
Ein sehr ungewöhnliches Theaterstück wurde kürzlich in Fabrikschleichach aufgeführt: Es war die öffentliche Generalprobe zum Thema sexuellem Missbrauch in der Kirche und traf die Gemüter der circa 80 Zuschauerinnen und Zuschauer ins Mark.
Das Bühnenbild machte die Zuhörerschaft zu Voyeuren: ein Beichtstuhl, mit einem schwarzen Gitternetz so verhängt, dass sich die Mimik der beiden Protagonisten, gespielt von Danilo Lemp und Roman Wegmann, kaum erahnen ließ, aber die Worte deutlich im ganzen Saal zu vernehmen waren. Und da saßen sie dann, der Priester, welcher "seinem Sohn" die Beichte abnahm und der "Sohn", der dem "Vater" seine Konfliktsituation erläuterte. Er sei Nachhilfelehrer und fühle sich von seinem zehnjährigen Schüler in emotionaler und auch sexueller Hinsicht angezogen. Jegliche Versuche, die Beziehung zu beenden, würden fehlschlagen.
Zuhören war angesagt und miterleben, wie das Unaussprechliche immer näher rückte, bis dann doch, auf überraschende Weise und gerade noch rechtzeitig, die Handschellen klickten. Nicht bei dem Beichtenden, sondern bei dem beim Beichtvater. Dieser war in eine Falle geraten. Totenstille herrschte im Zuschauerraum während des fünfundsiebzig minütigen Einakters – und auch danach. Nur zögerlich begannen die Gäste zu klatschen, nicht frenetisch, sondern dezent, so schien es, voller Hochachtung den beiden Akteuren gegenüber, von welchen Lemp selbst einst Missbrauchsopfer war und der somit als Betroffener in dem Theaterstück seine eigenen Erlebnisse hochkochen ließ.
Podiumsdiskussion nach dem Theaterstück
Das Theaterstück war zudem Wegbereiter für eine einstündige Podiumsdiskussion, bei der sich die zwei Mitglieder des Betroffenen-Beirats Regensburg, Josefa Schalk und Richard Nusser, gemeinsam mit einer neutralen Expertin, Heidemarie Köber, den Fragen des Publikums stellten. Auch dieser Part des Abends war von Stille im Raum geprägt, von aufmerksamem Zuhören und dem Versuch, das Gehörte zu verarbeiten. Wie ein Sog, so ein Zuhörer, sei das Ganze tief in sein Inneres eingedrungen.
Dass sein kann, was nicht sein darf, überall, in der Kirche, aber auch im Verein und in der Familie. Dass es nicht jedem, aber doch manchem Betroffenen gelänge, die Rolle des Missbrauchsopfers abzulegen und danach als Zeitzeuge sein Leben erfolgreich in die Hand zu nehmen. Häufig erlebt aber auch die Neigung, das Geschehene mit Drogen zu verdrängen oder in der Depression zu versinken. Und wie schwer der Weg wäre, das Thema zu einer gesellschaftlichen Anerkennung zu führen.
Darum sei sie so erfreut über das Theaterstück, erklärte Josefa Schalk gegenüber dieser Redaktion. Kunst öffne Türen. Schon das Buch, auf welchem das Werk beruht, "die Summe des Ganzen" von Steven Uhly, sei ein Wegweiser. Das Theaterstück, welches auch Schalk erstmalig miterlebten, könne weitere Zuhörerinnen und Zuhörer gewinnen.
Lemp: "Das Leben ist die Geschichte unserer Begegnungen"
Zufall war es keiner, dass das Café Ton in dem kleinen Steigerwalddorf Fabrikschleichach als Aufführungsort für die öffentliche Generalprobe ausgewählt wurde. Der 54-jährige Danilo Lemp, der das Theaterstück geschrieben hatte und einer der beiden Protagonisten war, wohnte zwischen 1990 und 2004 in dem Ort. Er fühle sich hier immer noch sehr geborgen und wähne sich in der Dorfgemeinschaft "unter Freunden". Isabel Dieck-Tummeley, Geschäftsführerin des Café Ton, ging noch einen Schritt weiter: "Er gehört zur Familie".
Der Schlüsselsatz für Lemp lautet: "Das Leben ist die Geschichte unserer Begegnungen." Diese könnten abgrundtief sein, aber auch heilsam. An seiner persönlichen Aufarbeitung nahmen aktive und ehemalige Domspatzen teil. Es entstand unter der Leitung des Domkapellmeister Roland Büchner sogar ein Videoclip, die Produktion "Sonnenstrahlen".
In einer früheren Fassung des Artikels war von einem Schauspieler namens Roland Wegmann die Rede. Tatsächlich heißt er Roman Wegmann. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.