Sie können Feuer schlucken, auf dem Drahtseil balancieren, jonglieren oder Saltos schlagen. In Luft auflösen können sich die Mitglieder der Zirkusfamilie Renz allerdings nicht. Genau das wünschte sich jedoch Stefan Paulus, Bürgermeister von Knetzgau (Landkreis Haßberge). Er findet, dass es sich die in Corona-Zeiten in seiner Gemeinde gestrandeten Akrobaten, Clowns und Dresseure und ihre Kinder auf dem Parkplatz der Franz-Hofmann-Halle allzu bequem machen. Weil er will, dass die Truppe endlich weiterzieht, hat er ihr schon vor Wochen Strom und Wasser abgestellt. Da wird es jetzt in den ersten kalten Herbsttagen in den Wohnwagen richtig ungemütlich. Trotzdem macht der Zirkus keine Anstalten, die Zelte abzubrechen.
Wobei das große, 800 Zuschauer fassende Festzelt gar nicht aufgebaut ist, sondern lediglich das Quartierzelt für Lamas, Pferde oder Kamele. Weswegen der genervte Bürgermeister den Zirkusleuten mittlerweile sogar vorwirft, gar keine Interesse daran zu haben, ihrem Beruf nachzukommen. "Die hätten doch längst bei uns eine Aufführung bieten können", unterstrich Paulus im Gespräch mit dieser Redaktion am Dienstag seinen Unmut.
Von Seiten des Zirkus heißt es hingegen, es liege gar keine Erlaubnis zum Aufbau des großen Zeltes vor. "Wir würde gerne ein Gastspiel geben, Sie können sich ja vorstellen, wie wichtig jeder Tag für uns ist, an dem wir Einnahmen haben", versicherten ebenfalls am Dienstag die Schwestern Sandy (25) und Angel (33) Köllner. Ihr Onkel Alfons Renz, der den Zirkus leitet, war nicht zu sprechen. "Er ist wieder unterwegs, um einen Anschlussplatz zu finden. Aber es schaut schlecht aus", sagten die Schwestern.
Genau das ist der eigentliche Streitpunkt. Paulus ist sich sicher, dass der Zirkus längst anderswo seinen Betrieb wieder hätte aufnehmen können, er erwähnt ein angebliches Angebot in Oberfranken im August. Er drückt offen seine Zweifel aus, dass es sich bei seinen inzwischen ungebetenen Gästen um einen richtigen Zirkus handelt, was die Familie Renz als Schlag ins Gesicht empfindet. "Dass wir jetzt hier festsitzen, hat allein mit Corona zu tun. Wir finden einfach keine Gemeinde, die uns jetzt ihren Festplatz zur Verfügung stellen würde", widerspricht Angel Köllner dem Gemeindeoberhaupt, und versichert: "Wir sind ein Zirkus durch und durch und würden am liebsten sofort weiterreisen."
Verband rät davon ab, unter Corona-Bedingungen zu gastieren
In seiner Not hat sich der Zirkus Renz schon vor einigen Wochen an den Verband Deutscher Circus-Unternehmen gewandt. Dessen Vorsitzender Ralf Huppertz ist dem Familienunternehmen auch zur Seite gesprungen. In einem Brief an Bürgermeister Paulus weist er auf die extrem schwierige Lage der Zirkusse hin, nicht nur, weil sehr viele Kommunen keine Genehmigungen erteilten. Zwar sei es grundsätzlich möglich, wieder zu gastieren. Jedoch seien die Bedingungen durch Corona so erschwerend, "dass wir es unseren Unternehmen nicht anraten können", schreibt Huppertz. Zelte dürften unter den Hygienemaßnahmen der Pandemie nur zu 30 Prozent besetzt werden, was kaum reiche, die Kosten für Anreise, Platzmiete und sonstigen Unterhalt abzudecken.
Es nutze also nichts, wenn der unverschuldet in Not geratene Zirkus Renz etwas von vornherein Unmögliches probiere, stellt der Verbandsvorsitzende fest und appelliert an die Gemeinde Knetzgau, mit den Gestrandeten zu kooperieren. "Die Familie ohne Wasser und Strom zu lassen, ist auf jeden Fall keine Lösung".
Antwort des Bürgermeisters "völlig unter der Gürtellinie"
Über die Antwort, die er Mitte September aus dem Knetzgauer Rathaus erhalten hat, ärgert sich Huppertz noch immer: "Völlig unter der Gürtellinie", fasste er es am Dienstag im Gespräch mit der Redaktion zusammen. Nicht nur, weil Paulus den Zirkusleuten darin einmal mehr Inaktivität unterstellt, er beschwert sich auch über "Pools, große Motorräder und Pkw und luxuriöse SAT-Anlagen" auf dem Parkplatz der Franz-Hofmann-Halle. Damit würden Vorurteile geschürt nach dem Motto "Denen geht es allen viel zu gut", wie dies ja auch gegenüber Asylbewerbern der Fall sei, befürchtet Huppertz - denn die Zirkusfamilie bezieht Hartz-IV-Leistungen. "Jedem anderen, der jetzt wegen Corona arbeitslos geworden ist, werfen Sie doch auch nicht vor, zum Beispiel ein eigenes Haus zu besitzen."
Das Knetzgauer Beispiel hat der Verband Deutscher Circus-Unternehmen zum Anlass genommen, Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder auf die Nöte gerade der kleinen Betriebe in Corona-Zeiten aufmerksam zu machen. "Ich habe noch nicht mal eine Antwort erhalten", ahnt Huppertz nun, dass die Staatsregierung den Zirkussen kein allzu großes Gewicht beimisst.
Hilfe von "netten Menschen"
Ganz und gar im Stich gelassen fühlen sich das gute Dutzend Erwachsener und die sieben Kinder der Renz-Familie in Knetzgau aber nicht. "Die Menschen hier in der Umgebung sind sehr nett", freuen sich die Schwestern Sandy und Angel über Unterstützung etwa von Landwirten, die Wasserfässer füllen oder Futter für ihre Vierbeiner spenden. "Wir selber kommen schon zurecht, aber bei den Tieren brauchen wir Spenden." Gerade habe ihnen jemand ein Aggregat zur Stromerzeugung angeboten, dann könnten vielleicht wieder die Kühlschränke laufen, tat sich am Dienstag für die jungen Mütter ein Hoffnungsschimmer auf. Den Vorwurf, dass sie Bürger beim Betteln und Hausieren belästigen würden, bestreiten sie vehement.
"Wo sehen Sie denn hier Luxus?"
Zu denen, die Hilfe leisten, zählt Guido Komke (58) aus dem benachbarten Sand am Main. "Wo sehen Sie denn hier Luxus", fragte er am Dienstag auf dem Knetzgauer Großparkplatz. Es sei doch im Gegenteil so, dass die Zirkusfamilien zu den schwächsten Gliedern im Sozialstaat zählten. "Und gerade die dürfen wir doch nicht im Stich lassen." Komke arbeitet als Koch in Bamberg und bringt für die Tiere übrig geblieben Brötchen vorbei. Aber er hat auch ein Beschwerdeschreiben an Bürgermeister Paulus verfasst, in dem er den Lokalpolitiker auffordert, für eine soziale und humane Lösung zu sorgen. Mit dem Papier ist es dem Koch nach eigenen Angaben ebenso gegangen wie dem Verbandsvorsitzenden Huppertz bei Söder: Keine Reaktion. Und das von der angeblich familienfreundlichsten Gemeinde im Haßbergkreis.
Von Knetzgau Richtung Staatskanzlei?
Strom für 5400 Euro und Kosten für 455 Kubikmeter Wasser sind durch den Zirkus Renz in Knetzgau angefallen, ehe die Gemeinde den Hahn zudrehte und die Stecker zog, heißt es aus der Verwaltung. Weil sich die Kommune das Geld dafür mit dem Jobcenter teilen muss, findet auch Bürgermeister Paulus, dass es eigentlich der Freistaat sein sollte, der den Zirkussen hilft. "Ich habe nichts dagegen, wenn der Markus Söder den Zirkus auf den Hofgarten vor der Staatskanzlei holt", meinte der 54-Jährige nicht ganz ernst gemeint am Dienstag. Vielleicht tritt der Zirkus Renz bis dahin doch noch in Knetzgau auf.
Grüsse aus Knetzgau
Das Wasser lass ich mir vielleicht noch eingehen.
Der Verbrauch ist für Sommer und Übergangszeiten schon nicht unerheblich. Brauche ich nicht für Firma und Privat im Jahr zusammen und da läuft ein Pool mit, sowie etliche 24/7 Geräte und 400v Aggregate.
Daher ist das schon ne Hausnummer.
Und bzgl. Hinterfragen: In der aktuellen Zeit in der alternative Energien/ Energiewende usw. in der Presse an der Tagesordnung sind, erwarte ich die Nachfrage nebst Antwort vom Autor eines solchen Artikels... (selbst mit "nur" dem Wissen zum Stromverbrauch eines Single- oder Familienhaushalt)
Mein Kommentar dazu: "Kein Kommentar!"