"Nimm die Zukunft in die Hand!", steht auf einem Transparent, das am Eingangstor der Raiffeisen Schulz Agrarhandel GmbH in Wiesentheid hängt – und Geschäftsführer Mathias Schulz ist geneigt, diesem Rat zu folgen und umgehend loszulegen. Aber wenn man so will, sind ihm, dem Tatmenschen, die Hände gebunden. Die Zukunft, sie liegt für Schulz weit draußen, auf der grünen Wiese, im Gewerbegebiet Am Mähling. Dorthin würde er sich gern erweitern, nachdem auf dem Firmengelände am alten Wiesentheider Bahnhof vieles zu klein und zu eng geworden ist. Das Problem ist nur: Die Zukunft ist ihm von der Gemeinde verbaut. So schildert er es, wenn man ihn an seinem Arbeitsplatz besucht.
Der Weg in sein Büro führt durch einen kleinen Baumarkt. Von seinem Schreibtisch aus hat man einen guten Blick nach draußen, auf das quecksilberne Treiben im Hof. Schulz ist gut im Geschäft. Man merkt es, wenn man längere Zeit mit ihm zusammensitzt. Das Telefon klingelt unablässig, Kundschaft schneit herein, Angestellte suchen seinen Rat. Gerade ist Erntezeit, Hochbetrieb für Schulz und seine 25 Mitarbeiter am Standort Wiesentheid.
Draußen drängen sich zehn turmhohe Silos, die zum Bersten gefüllt sind und beinahe überlaufen. Es könnten nochmal so viele sein. 8000 Quadratmeter Nutzfläche sind es hier am Stammsitz – viel zu wenig bei den riesigen Mengen Korn, die er in der Region aufkauft und in ganz Europa vermarktet. Schulz, ein großgewachsener Mittvierziger, sagt: "Wir versinken hier im Getreide. Wir wissen kaum, wohin damit."
Schon vor einiger Zeit ist er daher bei der Gemeinde vorstellig geworden; er würde sich gerne im Gewerbegebiet einkaufen. Ein Grundstück zu bekommen, so dachte er, sollte doch ein Leichtes sein für ein alteingesessenes Unternehmen, das seit 80 Jahren am Ort angesiedelt ist. Schulz' Urgroßvater hat es aufgebaut, sein Großvater weitergeführt, Schulz selbst ist 2001 eingestiegen, hat es bis 2018 mit dem Vater geführt und schließlich mit der Raiffeisen in Gerolzhofen fusioniert. Doch bei den Gemeinderäten ist er mit seinem Anliegen abgeblitzt. "Die lassen uns links liegen", sagt er.
Tatsächlich hat sich der Gemeinderat bei der Ausweisung des Gewerbegebiets Am Mähling vor zehn Jahren darauf verständigt, Grundstücke eher konservativ zu vermarkten und bei der Vergabe ganz genau hinzuschauen. Dahinter steckte die nicht unberechtigte Sorge, Logistikunternehmen oder Rasthöfe könnten die am Verkehrsdrehkreuz der A3 gelegene Gemeinde überrennen und sich in ihrem Flächenfraß ruckzuck die insgesamt sieben Hektar einverleiben.
Fragt man Bürgermeister Klaus Köhler, dann sagt er: "Wir haben nicht unendlich Gewerbegrund. Der Gemeinderat hätte dort gerne produzierende Betriebe, die Arbeitsplätze generieren und wenig Fläche einnehmen." Fragt man Mathias Schulz, dann sagt er: "Die träumen hier von so einem hippen Schmarrn." Im vergangenen Jahr hat sich dort eine Firma niedergelassen, die Offroadfahrzeuge für Abenteurer baut oder umrüstet.
Seit er im Mai 2020 seinen Posten als Bürgermeister angetreten hat, so sagt Köhler, habe der Gemeinderat 19 von 20 Grundstücksanfragen im Mähling abgelehnt – sie passten nicht ins Konzept. Hans Müller, Fraktionsvorsitzender des Bürgerblocks im Rat, schätzt die Ablehnungsquote auf etwa 80 Prozent und erklärt: "Die Anfragen waren nicht mit Arbeitsplätzen verbunden."
Ein geplantes 60-Betten-Hotel soll ohne Personal auskommen
Warum, so fragt Schulz, habe man dann kürzlich dem Bau eines 60-Betten-Hotels durch die WMM-Gruppe aus dem Allgäu zugestimmt? Ein Hotel, das ohne Personal auskommen soll. Weil es ins Konzept passt, wie Müller und Köhler gegenüber der Redaktion betonen. Im Ort gebe es kaum Übernachtungsmöglichkeiten, etwa für Gesellschaften, die in Wiesentheid Hochzeit feiern. "Und die 25 Leute, die bei uns arbeiten – zählen die gar nicht?", fragt Schulz. Immerhin versorge sein Betrieb die Menschen mit so etwas Wesentlichem wie Nahrungsmitteln.
Schulz braucht vor allem eines: Platz. Zum Strukturwandel, der die Landwirtschaft seit den 1970er-Jahren erfasst hat, komme jetzt noch der Klimawandel – eine herausfordernde Mischung. Früher seien die Bauern auf ihren Kornäckern mit drei Meter breiten Mähdreschern unterwegs gewesen, die Kampagne im Sommer habe sich über eineinhalb Monate gezogen. Heute bringen Hightechmaschinen mit Neun-Meter-Schneidwerken binnen drei Wochen die komplette Ernte ein.
Was für die Landwirte komfortabel ist, ist für Schulz ein Problem: Er wird im Sommer mit Korn zugeschüttet. Denn es gibt immer weniger Lagerhäuser in der Region, die zur Haupterntezeit Getreide annehmen und einlagern. 10.000 Tonnen kann er in Wiesentheid bunkern. Zwar hat er in Kleinlangheim Kapazitäten für weitere 10.000 Tonnen angemietet, und es gibt ein Lager in Unterspiesheim für 3000 Tonnen. Aber das alles reicht nicht. Der Standort Wiesentheid ist in seiner Entwicklung am Ende, 2016 hat der Unternehmer noch einmal eine Lagerhalle gebaut, mehr geht nicht im Umgriff des Geländes.
Das Herumfahren des Getreides kostet jährlich 100.000 Euro
Also muss Schulz improvisieren und das Getreide, das ihm die Bauern in den Hof kippen, auf Lastwagen verladen, auf Äcker in der Umgebung bringen, dort in Folienschläuche packen und, wenn es gebraucht wird, wieder in großen Lastwagen herkarren lassen – ein irrer logistischer Aufwand, der ihn inzwischen knapp 100.000 Euro pro Jahr kostet, von der Umweltbelastung ganz zu schweigen. In Stoßzeiten komme es vor, dass Landwirte stundenlang ausharren müssen, bevor sie ihr Getreide bei ihm abladen können. Im benachbarten Rüdenhausen hat man ihm Flächen angeboten, aber noch eine Filiale möchte er nicht. Und ganz aus Wiesentheid wegziehen ist für ihn keine Option, schließlich wohnt die Familie seit jeher auf dem Firmengelände.
Ob es noch Chancen gibt für Schulz, an ein Grundstück im Gewerbegebiet zu kommen? In der Sitzung an diesem Donnerstag will der Gemeinderat das Thema, das im Ort einige Wellen geschlagen hat, nochmals aufgreifen. "Ich verstehe ja die Argumentation und Frustration", sagt Bürgermeister Köhler. Hans Müller vom Bürgerblock gibt indes zu bedenken: "Wir haben nicht mehr so viele Flächen in Reserve. Für Lagerhallen ist das Grundstück in Autobahnnähe zu schade."
Im Gemeinderat scheint einiges nicht zu passen: erst die Situation mit der exorbitanten Erhöhung der Beiträge für den Waldkindergarten, dann legt man einem alteingesessenen Unternehmen, das die Lebensmittelversorgung mit sicherstellt, solche Steine in den Weg.
Wenn 19 von 20 Anfragen abgelehnt wurden, weil sie nicht ins Konzept passen, dann muss man das Konzept überdenken. Sonst hat man ganz schnell ein Gewerbegebiet, das eher durch leere Grundstücke als durch "... produzierende Betriebe, die Arbeitsplätze generieren und wenig Fläche einnehmen" auffällt.