Ist es gerecht, dass Arbeitnehmer, die Kinder erziehen, genauso viel Beitrag in die Renten- und Krankenversicherung einzahlen wie Kinderlose? Diese Frage wird demnächst auch das Bayerische Landessozialgericht in Schweinfurt beschäftigen. Familie Nowak aus Wonfurt (Lkr. Haßberge) ist eine Familie, die sich der bundesweiten Initiative „Wir jammern nicht, wir klagen“ angeschlossen hat.
Neuordnung der Beiträge gefordert
Schon vor drei Jahren haben sich der Familienbund der Katholiken (FDK), der Deutsche Familienverband (DFV) und Eltern aus ganz Deutschland zusammengetan, um eine verfassungskonforme Neuordnung der Beiträge zu den gesetzlichen Sozialversicherungen voranzutreiben. Sie klagen, dass sie die Beitragszahler von morgen aufziehen und trotzdem so viel zahlen wie Versicherte ohne Kinder.
Ihre Argumentation: Wer drei Kinder oder mehr Kinder großzieht, benötigt Wohnraum und ein größeres Auto, muss für Kindergarten, Schule und Ausbildung bezahlen, Klavier- oder Sportunterricht finanzieren und meist kann einer oder beide Elternteile auch nicht mehr Vollzeit arbeiten. Ihre Forderung: die Einführung eines Kinderfreibetrags in die Renten-, Pflege- und Krankenversicherung und die Ausweitung der rentenrechtlichen Kindererziehungszeiten auf sechs Jahre pro Kind.
Derzeit haben 376 Familien Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht eingelegt. Zwei weitere Musterverfahren sind beim Bundessozialgericht anhängig, mehrere hundert Klagen sind bei Sozialgerichten eingereicht worden. Tausende Familien haben bei ihren Krankenkassen einen Antrag zur Beitragsermäßigung gestellt.
Seit drei Jahren klagt Familie Nowak
Michal Nowak und seine Frau Claudia haben fünf Kinder im Alter zwischen drei und 16 Jahren. Er ist Diakon, seine Frau arbeitet im Moment 15 Stunden die Woche und macht eine Ausbildung zur Pastoralassistentin. Dementsprechend kann sie nur wenig in die Rentenklasse einzahlen, das gesamte Geld fließt in die Finanzierung der siebenköpfigen Familie. Seit April 2015 gehören die Nowaks zu den Klägern. Ein kompletter Aktenordner ist mit dem Schriftverkehr von Anwälten und Gerichten gefüllt. 400 Seiten – bisher.
Die erste Klage vor dem Bayerischen Landessozialgericht in Würzburg wurde am 8. April 2015 abgewiesen. Michael Nowak ging im Mai 2016 in Berufung und seine Klage landete beim Bayerischen Sozialgericht an der Zweigstelle in Schweinfurt. Viele Verfahren ruhen derzeit in Deutschland. Die Nowaks haben mit Ernst Jürgen Borchert mittlerweile einen prominenten Anwalt an ihrer Seite. „Unser Verfahren ruht nicht, das werte ich als gutes Zeichen“, sagt Nowak. Derzeit wartet die Familie auf einen neuen Gerichtstermin.
Der Aufwand für Erziehung wird nicht berücksichtigt
Alle klagenden Familien berufen sich auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2001. Das hatte den Gesetzgeber beauftragt zu prüfen, ob der Aufwand für Betreuung und Erziehung von Kindern bei Sozialversicherungen genug berücksichtigt wird. Dass Kinderlose seit 2005 einen Beitragszuschlag von 0,25 Prozent in die Pflegeversicherung zahlen müssen, reicht den Klägern nicht.
Eine Familie aus Baden-Württemberg war ebenfalls nicht länger bereit dazu, Beiträge zur gesetzlichen Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen, ohne dass der durch die Erziehung ihrer vier Kinder erbrachte generative Beitrag berücksichtigt wird. Doch diesmal folgten die Richter der Argumentation der Kläger.
Das Sozialgericht Freiburg stellte fest (AZ 6 KR 5414/15), dass die Finanzierung der Pflegeversicherung mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist und hat diese Frage dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Die Freiburger Richter haben damit erstmals in der jüngeren Geschichte des Sozialrechts deutlich gemacht, dass die Urteile des Bundesverfassungsgerichts ernst zu nehmen sind – von Richtern, wie von den Abgeordneten des Bundestages.
Ein wichtiger Erfolg für Familien in Deutschland
„Dass die Benachteiligung von Familien in der Sozialversicherung richterlich bestätigt wurde, ist ein wichtiger Erfolg für die Familien in Deutschland“, betont der Präsident des Familienbundes, Stefan Becker. „Das Freiburger Sozialgericht ist mit uns der Auffassung, dass der Gesetzgeber das Pflegeurteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 nicht verfassungskonform umgesetzt hat.“
Die Karlsruher Richter hatten damals entschieden, dass es dem Gleichheitssatz des Grundgesetzes widerspricht, wenn der Gesetzgeber bei der Erhebung der Sozialversicherungsbeiträge nicht berücksichtigt, dass Eltern einen doppelten Beitrag für die Sozialversicherung erbringen. Neben den Geldbeiträgen stelle die zeit- und kostenaufwendige Erziehung von Kindern einen ebenso wichtigen Beitrag für die Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung dar. Denn diese Versicherungszweige seien als umlagefinanzierte Systeme auf gut ausgebildete neue Beitragszahler existenziell angewiesen. Um Eltern nicht übermäßig mit Beiträgen zu belasten, müssten diese bei den Geldbeiträgen entlastet werden.
Eltern fordern finanzielle Entlastung
„Den Generationenvertrag des Sozialstaates halten nur die Eltern ein. Dass gerade sie an diesem Vertrag kaum beteiligt werden, ist ein rechtsstaatlicher Skandal“, sagt Professor Paul Kirchhof, ehemaliger Richter am Bundesverfassungsgericht.
Michael Nowak ist sich daher sicher: „Auf Dauer werden wir Erfolg haben.“ Und wenn die Nowaks Erfolg haben, würde das auch vielen anderen Eltern eine finanzielle Entlastung bringen.
Familienbund der Katholiken
Der Familienbund der Katholiken (FDK) ist ein parteipolitisch unabhängiger, konfessioneller Familienverband, der sich seit sechs Jahrzehnten für Familienfreundlichkeit und Familiengerechtigkeit und für die zentrale Bedeutung von Ehe und Familie in unserer Gesellschaft einsetzt. Er sieht sich als Ansprechpartner und Lobby für alle Familien und engagiert sich in der Vertretung von Familieninteressen in Kirche, Staat, Gesellschaft und Politik.
Der Familienbund ist auf allen politischen Ebenen sowie innerkirchlich für Familien aktiv. Der FDK wurde 1953 in Würzburg gegründet. Mitglieder im Bundesverband sind die Diözesan- und Landesverbände sowie 15 katholische Verbände. Einzelmitgliedschaften von Familien und Familiengruppen bestehen in der Regel in den Diözesanverbänden.
sollte auch im Steuerrecht weitere familienentlastende Faktoren eingebaut werden. Ein Familiensplitting statt ein Ehegattensplitting wäre wesentlich gerechter und würde den Familien die die Zukunftslast tragen in den Zeiten der Kindererziehung die nötige finanzielle Entlastung geben.
Aber 1. gibt es nicht nur den Zuschlag in der Pflegeversicherung, sondern auch Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung. Dazu kommt dann noch Kindergeld etc.
Man kann sich sicher darüber streiten, ob das reicht. Aber zu behaupten, man zahle "genauso viel Beitrag" finde ich dann schon etwas seltsam.
2. Ich sehe auch keine Benachteiligung darin, daß in der (gesetzlichen) Krankenversicherung hier bis zu 7 Personen zum Beitrag von 1 oder 2 versichert sind.
Nebenbei: Die Sozialversicherung ist sicher nicht schuld daran, daß Frau Nowak während einer Ausbildung nicht sonderlich viel verdient.
N.B. überdurchschnittlich kinderlos sind z.B. Akademiker/innen und Journalisten / Medientätige - und m.W. - da ließe ich mich aber auch gerne berichtigen - Lehrer; o.k. letztere sind schon bei den Akademikern erfasst.