliche Jägerschaft sowie die Deutsche Bahn. Fragt man aber nach der Zuständigkeit, dann winken alle mehr oder weniger ab.

Erlaubnis erteilt, die Ziegen dürfen geschossen werden

Nachdem bislang alle Versuche fehlgeschlagen sind, der Tiere habhaft zu werden, steht man nun an einem Punkt, den das Landratsamt als die "Ultima Ratio" bezeichnet: dem Abschuss der Tiere. Auch dafür muss man sich durch Gesetze und Instanzen schlängeln. Der Abschuss ist von der zuständigen Kommune – in diesem Fall Mainbernheim – anzuordnen. Dies ist am 16. Februar geschehen. Anschließend landete der Fall beim Landratsamt. Es muss die Sache abwägen und von seiner Waffenbehörde prüfen lassen.

Da Ziegen nicht dem Jagdrecht unterliegen, darf ein Jäger sie nicht einfach erlegen; er benötigt eine Schießerlaubnis nach dem Waffenrecht. Am 20. Februar ging das entscheidende Schreiben des Landratsamts heraus: Erlaubnis erteilt, die Ziegen dürfen geschossen werden. Der vorerst letzte Akt in diesem Drama, aber noch nicht das Ende. Die Stadt Mainbernheim hat bereits einen Jäger beauftragt, der sich in diesen Tagen dem Abschuss der Tiere annehmen wird. So teilt es auf Anfrage die VG Iphofen mit.

"Wenn das alles so einfach wäre."
Der Eigentümer der zwei ausgebüxten Ziegen

Ein komplizierter Fall, nicht nur rechtlich. Wie kann es sein, dass der Eigentümer auch nach monatelanger Suche die Ziegen nicht in den Griff bekommt? "Wenn das alles so einfach wäre", sagt der Mann, wenn man ihn zu Hause anruft. Er möchte nicht namentlich genannt werden, weil er Angst vor Tierschützern hat. Entgegen landläufiger Meinung seien Ziegen eben nicht dumm, sondern sehr schlau, sagt er. "Wenn man sich ihnen nähert, verziehen sie sich." Und mit jedem Tag wachse ihr Fluchtreflex. Das sei den "vielen Schlaumeiern da draußen" nicht bewusst.

Der Widerspenstigen Zähmung – sie scheint zum Scheitern verurteilt. "Wir haben alles probiert", sagt der Eigentümer. Er sehe die Ziegen jeden Tag, mal jenseits, mal diesseits der Bahnlinie. Aber sie einzufangen sei unmöglich.

Sharon Hawkins ist die Vorsitzende des Kitzinger Tierschutzvereins; sie erfährt durch den Anruf der Redaktion von dem Fall und schlägt vor, die Ziegen in eine Lebendfalle zu locken. Ein Feldversuch, der gescheitert ist. Die Ziegen mit einem gezielten Gewehrschuss zu betäuben sei nicht ratsam, da die Gefahr bestehe, dass sie bei einer Überdosierung des Narkosemittels nicht mehr aufwachen.

Das Tierheim in Kitzingen ist auf die Haltung von Ziegen nicht ausgelegt. Auf die Schnelle hat Hawkins zwei "Gnadenhöfe" aufgetan, die den Ziegen Asyl gewähren würden. Ihr Eigentümer bezweifelt, dass dies gelingt. "Sie sind es nicht mehr gewöhnt, eingesperrt zu sein. Die Frage ist: Werden sie je wieder zahm?"

Für die Bahnlinie und die darunter führende Staatsstraße stellen die Ziegen ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar.
Foto: Eike Lenz | Für die Bahnlinie und die darunter führende Staatsstraße stellen die Ziegen ein potenzielles Sicherheitsrisiko dar.

Für diejenigen, die wie Ingrid Reifenscheid-Eckert täglich auf der Staatsstraße zwischen Willanzheim und Mainbernheim unterwegs sind, stellt sich eine weitere Frage: Wer haftet für Schäden, die wie kürzlich bei einem Unfall mit den Ziegen entstehen? Das Landratsamt gibt darauf eine eindeutige Antwort: der Eigentümer. Er (oder seine Versicherung) muss im Zweifel geradestehen, wenn etwas passiert. Doch der Tierhalter bestreitet, dass der Unfall Ende 2022 von einer Ziege verursacht wurde. Das Schadensbild am Auto spreche dagegen – das habe er "schwarz auf weiß", bestätigt von einem Gutachter.

Nichts ist klar in dieser Sache, Vieles bleibt vernebelt. Nach Monaten der Suche und der Jagd, nach wochenlangen Abwägungen und Gesprächen, nach einem wilden Ritt durch Instanzen und Paragrafen geht es immer noch um zwei streunende Ziegen – irgendwo da draußen und seit einigen Tagen dem Tod geweiht.

 
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  • K. K.
    wissen Sie eigentlich... ??

    dass dieses Gelände , * um den Strassendurchlass am Bahndamm sieh Foto, in den letzten Kriegstagen im April 1945 heftig umkämpft war ? Deutsche Resttruppen mussten dort bei ihrer Flucht vor den "Amerikanern nach Mittelfranken, hindurch. Da wurde scharf geschossen.
    Ein "Mainbernheimer Bub", der dort anfangs der 50er Jahre eine Handgranate fand, kam dabei zu Tode. "Der letzte Kriegstote ..... wenn man so will ! "

    Findet daher einen Weg..... die Geissen zu schonen.... !!! Genug geknallt .... !!!
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  • S. M.
    irgendwann hat sich Deutschland zu Tode verwaltet ...
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  • C. J.
    Auf eigenen Wunsch hin entfernt.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Irgendwie kommt mir der Problembär in den Sinn ...
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  • P. K.
    Diese Ziegen sind für Bahn- und Strassenverkehr sicher nicht gefährlicher als zwei Rehe. Wenn man Gefährdungen durch Tiere ausschließen wollte müsste man alles was größer als eine Maus ist ausrotten.
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  • N. B.
    Genau so sehe ich das auch. Fast täglich liest man in der Presse von Unfällen mit Rehen oder anderem Wild. Somit müssten alle Wildtieren geschossen werden.
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  • S. K.
    jetzt wollen sie schon Ziegen abschießen...gehts nicht noch ne Nummer größer??
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  • K. K.
    meine * Ziege(Güte)

    entweder muss das LRA einen " Höpperer aus Albertshofen in das besagte Aufmarschgebiet beordern der das Ziegengemecker beherrscht; oder man lässt den " Ziegen-Peter aus der Schweiz einfliegenl. Der streut mit seiner Alpensalzbüchse ein paar Körner auf ihr Ziegen-
    schwänzchen und schon laufen sie ihm hinterher. Der braucht dann nur noch in Richtung Wohnwagen laufen - steht ja gleich am Bahndamm und nicht in Holland . Eigentlich müsste der Eigner ja wissen welches Geschlecht die "Ausgebüchsten haben. Da gäbe es bestimmte Düfte in der Luft, die den stärksten Bock zum Gärtner machen. Kein Schuss fällt..... aber man
    könnte ein Buch schreiben mit den Titel: "das Ziegenfell !
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  • P. v.
    Wäre doch mal eine sinnvolle aufgabe für PETA diese Ziegen Tiergerecht einzufangen und nicht immer nur bla bla bla!!
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  • T. H.
    Ich verstehe es einfach nicht. In Norwegen, Finnland und Schweden ist es ganz normal, dass Tiere (z. B. ein Elch) die Straße überquert oder am Straßenrand steht. Dort würde niemand auf die Idee kommen, diese Tiere abzuschießen.
    Wie wäre es einfach mal mit angepasster Fahrweise und nicht immer nur so schnell es geht zu fahren.
    Tiere sollen Rücksicht auf uns nehmen, also sollten wir das den Tieren und auch der Natur gegenüber auch tun.
    Es kann doch nicht so schwer sein.
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  • R. H.
    Tiere sollen Rücksicht auf uns nehmen, was für eine verquere Ansicht! Die Ziegen sind verwildert und keine normal scheuen Wildtiere. Die Elche in Schweden warten nicht hinter der nächsten Kurve, sondern sind in großen Waldgebieten mit meist langen geraden Straßen beim Überqueren rechtzeitig zu sehen, weil sie normalerweise langsam durch den Wald ziehen. Vielleicht kann der Florist ja die Ziegen bei sich aufnehmen und mit ihnen abends kuscheln, wenn sie dennoch in die Falle gehen.
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  • R. H.
    Der Halter hat die Tiere für herrenlos erklärt, also bleibt nur der Abschuss oder zahlt vielleicht PETA anfallende Unfallkosten evtl. bis zur Dauerrente für Autounfälle?
    Früher wurde da kein großes Aufsehen gemacht. PS Die Ziegen wären vermutlich sowieso geschlachtet worden. In Deutschland traut sich bald keiner mehr unangenehme aber notwendige Entscheidungen zu treffen, weil die Medien alles vollkommen aufbauschen und die Karriere einen Knick bekommen könnte. Darum geht auch nichts mehr voran.
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