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Königsberg
Statt Designermode: Königsberger Firma fertigt Gesichtsmasken
Die Lohnnäherei der Firma Michel ist eigentlich auf die Herstellung modischer Kleinserien spezialisiert. Das Coronavirus hat die Arbeitsabläufe auf den Kopf gestellt.
Ein Mitarbeiter der Firma Michel bei der Produktion einer Gesichtsmaske. Die Lohnnäherei aus Königsberg hat ihre Produktion aufgrund der Coronakrise umgestellt.
Foto: Stefan Hückmann | Ein Mitarbeiter der Firma Michel bei der Produktion einer Gesichtsmaske. Die Lohnnäherei aus Königsberg hat ihre Produktion aufgrund der Coronakrise umgestellt.
Felix Mock
Felix Mock
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:35 Uhr

Es wird fast schon etwas philosophisch, wenn Markus Belte über die Auswirkungen des Coronavirus spricht. Nicht über die gesundheitlichen - der 55-Jährige ist Ingenieur, kein Mediziner - sondern über die Veränderungen in der Arbeitswelt, die die Pandemie nach sich zieht. "Es ist ein bisschen wie ein Zeitsprung", sinniert er in sein Mobiltelefon. "Wir sind plötzlich da, wo wir vielleicht erst 2030 gewesen wären." Gemeint ist die schlagartige Digitalisierung zahlreicher Arbeitsabläufe, der Verzicht auf ständige Geschäftsreisen per Auto oder Flugzeug.

Corona macht's nicht möglich, aber erforderlich: Belte, in erster Instanz Geschäftsführer eines metallverarbeitenden Automobilzulieferers in Paderborn, arbeitet derzeit von seinem Haus im Münchner Vorort Grünwald aus. Der wöchentliche Flug ist gestrichen. Das Unternehmen in Nordrhein-Westfalen ist nicht sein einziges Standbein - Belte ist nebenbei auch seit zwölf Jahren geschäftsführender Gesellschafter der Firma Michel in Königsberg. Das ist eine von wenigen in Deutschland produzierenden Lohnnähereien. Und auch die Firma in den Haßbergen springt gerade durch die Zeit.

Designermode als eigentliche Aufgabe der Königsberger

20 Näherinnen und etwa zehn Teilzeitkräfte der Firma Michel, deren Name noch vom Gründer Günther Michel herrührt, fertigen Designermode an - eigentlich. Modeschöpfer schicken ihre Schnitte und die gewünschten Stoffe an die Königsberger Firma, wo dann Jeans, Blusen und Kostüme in kleiner Stückzahl angefertigt werden. Diese Teile sind für Außendienstmitarbeiter bestimmt, die damit im Einzelhandel vorstellig werden oder Models für ein Fotoshooting versorgen. Die Serienproduktion der Klamotten findet dann im Ausland, häufig in der Türkei, statt - aus Kostengründen.

Soweit die ursprüngliche Aufgabe des Unternehmens Michel. Doch wie fast in jeder Branche machten sich auch in der Lohnnäherei die Auswirkungen der Pandemie bemerkbar. Boutiquen und Geschäfte mussten schließen, stornierten folglich ihre Bestellungen. Stoffe aus Italien und Spanien sowie Reißverschlüsse und Knöpfe aus Asien kamen nicht mehr in Königsberg an. Die Corona-Krise ließ die gesamte Kette ins Stocken geraten. Belte beantragte Kurzarbeit für die gesamte Belegschaft - das war Mitte März.

Nachfrage nach Atemmasken schnellt in die Höhe

"Wir wussten nicht, was mit dieser Krise auf uns zukommt. Deswegen haben wir Kurzarbeit beantragt, alleine schon als Vorsichtsmaßnahme", erzählt Belte. Nun, Anfang April, hat sich die Situation grundlegend geändert, die Firma Michel den Zeitsprung vollzogen. Was war passiert? "Senioren- und Pflegeheime, die Lebensmittelbranche aber auch Einzelpersonen haben uns geschrieben oder angerufen, ob wir Gesichtsmasken herstellen." Taten sie da noch nicht.

Aktuell produziert die Firma Michel in Königsberg etwa 5000 Masken pro Tag.
Foto: Stefan Hückmann | Aktuell produziert die Firma Michel in Königsberg etwa 5000 Masken pro Tag.

Bei den ersten Anfragen habe er noch abgewunken. Geht nicht, Designermode und Gesichtsmasken, zwei grundverschiedene Dinge, machen wir nicht. Doch es blieb nicht bei ein, zwei Anfragen. Alleine in der vergangenen Woche waren es 30. Belte entschied sich fürs Handeln - und ließ erste Prototypen entwerfen. Etwa zehn Tage lang experimentierten seine Mitarbeiter in Königsberg. Inzwischen ist seine Firma soweit, in Serie zu produzieren. 5000 Masken schafft der Betrieb pro Tag.

Zwei Wochen waren es gerade mal zwischen Laufstegkostüm und Gesichtsmaske, zwei Wochen zwischen Kurzarbeit und sich stapelnden Aufträgen. "Es ist schon verrückt", sagt Belte und muss etwas lachen. "Vor wenigen Tagen habe ich meine Arbeiter die Kurzarbeitsverträge unterschreiben lassen. Jetzt könnte ich den Betrieb in drei Schichten laufen lassen."

Mafiöse Zustände auf dem Stoffmarkt

Zur Produktion der Masken greift Belte auf Stoffe aus seinem Lager zurück. Die waren zwar eigentlich für andere Kundenaufträge bestimmt. Doch weil die diese Teile sowieso nicht absetzen können, sparen sie sich so immerhin die Lagerkosten - und die Firma Michel hat Stoff. Und an den ranzukommen, ist aktuell gar nicht so einfach. "Auf dem Stoffmarkt geht es zur Zeit fast so zu wie bei der Mafia", sagt Belte. Auch deshalb sei die Produktion im Inland derzeit so gefragt. Natürlich könne man Stoffe zur Produktion von Atemmasken in die Ukraine oder in die Türkei schicken. "Aber ob man die Masken dann wieder raus und zurück nach Deutschland bekommt, steht auf einem anderen Blatt."

"Auf dem Stoffmarkt geht es zur Zeit fast so zu wie bei der Mafia."
Markus Belte, Geschäftsführer der Lohnnäherei Michel in Königsberg

Das Unternehmen will bevorzugt den Landkreis Haßberge versorgen. Mit 5000 Masken pro Tag komme man aber nicht allzu weit - zumal die Firma Michel mehr Kapazitäten hätte. "Wir haben 80 Nähplätze", erzählt Belte. "Aber aktuell nur etwa 30 Mitarbeiter. Wir könnten auf 80 Näher aufstocken und dann noch Personal für Endkontrolle und Verpackung einstellen." So wären bis zu 15 000 Masken pro Tag möglich. Doch Mitarbeiter zu finden, sei schwierig, die Arbeitsagenturen aktuell total überlastet. Der Preis für eine Maske werde sich wohl bei fünf bis sechs Euro einpendeln.

Das neue Geschäftsfeld, das Belte und den Königsbergern recht zufällig vor die Füße geplumpst ist, hat Zukunft. Der 55-Jährige will den Betrieb spezialisieren, neben Gesichtsmasken künftig auch auf Bekleidung für Pflegeberufe setzen - mit einer modischen Note. "Wir werden auch in Zukunft nicht die ganz großen Mengen produzieren können. Aber wir können individuelle Wünsche erfüllen." Ein Vorteil der Königsberger Firma, der nicht zu unterschätzen ist. Weniger klinisch wirkende Bekleidung sei gefragt, die Größe des Michel-Betriebs perfekt, um etwa ein Seniorenheim mit individueller Arbeitsklamotte auszurüsten.

Geschäftsführer aus Liebe zur Ehefrau

Wie kommt ein bei München wohnhafter Geschäftsführer aus der Automobilindustrie eigentlich zu einem recht überschaubaren Betrieb aus der Modebranche in Unterfranken? "Das habe ich gewissermaßen meiner Frau zu verdanken", erzählt Belte und lacht dabei wieder in den Hörer. Die beschäftige sich schon seit Jahren mit Modedesign und habe ihre Entwürfe stets in Königsberg produzieren lassen. Als das Unternehmen vor rund zwölf Jahren vor dem Aus stand, sprang Belte ein - mehr oder weniger seiner Frau zuliebe.

Einem Akt der Zuneigung und einer schrecklichen Pandemie ist es nun wahrscheinlich zu verdanken, dass die Lohnnäherei Michel dem Landkreis weiter erhalten bleiben wird. Denn, so ehrlich ist Belte auch, wirklich rosig sah die Zukunft des Betriebs nicht aus. Jahr für Jahr hätten sich mehr Mitarbeiter in den Ruhestand verabschiedet, irgendwann hätten sie zusperren müssen in Königsberg. Statt dieses Szenarios lautet die Devise nun: Gesichtsmasken statt Designermode - zumindest vorerst. Die Designerware hat Belte jedenfalls ganz hinten ins Lager eingeräumt.

 
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