Da sitzt er nun, unser Zeiler. Vielmehr er steht, denn im Sitzen singt es sich nicht gut. Eigentlich – so hatte er es sich recht idealistisch gedacht – wollte er ja nur beim „Chor der tausend Stimmen“ zum Stadtjubiläum mitwirken. Irgendwie gehört sich das doch für einen Zeiler. Wäre ja blamabel, wenn das nicht klappen sollte. Und einer unter tausend – was sollte da schon passieren? Das fällt bestimmt nicht auf, wenn man's nicht so gut beherrscht. Und vorsingen muss man auch nicht, hat in der Zeitung gestanden.
Wie staunt er aber, unser Zeiler, als Oliver Kunkel gleich vehement loslegt. Die Kaumuskeln sollen da singen, die Ohrtrompete sich öffnen, damit's besser klingt. Wenn er das mal vorher gewusst hätte. Aber Oliver Kunkel weiß, was er tut. Schließlich ist er gelernter Musiklehrer und ganz nebenbei auch der Komponist der Jubiläums-Hymne. „Thomas Stadelmann hat mich gefragt, ob ich ein Jubiläumslied schreiben möchte“, so Kunkel, und er habe hocherfreut zugesagt. „Sonst lasse ich immer meine Abiturienten komponieren, jetzt konnte ich wieder einmal selber ein Lied schreiben.“
Kunkel lässt die Sängerinnen und Sänger nicht einfach lossingen, wie sich unser Otto Normalzeiler das gedacht hatte. Vielmehr geht es erst einmal darum, die Sangesbrüder und -schwestern etwas zu lockern. Außerdem kann es auch einem Tausend-Stimmen-Chor nicht schaden, wenn er einmal wenigstens etwas von der richtigen Atem- und Sangestechnik gehört hat. Und so wird gefuchtelt, gerudert, die Wangen gestreichelt, gebückt und nach oben geschnellt.
Die Musik hat eine „ansteckende Frische“, so Kunkel im Gespräch mit dieser Redaktion, „Lebensfreude und dennoch etwas feierlich Verbindendes“. Er hat sich beim Komponieren den Werbeslogan des Stadtjubiläums zu eigen gemacht, gleichzeitig den Bezug zwischen Kaiser Heinrich und der globalen modernen Welt hergestellt. Und speziell auf Zeil zugeschnitten: „Welche Emotionen weckt das Lied? Wärme und Geborgenheit. Die Menschen merken, dass ihnen das guttut, loszulassen, sich klingend zu spüren.“ Er versteht sein Handwerk. Gemeinsames Singen setzt Glückshormone frei, sagt Kunkel, „die Gemeinschaft wird als etwas Beglückendes erlebt“. Und tatsächlich: Unser Zeiler, der seit Jahrzehnten keinen einzigen Ton außerhalb seiner Dusche zu Gehör gebracht hat, erlebt plötzlich mit, wie er aus sich herausgeht, die Arme ausbreitet und „Zeil am Main“ schmettert als gäbe es kein Morgen.
Erstaunlich, was bei einem solchen Crashkurs alles hängenbleibt. „Tausend Jahre – eine Geschichte.“ Das wird nicht einfach so heruntergesungen. Entgegen aller Rechtschreib- und Trennregeln wird die Geschichte nach dem „i“ unterbrochen. Die Fastsilbe „chte“ wird gesondert gesungen und betont. Da wär Otto Normalzeiler niemals drauf gekommen. Und ein hartes „t“ am Ende von „Zeil am Main, hast ein Herz und das ist weit“. Es klingt wirklich beeindruckend, wenn aus Hunderten von fränkischen Kehlen gleichzeitig ein hartes „t“ akzentuiert erklingt, ja nahezu erschallt. Kunkel lobt, baut auf, mahnt zu mehr Sorgfalt, zeigt sich kritisch und schließlich sogar begeistert und von der klanglichen Bereitschaft der Amateure tief beeindruckt.
Zurück geht die Idee mit den tausend Stimmen auf Klaus Diedering. Der Zeiler, einst Geschäftsführer des Kreis-Caritasverbandes, wirkt als Sänger im Männergesangverein „Zeiler Sängerkranz“ mit. Diedering hat es sich zur Aufgabe gemacht, dass zum Stadtjubiläum 2018 das neue Zeiler Lied aus 1000 Stimmen auf dem Marktplatz gesungen wird.
„Die Proben sind bisher super gelaufen und haben sehr viel Spaß gemacht“, zwischenbilanziert Oliver Kunkel, und Klaus Diedering ergänzt, dass schon über 1100 Zeiler per Unterschrift ihre Bereitschaft zur Teilnahme dokumentiert hätten. An den bisherigen Proben hätten schon rund 650 Teilzeitsänger aktiv teilgenommen. „Dazu kommen noch die Kinder aus Grund- und Mittelschule sowie aus den Kindergärten“, freut sich Oliver Kunkel auf die Herausforderung, denn als Gymnasiallehrer hat er bislang „noch nicht mit so kleinen Kindern gearbeitet. Das wird bestimmt riesig.“
Der „1000-Stimmen-Chor“ probt im Rudolf-Winkler-Haus noch einmal am Donnerstag, 26. April, um 19 Uhr und am 12. Mai um 15 Uhr. Die Generalprobe ist für Mittwoch, 16. Mai, ab 19 Uhr in der Tuchangerhalle vorgesehen. Jeder Sänger sollte wenigstens an einem Probentermin und an der Generalprobe teilnehmen, ehe dann am 19. Mai der große Auftritt der „Tausend Stimmen“ auf dem Marktplatz die Jubiläumsstadt Zeil erklingen lassen wird.
Zeiler Hymne
Zeil am Main, das ist Fachwerk, Frohsinn, Frankenwein,
Zeil am Main, da darf ich zuhause sein,
Zeil am Main, du schenkst Wärme und Geborgenheit,
Zeil am Main, hast ein Herz und das ist weit.
Die Erde dreht sich schnell und immer rasanter,
die Welt ist ein Dorf, das Denken global.
Das Schiff unsres Lebens, es braucht einen Anker,
und ohne Hafen sind Reisen fatal.
Tausend Jahre – eine Geschichte,
tausend Kehlen – ein Gesang.
1018 schenkte Heinrich dich nach Bamberg,
vom Gutshof wächst du zu Stadt und Markt heran.
Zeil am Main, das ist Fachwerk, Frohsinn, Frankenwein,
Steinhauer, Weinbauer, Bierbrauer, Weber!
Ziegelanger, Sechsthal, Schmachtenberg, Krum, Bischofsheim!
Tausend Jahre – eine Geschichte,
tausend Kehlen – ein Gesang.
Zeil am Main, das ist Fachwerk, Frohsinn, Frankenwein.