zurück
Geroldswind
Zeilberg: Wo der Sinn im Leben zurückkehrt
Mit dem Integrationsprojekt "ZIP" werden bei Maroldsweisach psychisch kranke Menschen wieder in die Gesellschaft integriert. Warum Corona diese Hilfe torpediert hat.
Der lauschige Biergarten auf dem Zeilberg hat mittwochs, freitags und samstags von 15 bis 21 Uhr, sonntags von 11 bis 20 Uhr geöffnet. Dazu gibt es auch einige Raritäten im integrierten Flohmarkt.
Foto: Matthias Lewin | Der lauschige Biergarten auf dem Zeilberg hat mittwochs, freitags und samstags von 15 bis 21 Uhr, sonntags von 11 bis 20 Uhr geöffnet. Dazu gibt es auch einige Raritäten im integrierten Flohmarkt.
Matthias Lewin
 |  aktualisiert: 15.02.2024 10:43 Uhr

Abgeschieden, im äußersten Nordosten des Landkreises Haßberge, liegt sie da. Mitten im Wald bei Geroldswind (Gemeinde Maroldsweisach). Wer Ruhe sucht, ist hier genau richtig. Doch ist es kein Urlaubsort, vielmehr eine Insel für gestrandete Menschen. Menschen, die kaum noch einen Sinn in ihrem Leben sehen, die sich selbst als gescheitert erachten und hier unterhalb des Basaltwerks den Weg zurück in die Gesellschaft und ins Leben finden sollen. Auf dem Zeilberg begleitet die Diakonie Bamberg-Forchheim psychisch erkrankte und und seelisch behinderte Menschen auf diesem Weg. Sie sorgt mit dem Integrationsprojekt "ZIP" dafür, dass dieser Weg auch zu einem Ziel führt. Und das heißt: einen Platz im sogenannten "ersten Arbeitsmarkt" zu erhalten. 

"Zip" steht für "Zeilberger Integrationsprojekt". Dahinter steht ein ambulant betreutes Wohnen und die Möglichkeit, sich bei verschiedenen Tätigkeiten ein kleines Zubrot, offiziell eine "Motivationszuwendung",  zu verdienen. Rund 35 Menschen im Landkreis Haßberge nehmen diese Hilfe aktuell in Anspruch – also etwa ein Viertel der 160 von psychischen Problemen Betroffenen, die vom Zeilberg aus betreut werden. "Vor rund 15 Jahren haben wir mit 35 Menschen begonnen", erinnert sich Andrea Wolfer, die Leiterin des Projektes. Hier auf dem Zeilberg sitzt die Zentrale der ambulanten Versorgung. Die insgesamt 24 Mitarbeiter kümmern sich dabei um so banal klingende Dinge wie Einkäufe oder Spaziergänge. Vor allem in der Kennenlernphase aber hilft erst einmal ein einfaches Vier-Augen-Gespräch, die gröbsten Ängste zu nehmen.

Aus dem Leben gerissen

Die von "ZIP" betreuten Menschen leiden zumeist unter Depressionen, auch unter Schizophrenie. Sie sehen sich von der Gesellschaft ausgestoßen, im Stich gelassen, "wurden durch ihre Erkrankung aus dem Leben gerissen, haben Angst, vor die Tür zu treten und mit anderen Menschen in Kontakt zu treten", bringt Wolfer das Problem auf den Punkt. Bei vielen fehlt der "Rettungsanker Familie", haben Drogen oder Alkohol ihren Teil dazu beigetragen, sich aus der Gesellschaft komplett zurückzuziehen. Die Angst vor der Rückkehr in die "Normalität", die Angst vor der Gesellschaft sollen die speziell geschulten Mitarbeiter nehmen.

Ist dieser erste Schritt nach vielen Wochen oder gar Monaten geschafft, folgt die behutsame Rückkehr in die Arbeit. Dafür stehen die verschiedensten Bereiche zur Verfügung. Auf dem Zeilberg selbst gibt es eine Großküche und einen Biergarten, eine Wäscherei, eine Werkstatt, aber auch "außer Haus" gibt es zahlreiche Arbeitsfelder. Seien es Gartenarbeiten am Schloss Birkenfeld oder Wohnungsauflösungen, bei denen zahlreiche Dinge zusammenkommen, die dem hauseigenen Flohmarkt zugute kommen. "Wir sind bemüht, ein vielfältiges Arbeitsangebot anzubieten", so Wolfer.

"Wir sehen zuallererst den Menschen."
Andrea Wolfer, Leiterin Arbeit und Beschäftigung und
Ambulant Betreutes Wohnen

Dabei hilft seit acht Jahren auch das Jobcenter. Die Agentur vermittelt Menschen, die aufgrund ihrer psychischen Probleme in die Arbeitslosigkeit gefallen sind, im Rahmen des Projektes "arbeitsreif" am "ZIP". Dieses Projekt ist mittlerweile so erfolgreich, dass im November eine Auszeichnung der bayerischen Landestiftung ansteht.

Mit Bussen der Diakonie werden die "eingeschränkt arbeitsfähigen" Menschen aus dem gesamten Kreisgebiet abgeholt, treffen morgens um 8 Uhr am Zeilberg ein und suchen dann für einen halben Tag ihre Arbeitsplätze auf. Doch geht es dabei nicht nur um das Arbeiten an sich, sondern auch darum, wieder soziale Kontakte zu knüpfen. Wer akute Probleme hat, kann natürlich auch jederzeit das Gespräch mit den Diakonie-Mitarbeitern suchen. "Wir sehen zuallererst den Menschen", weiß Wolfer, die seit 40 Jahren in diesem Bereich tätig ist, um die Bedeutung dieser Gespräche. "Viele sind komplett verunsichert, ihnen fehlt jegliches Selbstvertrauen." Und auch das Vertrauen in Mitmenschen. Auch zu den Betreuern muss dieses Vertrauen erst einmal aufgebaut werden. Spaziergänge in kleinen Gruppen oder auch nur ein kleiner Pausch bei einer Zigarette können da helfen."

Integriert in das Projekt ist auch das "Lädla" in Maroldsweisach. Untergebracht in einem ehemaligen Bekleidungsgeschäft, werden hier von den erkrankten Menschen und Ehrenamtlichen all die Dinge angeboten, die zuvor bei Wohnungsauflösungen gesammelt wurden. Ein Teil dieser Dinge findet sich auch im schmucken Biergarten, der auf dem Zeilberg durchaus liebevoll eingerichtet wurde. 

Corona war wie ein Schock

Doch dann kam "Corona", ab dem 20. März war alles auf dem Zeilberg dicht. Andrea Wolfer hat dafür nur ein Wort übrig: "Furchtbar!" Nach dem ersten Schock ging sie mit ihren Mitarbeitern daran, ein Krisenkonzept zu entwickeln, denn die Betreuung konnten und wollten sie nicht einstellen, auch wenn die ohnehin schon vorhandene Angst unter ihren Schützlingen nun noch anwuchs. "Unsere jahrelange Arbeit war angekratzt", meint Peter Matel, einer der Mitarbeiter in der so wichtigen  ambulanten Betreuung. Erst Mitte Juli sei wieder so etwas wie Normalität eingetreten, wenn auch unter strengen Regeln.

Verstärkt über Telefon und Internet wurde der so wichtige persönliche Kontakt gehalten, ein Notfalltelefon eingerichtet und auch ein täglicher „telefonischer Besuchsdienst“ etabliert. "Dies ersetzte jedoch bei Weitem nicht ein Gespräch von Angesicht zu Angesicht", weiß Andrea Wolfer, dass die angespannte Situation einem Ritt auf der Rasierklinge glich, zumal kein Ende in Sicht war und ist.

Immerhin: "Das Vertrauen uns gegenüber ist in diesen Wochen und Monaten sogar noch etwas größer geworden", bestätigt Matel, auch wenn die gewohnten und wichtigen festen Strukturen im Tagesablauf zum Teil komplett weggebrochen seien. Dass die Mitarbeiter trotz Corona immer ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Schützlinge hatten, oft auch nach Feierabend, half dabei enorm.

"Lädla" und Biergarten wieder offen

Seit Ende Juli hat nun auch das Zeilberg-Lädla in Maroldsweisach wieder geöffnet. Donnerstags von 10 bis 18 Uhr, freitags von 13 bis 18 Uhr und jeden ersten Samstag im Monat von 9 bis 13 Uhr können Sammler und Schnäppchenjäger auf rund 200 Quadratmetern Verkaufsfläche nach den Raritäten Ausschau halten.  Und auch der schmucke Biergarten auf dem Zeilberg wartet schon wieder auf seine Gäste. Mittwochs, freitags und samstags von 15 bis 21 Uhr, sonntags von 11 bis 20 Uhr kann dort nicht nur das Zeilberger-Bier, das speziell für den Biergarten gebraut wird, versucht werden. Auch ein Besuch im "Schnäppchen-Shop" ist durchaus lohnenswert.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Geroldswind
Matthias Lewin
Arbeitslosigkeit
Arbeitsmarkt
Arbeitsplätze
Behinderte
Diakonie
Großküchen
Jobcenter
Kranke
Psychische Erkrankungen
Schloss Birkenfeld
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top