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Wonfurt
Wie ein Dorf im Landkreis Haßberge an seine jüdische Geschichte erinnert
Einst machten Juden 20 Prozent der Bevölkerung von Wonfurt aus. Mit einer Veranstaltung erinnerte die Gemeinde jetzt an sie – und an eine Frau, die von den Nazis ermordet wurde.
Mehr als 80 Besucher kamen zum Rundgang zur jüdischen Geschichte von Wonfurt. Die Häuserreihe neben der Kirche im Hintergrund war einst von Juden bewohnt, denen vorgeworfen wurde, die Fundamente der Kirche zu zerstören.
Foto: Peter Schmieder | Mehr als 80 Besucher kamen zum Rundgang zur jüdischen Geschichte von Wonfurt. Die Häuserreihe neben der Kirche im Hintergrund war einst von Juden bewohnt, denen vorgeworfen wurde, die Fundamente der Kirche zu zerstören.
Peter Schmieder
 |  aktualisiert: 26.09.2021 03:03 Uhr

Wenn vom Judentum die Rede ist, denken viele Menschen gerade in Deutschland zuerst an Verfolgung und Vernichtung in der Nazizeit. Doch nicht allen gefällt das. Holger Baunacher (CSU), Bürgermeister von Wonfurt (Lkr. Haßberge) sagte am Samstag: "Es fehlt ein größeres Maß an Erinnerungskultur. Nicht nur, was schlecht gelaufen ist, sondern auch, was gut gelaufen ist."

Damit leitete er eine Veranstaltung ein, die versuchte, beiden Seiten gerecht zu werden: Dem Gedenken an die Opfer der Nazis ebenso wie der Erinnerung an das jüdische Leben in Deutschland in den Jahrhunderten davor. Mehr als 80 Besucherinnen und Besucher nahmen an dem historischen Rundgang durch Wonfurt teil.

1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Dieses Konzept dürfte auch im Sinne von Josef Schuster, dem Präsidenten des Zentralrates der Juden, gewesen sein. Dieser war als Ehrengast geladen, hatte aber letztlich abgesagt. Auch Schuster hatte mehrfach angeregt, das Judentum solle nicht auf den Holocaust reduziert werden, gerade mit Blick auf die Feierlichkeiten "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Im Rahmen dieses Festjahres fand auch der Rundgang zur jüdischen Geschichte in Wonfurt statt.

Mit dabei war Norbert Krapf, ein amerikanischer Autor und Literaturprofessor mit deutschen Wurzeln. Auf der Suche nach seiner Familiengeschichte war er einst auf das Schicksal der Jüdin Klara Krapf gestoßen, die 1869 in Wonfurt geboren und 1943 von den Nazis im Konzentrationslager Theresienstadt ermordet wurde. Die letzten Jahre vor der Deportation hatte Klara Krapf in einem jüdischen Altenheim in Würzburg verbracht, wo ihr im März ein Stolperstein gewidmet wurde.

20 Prozent jüdische Bevölkerung

Norbert Krapf vermutete zeitweise, er könne mit Klara Krapf eine seiner deutschen Verwandten gefunden haben. Auch wenn sich diese These nicht bewahrheitete, begann sich der Autor für die Frau zu interessieren. Er reiste an die Orte, an denen sie gelebt hatte, ebenso wie nach Theresienstadt, an den Ort ihres Todes. Diese Spurensuche und seine Gedanken zur Vergangenheit verewigte Norbert Krapf in Gedichten, aus denen er während des Rundgangs an mehreren Stationen vorlas.

Professor Norbert Krapf (links) las aus seinen Gedichten für die ermordete Jüdin Klara Krapf. Historiker Roland Flade übersetzte diese ins Deutsche und erzählte Einiges zum Hintergrund.
Foto: Peter Schmieder | Professor Norbert Krapf (links) las aus seinen Gedichten für die ermordete Jüdin Klara Krapf. Historiker Roland Flade übersetzte diese ins Deutsche und erzählte Einiges zum Hintergrund.

Los ging es an dem Ort, an dem einst Klara Krapfs Geburtshaus gestanden hatte. Doch es ging bei dem Rundgang nicht nur um Klara Krapf und andere Opfer der Nationalsozialisten. Immerhin hatte Wonfurt im 19. Jahrhundert eine recht große jüdische Bevölkerung. Zeitweise waren rund 20 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner des Dorfes jüdischen Glaubens und etwa jedes zweite oder dritte Haus im Ort war irgendwann in seiner Geschichte einmal in jüdischem Besitz. So gab es in Wonfurt eine Synagoge, eine Judenschule und eine Mikwe – ein jüdisches Ritualbad.

Geschichten von Nachbarschaftshilfe, aber auch von Vorurteilen

Der Würzburger Historiker Dr. Roland Flade, der Haßfurter Stadtarchivar Thomas Schindler und der Wonfurter Heimatgeschichtler Raimund Vogt stellten den Teilnehmerinnen und Teilnehmern diese verschiedenen Orte vor, zeigten, wo sich einst diese Einrichtungen befanden und in welchen Häusern einst viele Juden lebten. Dabei ging es um das Zusammenleben zwischen christlichen und jüdischen Wonfurtern, um gegenseitige Nachbarschaftshilfe und um jüdische Gemeinderäte – aber auch um Vorurteile und falsche Anschuldigungen.

So erzählte Thomas Schindler beispielsweise vom jüdischen Ritual, nach dem Tod eines Menschen Wasser vor die Haustür zu gießen. Als das jedoch die Juden taten, die in den Häusern direkt neben der Wonfurter Kirche lebten, wurde ihnen das bald bei Strafe verboten. Der Vorwurf lautete, sie würden mit dem Wasser die Fundamente der Kirche beschädigen.

Diskussion um die richtige Erinnerungskultur

Im Anschluss an den Gang durch den Ort folgte eine Diskussionsrunde mit den Historikern Roland Flade, Thomas Schindler und Raimund Vogt sowie dem Autor Norbert Krapf. In dieser ging es vor allem um die Frage nach der richtigen Erinnerungskultur.

Main-Post-Redakteur Peter Schmieder (2. von rechts) moderierte im Anschluss an den Rundgang die Diskussionsrunde mit (von links) Roland Flade, Norbert Krapf, Thomas Schindler und Raimund Vogt.
Foto: Holger Baunacher | Main-Post-Redakteur Peter Schmieder (2. von rechts) moderierte im Anschluss an den Rundgang die Diskussionsrunde mit (von links) Roland Flade, Norbert Krapf, Thomas Schindler und Raimund Vogt.

Dabei kam zur Sprache, dass Elisabeth Steinwachs, Tochter von Raimund Vogt und die Patin des Stolpersteins für Klara Krapf, sich gewünscht hätte, dass der Stein eher in Wonfurt seinen Platz gefunden hätte als in Würzburg. Schon bei ihrem Grußwort am Beginn des Rundgangs hatte sie gesagt: "Ich freue mich sehr, dass Wonfurt bereit ist für die Erinnerungskultur an jüdischen Mitbürgern", und dabei durchblicken lassen, dass die Gemeinde ihrer Ansicht nach zu spät und zu zögerlich damit begonnen hatte.

Bürgermeister Holger Baunacher machte hingegen deutlich, wenn, dann wolle die Gemeinde eher an alle ermordeten Juden aus Wonfurt erinnern, anstatt nur eine Einzelperson herauszugreifen. Eine solche Aktion brauche allerdings mehr Zeit und gute Recherche. Zudem wolle er eher positive Erinnerungen in den Vordergrund rücken, als das Judentum nur auf die Verfolgung zu reduzieren.

Auftakt für weitere Veranstaltungen?

Landrat Wilhelm Schneider (CSU) zeigte sich begeistert von dem Rundgang und sagte, er hoffe, dass dieser nur der Auftakt für weitere Veranstaltungen sei, die die Erinnerung lebendig halten. Gerade in einer Zeit, in der Antisemitismus, Vorurteile und Hass wieder zunehmen, sei es wichtig, diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. "Deshalb brauchen wir Mahnmale, Gedenkstätten und solche Veranstaltungen wie heute dringender denn je."

 
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