Es war ein Handball-Krimi am 9. Februar abends in Marktsteft. Die Herren des SV Michelfeld besiegten im Derby der Bezirksoberliga den TSV Marktsteft mit 19:18. Das Siegtor fiel quasi in der letzten Sekunde des Spiels. Doch das Sportliche des Abends rückt Wochen später in den Hintergrund, seitdem bekannt geworden ist, was an jenem Abend am Rande des Spiels passiert ist.
Eine Einwohnerin Michelfelds hat dafür gesorgt, dass der Vorfall jetzt publik wurde – was beide betroffene Vereine am liebsten vermieden hätten. Die Dame hat sich an diese Redaktion gewandt und von einem doppelseitig bedruckten Zettel mit Liedstrophen berichtet, der während jenes Handballspiels unter Zuschauern kursiert ist. Wie viele Exemplare davon im Umlauf waren, ist nicht mehr nachvollziehbar, es müssen nach Informationen der Redaktion jedoch deutlich über 50 gewesen sein. Wochen später landete ein Exemplar im Briefkasten besagter Frau aus Michelfeld.
Inhalte der Liedtexte verbieten es, diese zu zitieren
Passagen der Texte sind weit von dem entfernt, was als Schmähgesänge von Schlachtenbummlern im Mannschaftssport immer wieder zu hören ist. Der Inhalt verbietet es, daraus zu zitieren. Es sind offen sexistische und frauenfeindliche Strophen darunter, andere demütigen pauschal die Einwohner Markstefts. An einer Stelle ist von aufgeschlitzten Leichen mit Messern in den Bäuchen die Rede.
Aus wessen Feder die Strophen stammen, ist unbekannt. Überschrieben ist der Zettel mit "Ultras". Da die Texte ausschließlich gegen Marktsteft gerichtet sind, suggerieren sie, dass ihre Urheber aus dem Michelfelder Fanblock stammen. Einen Beweis hierfür gibt es nach Kenntnis dieser Redaktion nicht. Was die Sache zusätzlich brisant macht: Die Zettel lagen, wie mehrere Zeugen bestätigen, nach dem Spiel offen auf Sitzplätzen herum – in Reichweite von Kindern und Jugendlichen – und sollen angeblich bereits vor dem Spiel am Kassentisch auf einem Stapel gelegen haben, zum Mitnehmen für jedermann. Bis auf eine Ausnahme sind sich alle, mit denen die Redaktion gesprochen hat, sicher, dass die Lieder in der mit bis zu 500 Zuschauern gefüllten Halle nicht gesungen wurden – wenigstens das nicht, möchte man hinzufügen.
Dem Täter droht ein Hallenverbot – sollte er überführt werden
Dem Vorsitzenden das gastgebenden SV Michelfeld, Harald Dennerlein, ist es am Telefon anzuhören, dass es ihm am liebsten wäre, das alles wäre nie geschehen. Er selbst habe überhaupt erst zwei Wochen später davon erfahren, berichtet er, und sich dann mit dem gesamten Vorstand klar von dem Liedzettel distanziert. Sollte der Verantwortliche überführt werden und dem SV Michelfeld angehören, würde dieser sofort aus dem Verein geworfen und ein Hallenverbot erhalten, stellt der Vorsitzende klar.
Dennerlein kann sich beim besten Willen nicht vorstellen, wer die Texte verfasst und verbreitet hat. Zwar gebe es sogenannte Ultras im Michelfelder Fanblock – etwa 100 Mann stark –, doch hätten diese sich von dem in ihrem Namen verteilten Zettel klar distanziert und dies in einem öffentlich gemachten Schreiben deutlich gemacht.
"Eigentlich ist Handball dafür bekannt, dass auf dem Feld gekämpft wird und die Spieler sich danach die Hand geben", sagt Gunter Thorwarth. Der Vorsitzende des diffamierten TV Marktsteft erinnert sich beim Rückblick auf jenen Abend an ein "sehr schönes, faires Spiel" – was das Sportliche betrifft. Da passe das Gift, welches der Liedzettel in das Verhältnis zwischen beide Mannschaften und deren Fans gießt, absolut nicht dazu. Thorwarth sieht den SV Michelfeld in der Pflicht, seine Fans im Griff zu haben und das Geschehene nicht einfach auszusitzen. "Möglicherweise ist dem SV da etwas aus den Händen geglitten", vermutet er. Fünf Wochen nach dem Vorfall hätten beide Vereinsvorstände sich hierzu ausgetauscht. Es ist Thorwarth anzumerken, dass ihm nicht daran gelegen ist, in dieser Situation Gräben zwischen beiden Nachbarvereinen aufzureißen. "Wir haben die letzten Jahre gut zusammengearbeitet", sagt er. Trotz sportlicher Rivalität.
Bürgermeister: Vereine müssen ihre Fans im Auge behalten
Marktstefts Bürgermeister Thomas Reichert findet klare Worte zur Sache: "Wir brauchen so einen Mist nicht." Er hat früher selbst Handball gespielt, doch von solchen Vorkommnissen nie zuvor gehört. Er ist sich sicher, dass dahinter keine Handballer aus Michelfeld oder Marktsteft stecken. Der Stadtrat habe sich mit dem Thema beschäftigt, nachdem beide Vereine auf die Stadt zugegangen seien. "Der SV Michelfeld hat sich dafür entschuldigt", sagt Reichert. Der Stadtrat sei sich einig gewesen, dass beide Vereine einen Weg finden sollten, mit der Sache umzugehen, "und sich davon nicht kaputt machen lassen sollen". Als Bürgermeister habe er jedoch beide Vereine darauf hingewiesen, dass sie die Augen offen halten müssten und als Mieter der Sporthalle, die der Stadt gehört, auch Verantwortung für das Verhalten der Fans hätten.
Bleibt die Frage, weshalb der Vorfall solange unter der Decke gehalten wurde, zumal laut SV-Vorsitzendem Dennerlein nach dem Spiel Exemplare des Liedzettels auch in mehreren Briefkästen von Einwohnern Marktstefts gesteckt worden waren; vor allem ältere Menschen hätten sich dadurch persönlich angegriffen gefühlt. Das Stillschweigen seines Vereins erklärt Dennerlein mit dem Rat eines Rechtsanwalts, den man eingeholt habe. Dieser habe dem SV Michelfeld empfohlen, sich ruhig zu verhalten, nicht noch mehr Wirbel zu verursachen und nicht – wie vom Verein überlegt – einen eigenen Flugzettel zu verteilen, mit dem sich der Verein von dem Vorfall öffentlich distanzieren wollte.
Diese Taktik trug womöglich dazu bei, dass die Polizei von dem Zettel bis zur Nachfrage dieser Redaktion nichts gewusst hat. Gerhard Klebrig von der Kitzinger Polizei appelliert in solchen Fällen an die Zivilcourage jedes Einzelnen, derartige Vorfälle der Polizei zumindest zu melden, was nicht zwangsläufig mit dem Erstatten einer Anzeige verbunden ist. Im vorliegenden Fall (Klebrig: "eine ungute Geschichte") könnte der verteilte Text den Straftatbestand einer Nötigung erfüllen, schätzt Klebrig. Ein Verein habe – ganz allgemein – als Gastgeber eines solchen Spiels das Hausrecht und damit eine Verantwortung für Taten seiner Besucher, stellt der Polizeibeamte klar.
Bayerischer Handball-Verband ist unterrichtet und prüft den Fall
Seit wenigen Tagen ist auch der Bayerische Handball-Verband (BHV) in München über den Vorfall in Marktsteft unterrichtet. Er verurteile jegliche Form von Diskriminierung, Gewaltverherrlichung oder Sexismus, heißt es in einer allgemein gehaltenen schriftlichen Antwort gegenüber diese Redaktion. Auf Nachfrage wird BHV-Präsident Georg Clarke konkreter. Er spricht vom ersten derartigen Fall in Bayern und von klaren Verstößen gegen die Grundlagen des BHV. Er habe sich bundesweit bei Kollegen umgehört: "Derartiges ist bis dato im Handball nicht bekannt gewesen."
Der BHV wird den Fall laut Clarke gemäß eigener Statuten prüfen, Zeugen hören und von beiden Vereinen Stellungnahmen einfordern. Bis Ende Mai, schätzt er, dürfte das Sportgericht über eine mögliche Verantwortung des SV Michelfeld und mögliche Folgen für diesen, etwa eine Strafzahlung, entschieden haben. Clarke plädiert für ein möglichst rigoros Vorgehen, auch um zu unterstreichen, dass der BHV null Toleranz für solches Fehlverhalten zeigt.