
Freitagvormittag, 11 Uhr. Die Spannung steigt. Das Feuerwehrhaus von Wasmuthhausen ist vorbereitet, wie in jedem Jahr. Vor dem Gebäude ist ein großes Zelt aufgebaut, sowohl das Zelt als auch die Fahrzeughalle stehen voll mit Biertischen und -bänken. Das Feuerwehrauto muss in dieser Zeit mal außerhalb der Halle stehen, denn der Platz im Gerätehaus wird gebraucht, um Hunderte von hungrigen Mäulern zu stopfen – mit Leberkäse und Kartoffelsalat. Jede Minute können die Gäste ankommen, und dann muss alles ganz schnell gehen.
Für die Bevölkerung von Wasmuthausen ist es jedes Jahr ein Highlight: Nicht einmal 200 Einwohnerinnen und Einwohner hat der Maroldsweisacher Ortsteil, doch wenn die Wallfahrer aus Bad Königshofen kommen, müssen in dem kleinen Dorf in kürzester Zeit 300 bis 400 Menschen mit Essen versorgt werden. Wohl gemerkt: Die Redaktion hat im vorangegangenen Satz nicht vergessen, auch die Wallfahrerinnen mitzuerwähnen. Denn bei dem besonderen Spektakel handelt es sich um eine reine Männerwallfahrt.

Seit dem Jahr 1946 gibt es diese Tradition. Am Freitag geht es von Bad Königshofen (Lkr. Rhön-Grabfeld) aus 60 Kilometer weit zur Wallfahrtskirche in Vierzehnheiligen (Lkr. Lichtenfels) – und das an nur einem Tag. Der Rückweg ist dann auf zwei Tage aufgeteilt: Nach einer Übernachtung in Vierzehnheiligen geht es am Samstag zurück nach Seßlach (Lkr. Coburg), wo die Wallfahrer noch einmal übernachten, und von dort aus am Sonntag wieder nach Bad Königshofen.
Eng getakteter Zeitplan: Bis 12 Uhr müssen alle gegessen haben
Von Anfang an gehörte zur Männerwallfahrt auch die Mittagspause in Wasmuthhausen – einmal auf dem Hinweg am Freitag und ein weiteres Mal zwei Tage später auf dem Rückweg. In den ersten Jahrzehnten wurden die Wallfahrer dafür auf zwei Gaststätten im Ort verteilt. Doch nach dem Tod eines Wirts Anfang der 70er Jahre musste eine neue Lösung her. So übernahm ab 1973 die Feuerwehr Wasmuthhausen die Aufgabe, die Pilger in ihrem Gerätehaus zu versorgen.
"Da hilft jeder gerne mit, weil es immer Spaß macht", sagt Georg Vogt, zweiter Vorsitzender der Feuerwehr. In diesem Jahr hilft er nur bei der Organisation der Mittagspause sowie der Bewirtung der Wallfahrer. Früher sei er allerdings auch schon einige Male selbst als Wallfahrer dabei gewesen. "Es war jedes Mal wieder schön", erinnert er sich im Gespräch mit der Redaktion, während die Feuerwehrleute auf die Ankunft der Gäste warten.

Die Uhr tickt weiter. Jede Minute, die die Pilger später in Wasmuthhausen ankommen, bedeutet mehr Stress für alle Beteiligten, denn der Zeitplan ist eng getaktet. Bis 12 Uhr müssen alle gegessen haben, um rechtzeitig wieder loszukommen. Um 11.15 Uhr ist es dann so weit. Vom Feuerwehrhaus aus sieht es ein bisschen bedrohlich aus, wie hunderte Wallfahrer schnellen Schrittes auf das Gebäude zulaufen. Fast wirkt es wie eine einfallende Horde, die das kleine Dorf überrennt.
Keiner soll hungrig weitergehen müssen
In kürzester Zeit hat sich jeder von ihnen einen Platz gesucht und geht Essen und Getränke holen. In großen Krügen werden Cola, Wasser, Bier und andere Durstlöscher ausgeschenkt. An einer anderen Stelle gehen im Sekundentakt Teller mit Leberkäse und Kartoffelsalat über die Theke. Die Wallfahrer und die Feuerwehrleute, die sie bedienen: Sie sind ein eingespieltes Team, und das seit mittlerweile vielen Jahrzehnten.

"Wir sorgen dafür, dass keiner hungrig weitergeht", sagt Eberhard Vogel. Seit die Feuerwehr die Wallfahrer verköstigt, ist er als Helfer dabei, seit 16 Jahren ist er nun auch Vorsitzender der Feuerwehr. Die Bezahlung für das Essen und die Getränke sei "Vertrauenssache", berichtet er. An der Ausgabe geht kein Geld über die Theke, abgerechnet wird später.
Ein Gelübde aus dem Zweiten Weltkrieg: So kam es zur ersten Männerwallfahrt
Doch warum handelt es sich hier um eine reine Männerwallfahrt? "Das ist aus einem Gelübde im Zweiten Weltkrieg entstanden", erklärt Wallfahrtsführer Kilian Weigand aus Bad Königshofen. Aus Dankbarkeit dafür, dass sie den Krieg überlebt hatten, riefen damals ein paar ehemalige Soldaten die alljährliche Wallfahrt ins Leben, die es bis heute gibt. Und da damals eben nur Männer Soldaten werden konnten, nehmen auch bis heute nur Männer an der Wallfahrt teil.

Die Zahl der Pilger ist über die Jahrzehnte massiv angestiegen. Waren es in der Anfangszeit noch weniger als 100 Teilnehmer, so sind es in diesem Jahr bei der Ankunft in Wasmuthhausen 310. Wenn es nach der Mittagspause weitergeht, werden es 350 sein, berichtet Weigand, denn einige Pilger aus der Region Haßberge stoßen erst hier dazu.
Das klingt nach einer riesigen Zahl, in den vergangenen Jahren seien es aber auch schon mehr gewesen, erinnern sich Eberhard Vogel und Georg Vogt von der Feuerwehr. Der Höchstwert lag einmal bei 420. Dass es in diesem Jahr etwas weniger sind, könne auch daran liegen, dass viele Bauern unter den Wallfahrern seien, so die Vermutung der Feuerwehrleute. Denn diese müssten es immer vom Wetter abhängig machen, ob sie Zeit für die Wallfahrt haben oder ob es zu viel Arbeit auf ihren Höfen gibt. Aktuell sei in der Landwirtschaft einfach zu viel zu tun, um drei volle Tage von den Feldern wegzubleiben.
Religiosität und Gemeinschaftserlebnis: Die Motivation der Wallfahrer
Kilian Weigand hält derweil regen Kontakt zu Josef Treutlein, den er scherzhaft als den "15. Nothelfer" der Wallfahrer beschreibt. Treutlein ist Pfarrer im Ruhestand, war früher als Wallfahrtspfarrer dabei und hat bis heute die nötigen Kontakte, um in Vierzehnheiligen auch noch sehr kurzfristig Übernachtungsplätze für die Pilger zu organisieren. Per Handy gibt Wallfahrtsführer Weigand durch, wie viele Betten noch gebraucht werden.

Die Geschichten, warum die Teilnehmer bei der Wallfahrt dabei sind, sind sehr unterschiedlich. Manchen geht es tatsächlich um eine tiefe Religiosität, für andere steht eher das Gemeinschaftserlebnis im Vordergrund. "Bei einer Feuerwehrübung hat der Kommandant zu mir gesagt: 'Du kannst auch mal mitlaufen'", beschreibt Niclas Schmitt aus Heustreu, wie es bei ihm angefangen hat. Mittlerweile sei er zum achten Mal dabei, als Teil einer Gruppe von 25 Personen, die jedes Jahr mitlaufen.

Kurz vor 12 Uhr beginnt die Musik zu spielen – das Zeichen, dass es bald weitergeht. So schnell, wie die Wallfahrer gekommen sind, sind sie auch wieder weg: Um 12.05 Uhr ziehen sie vorbei an der katholischen Kirche Richtung Ortsausgang. Noch zweimal werden sie im Laufe des Nachmittags Rast machen, in Seßlach sowie in Altenbanz. Auch dann dürfen sie keine Zeit verlieren, schließlich wollen sie am Abend pünktlich um 20.15 Uhr in die Basilika Vierzehnheiligen einziehen.