Nur zwei Menschen auf weiter Flur an einem Frühlingsmorgen. Das war früher in Sommerach am Main ganz anders. „Um diese Zeit waren die Felder voller Leben und Leute. Wenn nebenan jemand fehlte beim Spargelstechen, ist das aufgefallen“, sagt Maria Sauer. Sie erntet zusammen mit ihrem Mann Otmar und ihrem Schwager Werner auf neun Zeilen die Delikatesse für Eigenverbrauch sowie für Bekannte und Freunde. Nur sie und zwei weitere Familien sind in dem klassischen Anbaugebiet – im Wortsinne – bei der Stange geblieben.
Ideale Böden bei Volkach, Nordheim, Sommerach und Fahr
Als letzte ihrer Art bauen die drei Sommeracher Familien das begehrte Gemüse an. Ohne Folien, auf insgesamt weniger als einem Hektar Fläche. In ein paar Jahren wird der einst lange florierende Spargelanbau hier wohl nur noch Geschichte sein. Sommerach steht dabei stellvertretend für die Entwicklung in der Spargelkultur an der Mainschleife und in manch anderen Dörfern um Volkach, Fahr und Nordheim. Vor drei Jahrzehnten noch stachen viele Familien Spargel, den der ideale, weil lockere und sandige Boden hervorbrachte. Die spezielle Note der weißen Stangen von der Mainschleife schätzen Genießer noch heute.
Winzer wurden Spargelbauern
War die Frühjahrsarbeit im Weinberg getan, wartete das zweite, unerlässliche Standbein: die Landwirtschaft. Kaum ein Winzer konnte bis Mitte der 1970er Jahre allein mit Weinbau überleben. Als lukratives Saisongemüse brachte der Spargel im Frühjahr wieder frisches Geld ein für größere private und betriebliche Anschaffungen. „Der Spargelanbau hat hier jedenfalls zum Aufschwung nach dem Krieg beigetragen“, ist sich Werner Sauer sicher.
Er hat die buchstäbliche Goldgräberstimmung seit Ende der 1950er Jahre miterlebt. Die Nachfrage war groß, nach den entbehrungsreichen Kriegs- und Nachkriegsjahren leistete man sich wieder etwas Genuss. Kulinarisch stand der Spargel für ein bisschen Luxus, den man sich regelmäßig bei „Spargelkuren“ zusammen mit Wein gönnte. Mochte der Urin noch so parfümiert riechen, man glaubte an die gesundheitliche und vermeintlich erotisierende Wirkung des Gemüses.
Der Staat förderte die Spargelbauer bei einer Neuanlage seit 1964 mit einem Zuschuss von 10 D-Mark pro 100 Quadratmeter, allerdings erst ab einem halben Morgen Fläche. Die hatten aber nur die wenigsten Winzer wegen der kleinflächigen und aufgesplitterten Feldstruktur. Also kauften oder pachteten sie zusätzliche Flächen anderswo, weil sie nach rund zehn Jahren Ausweichflächen brauchten für die ausgemergelten Spargeläcker. Für den lohnenden Zuverdienst mussten Obstbäume weichen. Sogar die Räume zwischen den vielen Baumreihen – 1965 zählte man allein in Sommerach 13 232 Obstbäume – mussten für Spargelhügel herhalten.
Darin wuchsen die Sorten „Huchels Spezialauslese“ oder „Schwetzinger Meisterschuss“ heran, die es heute noch gibt. „Aber damals haben die Spargelpflanzen länger durchgehalten, weil sie weiter auseinandergesetzt waren als heute“, sagt Werner Sauer, Jahrgang 1940. Der Abstand zwischen den Reihen hatte 1,50 Meter zu betragen. Freilich war der Ertrag auch geringer, doch der Spargelanbau rentierte sich richtig.
Und das Finanzamt war nachsichtig. In einem Vermerk von 1968 im Gemeindearchiv Sommerach teilte der damalige Bürgermeister den Finanzbehörden wohl etwas untertreibend mit: „Spargelanbaufläche 2,50 Hektar. Die Zahl der Spargelanbauern dürfte bei 10 – 12 liegen“. Dabei zeigte die Kurve damals schon steil nach oben. Rund 22 Hektar Spargelfläche konnte allein Sommerach vor etwa drei Jahrzehnten aufweisen. Die Mainschleife rund um die Vogelsburg wurde zum „Wein- und Spargelparadies“, heißt es auf einer bebilderten Postkarte.
Das ist nicht übertrieben. „Die größte Anbaufläche Bayerns ist im Landkreis Kitzingen und hier vor allem an der Mainschleife“, schrieb diese Zeitung am 8. Mai 1980, als die Spargelernte begann. Auch seien „die fränkischen Spargelanlagen nach Auskunft der Fachleute die modernsten“. Damals konnte man 7,50 bis 10 D-Mark pro Kilo erzielen. Im Vergleich zu heute ein sehr auskömmlicher Erlös.
„Mit der Maueröffnung begann der Niedergang“
Mittlerweile nennen sich das oberbayerische Schrobenhausen und das niederbayerische Abensberg „Bayerns Spargelland“. In Franken dagegen konzentriert sich der Anbau auf rund hundert spezialisierte Großbetriebe mit ihren „Spargelhöfen“ wie in Albertshofen, Prichsenstadt, Haidt oder Volkach und auf rein landwirtschaftliche Gegenden mit großen Anbauflächen, die früher wegen „schwerer Böden“ ungeeignet schienen wie im Schweinfurter Land oder Ochsenfurter Gau.
„Mit der Maueröffnung von 1989 begann der Niedergang. Man setzte billige Arbeitskräfte aus dem Osten auf viel größeren Flächen ein. Wir konnten da nicht mehr mithalten“, sagt Werner Sauer. Mit elf Jahren bekam er das Spargelmesser in die Hand gedrückt. Alle, auch Schulkinder mussten mit anpacken im Familienbetrieb. Schon im Morgengrauen ging es frühestens Ende April zum Stechen. Am Nachmittag rückte man zum zweiten Mal aus. Täglich, bei Wind und Wetter.
Von wegen ländliche Idylle bei aufgehender Sonne, wenn der Kuckuck rief und die Nachtigall sang. Es war der Lockruf des Geldes, der die Müdigkeit, Unlust und Strapazen vergessen machte. Man war erleichtert, wenn die Saison Mitte Juni zu Ende ging. Dann hörte das anstrengende Schauen, Bücken, Stechen und Glätten längs der Hügelreihen auf. Das ging schmerzlich „auf das Kreuz“ und konnte dauerhaft die Gesundheit ruinieren.
Mit der Zeit verloren die Spargelbauern das Interesse an der beschwerlichen Arbeit. Seit Ende der 70er Jahre hatte der profitablere Weinbau Vorrang, während beim saisonalen Spargel das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag nicht mehr stimmte. Die wachsende Konkurrenz aus dem Ausland und die sich ausbreitenden, spezialisierten Spargelbetriebe machten den Familien zu schaffen.
Goldene Zeiten sind vorbei
Kolonnen von Osteuropäern rückten nun aus, um großflächige Äcker mit ihren Foliendämmen abzuernten. Die Stängel wurden maschinell gewaschen, geschält, gebunden und dann sofort in Spargelhütten längs der Straßen verkauft. Um da mithalten zu können, hätten die Familienbetriebe viel investieren und ausweiten müssen. Aber auch an Ersatzflächen für die stark zehrenden Spargelpflanzen fehlte es.
Vorbei waren die goldenen Zeiten ohne Absatzsorgen, als sich die Spargelbauern auf treue Stammkunden verlassen konnten, die meist auch gleich Wein mit einkauften. Oft holten sie Spargel direkt vom Acker, ungewaschen und nicht abgeschnitten, dafür superfrisch. Mit wachsendem Angebot blieben die Kunden aus. Man musste verstärkt selbst Abnehmer für das leicht verderbliche Gemüse finden. Das waren meist Großhändler mit enttäuschenden Ankaufspreisen.
„Damit ging bäuerliche Kultur verloren“
Ein Familienbetrieb nach dem anderen gab auf angesichts der täglichen Plackerei und des ausbleibenden Gewinns. Auch fehlten Nachfolger in den Familien. „Damit ging auch ein Stück bäuerlicher Kultur verloren“, sagt Maria Sauer. Vielleicht ist es das Festhalten an dieser Tradition, das sie noch auf den Spargelacker treibt. Vielleicht aber auch ein schönes Gefühl – manchmal zumindest – an einem erwachenden Frühlingsmorgen: „Spargelstecken kann meditativ sein.“
Der Kleinbetrieb: ein Auslaufmodell
Ihr Mann Otmar sieht es nüchtern und ohne Bedauern: „Man muss sich damit abfinden. Unsere Art des Spargelanbaus ist ein Auslaufmodell.“ In zwei Jahren werde man wohl aufhören. Die beiden anderen Familien würden das Spargelmesser wohl auch bald für anderes verwenden.