Anna H. ist 32 Jahre alt. Sie sitzt im Rollstuhl. Das war nicht immer so. "31 Jahre lang konnte ich laufen", sagt sie im Gespräch mit dieser Redaktion. Und nicht nur das. Sie hatte Spaß an ihrem Beruf als Sozialpädagogin, spielte Tennis, stand mitten im Leben. Sie stand. Mit Stehen ist es jedoch seit einem Jahr vorbei. Aber nicht endgültig, zumindest wenn es nach dem Willen von Anna geht. "Ich will wieder laufen können", kommt es beinahe trotzig. Sie will den Status quo nicht einfach akzeptieren. Im Augenblick braucht sie zwar den Rollstuhl, auf Dauer soll er jedoch nicht ihr Gefängnis bleiben.
Vier Zentimeter langer Tumor im Rückenmark
Wie alles begann. Anna litt unter vielschichtigen Schmerzen, in den Beinen, im Bauch. Aber zunächst konnte ihr kein Arzt weiterhelfen. Zum Teil wurde sie nicht erst genommen, mit Schmerzmitteln ruhiggestellt. Dass sie nachts nicht mehr schlafen konnte, der Oberschenkel steif wurde, interessierte niemanden, wurde fast als psychosomatische Störung abgetan. Bis sie den Hausarzt wechselte. Der neue Mediziner klemmte sich dahinter, dass sie in einer Klinik einmal auf Herz und Nieren durchgecheckt wurde. Dort kümmerte sich eine junge Orthopädin besonders um sie. "Das war mein Glück." Denn in der Röhre (MRT; die Red.) fand sich die Ursache für ihre Beschwerden: ein vier Zentimeter langer Tumor im Rückenmark, der die ganze Breite des Rückenmarkkanals ausfüllte.
Gerade noch rechtzeitig
"So verrückt es klingt", sagt Anna, "mir fiel irgendwie ein Stein vom Herzen. Endlich stand fest, dass ich mir nicht alles eingebildet hatte, die Schmerzen waren real, verursacht durch einen zwar nicht bösartigen, aber doch sehr großen Tumor im Rückenmark." Danach ging es ganz schnell. Fünf Stunden dauerte die Operation in der Uni-Klinik Erlangen. Nach Aussagen der Ärzte "höchste Eisenbahn". Wenn Anna noch ein bisschen später dran gewesen wäre, hätte der Tumor die Nervenbahnen durchtrennt, dann wäre der Rollstuhl wirklich die Endstation gewesen. Aber es war so schon schlimm genug. Der Tumor hatte das Rückenmark gequetscht, sie konnte die Beine weder spüren noch bewegen. Das Ependymom (WHO-Grad II) im Rückenmark zwischen dem 9. und 11. Brustwirbel konnte zwar vollständig entfernt werden. Doch die Ärzte stellten noch im Aufwachraum eine Querschnittslähmung fest. Seit diesem Zeitpunkt ist Anna vom Bauchnabel abwärts komplett gelähmt.
Sieben Monate "Hölle auf Erden"
Was dann kam, war für Anna "die Hölle auf Erden". Sieben Monate in einem Akutkrankenhaus für Rückenmarksverletzungen. "Ich habe mich voller Motivation dort hinbegeben. Ich dachte mir: Ich tue alles, damit ich wieder auf die Beine komme. Wenn ich alles mache, schaffe ich das wieder." Aber schon das erste Gespräch mit einem der dortigen Ärzte sei "niederschmetternd" gewesen. Diese Klinik habe ihre ganze Aufgabe darin gesehen, den Patienten auf seinen Rollstuhl vorzubereiten. "Ich hätte es besser gefunden, zweigleisig zu fahren", sagt Anna. Zum einen sei es natürlich wichtig, den Umgang mit dem Rollstuhl zu beherrschen. "Zum anderen sollte man aber sehen, dass man die Menschen wieder zum Gehen bringt."
Davon entfernte sie sich aber immer weiter. Zudem gab es nun neue gesundheitliche Probleme wie Thrombose, Embolie, Fieberschübe, Einblutungen in den Oberschenkel. "Da ist ein Liter Blut reingelaufen - ich hatte einen Hämoglobinwert von 6,0 -, ohne dass es jemand gemerkt hat", entrüstet sich Anna noch heute. Man habe ihr sogar einen Psychologen wegen des Verdachts auf Panikattacken aufgrund der Schmerzen ans Bett gesetzt. "Insgesamt verbrachte ich so neun Monate im Krankenhaus - was aber nicht allein an dem Tumor lag." Davon sei sie ein halbes Jahr nur gelegen, habe gar keine Therapien machen können. "Der Körper hatte so genug zu kämpfen."
Neue Hoffnung in Rummelsberg
Inzwischen hatten sich Annas Eltern umgesehen und in der Rummelsberger Klinik ein neues medizinisches Domizil für ihre Tochter gefunden. "Das war, als habe man einen Hebel umgelegt", erinnert sich Anna. "Die Ärzte dort sind Menschen, mit denen kann man reden. Was sehr wichtig ist, denn man fühlt sich den Medizinern in einer Klinik schon ein Stück weit ausgeliefert." Durch die Operation und den langen Klinikaufenthalt seien auch "viele Nebenbaustellen" entstanden: Nerven, Schmerzen, Spastiken.
Aber für Anna zählt nun nur noch der Blick nach vorne. Inzwischen ist sie nach langer Krankenhaus-Odyssee wieder zu Hause angekommen. Bei ihren Recherchen stieß sie auf ein Zentrum für Rehabilitation in Pforzheim, ein Therapiezentrum, spezialisiert auf Querschnittspatienten. Bei einem ersten Besuch habe man sie gleich an einen speziellen Rollator gestellt und sei ein wenig mit ihr gelaufen. Dort gelte das Motto: Wer laufen will, muss laufen. Ganz nach Annas Geschmack.
Anna ist zuversichtlich. Schließlich hatte sie trotz allem "Glück gehabt", wie sie selber sagt. Denn der Tumor habe ihr die Nerven ja noch nicht durchtrennt. Es bleibe ihr also die Hoffnung, doch wieder laufen zu können. Diese wird genährt von ihrem Gefühl, "denn ich spüre was in meinen Beinen, kann meine Zehen ein bisschen bewegen". In Hüfte und Oberschenkel seien Reflexe wiedergekommen. "Das sind gute Zeichen, so dass ich als ,inkomplette Querschnittslähmung' angesehen werde. Das ist für mich die Bestätigung weiterzumachen."
"Ich will wieder laufen!" Anna wiederholt ihr Ziel immer wieder. Sie lässt nicht locker. Sie will ihr altes Leben wiederhaben. Angefangen mit ein bisschen stehen können, "wie würde ich mich darüber schon freuen". Aber man soll sich die Ziele hoch stecken, sagt sie. Und schließlich hätten ihre Familie, ihre Freunde von Anfang an prophezeiht: "Ich werde wieder laufen!" Und sie will endlich wieder arbeiten können, ihre Arbeit habe ihr immer Spaß gemacht.
Der Weg zurück ins "normale" Leben soll im Frühjahr beginnen. Dann hat die Klinik in Pforzheim einen Termin für sie frei. Drei Monate lang sechs Stunden Training täglich. Ist das nicht ein bisschen viel? "Ich würde alles machen - und wenn es zehn Stunden am Tag wären." Es seien immer die schönsten Momente in ihrem derzeitigen Leben, wenn sie etwas für ihren Körper tun kann, also in der Physiotherapie. Im März beginnt ihr erster Aufenthalt in Pforzheim. "Und je öfter ich dort sein kann, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich wieder laufen kann."
Vertröstet und hingehalten
Die Behandlung in Pforzheim ist allerdings erst einmal nur für drei Monate gesichert. Vor einen etwaigen Erfolg haben die Götter nämlich eine Menge Probleme und Bürokratie gestellt. Für die Bezahlung dieser Behandlung ist nicht die Krankenversicherung zuständig, sondern die Rentenversicherung Bund. Und die weigert sich, so Anna H., die Kosten für die Behandlung zu übernehmen. Die Begründung: Man habe keinen Vertrag mit der Pforzheimer Klinik. Dagegen hat die junge Frau Widerspruch eingelegt. Seitdem, so wirft sie der Rentenversicherung vor, habe sie keinen Kontakt mehr mit der Körperschaft bekommen, obwohl sie mindestens alle zwei Tage dort anrufe. "Ich werde immer wieder vertröstet, niemand ist zuständig."
Anna H. will sich mit der Ablehnung nicht abfinden. "Es gibt doch immer wieder auch Einzelfallregelungen." Immerhin hätten die Ärzte festgestellt, ihr Körper biete genug Potenzial, um die Behandlung in Pforzheim zu versuchen. Die Pforzheimer Klinik habe zwanzig Jahre Erfahrung und Erfolg mit der Behandlung von Querschnittspatienten. Und auch die Ärzte der Rummelsberger Klinik attestierten Anna Fortschritte. Empfohlen werden zwei Aufenthalte über jeweils drei Monate. Die Kosten für einen Aufenthalt betragen 60 000 Euro.
Um sich nicht von ihren Lebensträumen verabschieden zu müssen, möchte sie die Therapie notfalls auch ohne Hilfe der Rentenversicherung starten. Dabei helfen ihr Freunde, Bekannte, die ganze Dorfgemeinschaft in Unfinden. So findet am Sonntag, 10. November, um 17 Uhr im Sportheim des SV Friesenhausen ein Benefizkonzert mit der Charity Big Band "Pfeffer, Salz & Sahne" aus Hofheim zugunsten von Anna statt. Der Sportverein und die Band machen darauf aufmerksam, dass der Eintritt zum Konzert frei ist, um Spenden für Anna aber gebeten wird. Die Dorfgemeinschaft in Unfinden wird am 24. November mehrere Aktionen zugunsten der Behandlung von Anna durchführen. "Das ist wirklich überwältigend." Anna kann es kaum fassen. "Ich möchte mich bei allen bedanken. Es hat eingeschlagen wie eine Bombe. Die Anteilnahme ist echt überwältigend. Nicht nur mein Dorf, viele umliegende Ortschaften haben sich an der Spendenaktion beteiligt."
Wer daran glaubt, dass Anna wieder laufen wird, kann sie bei den Kosten für die notwendige Therapie unterstützen. Jeder Euro hilft einen Schritt weiter. Spendenkonto Nürnberger Nachrichten DE63 7605 0101 0001 1011 11 Verwendungszweck: "Lauf Anna, lauf!" Für Spendenbescheinigung Name und Adresse im Verwendungszweck mit angeben, Versand ab 100 Euro automatisch.
Lesen Sie dazu auch unser "Streiflicht"