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Goßmannsdorf
Scharf auf Messers Schneide
Seit über sechs Jahrzehnten ist Wilhelm Blum als Scherenschleifer unterwegs. Er erzählt, warum er immer noch von seinem Beruf fasziniert ist.
Scherenschleifer Wilhelm Blum. Beim Repaircafé in Hofheim zeigt er seine Können. Seit über 60 Jahren übt er diesen Beruf aus.
Foto: Alois Wohlfahrt | Scherenschleifer Wilhelm Blum. Beim Repaircafé in Hofheim zeigt er seine Können. Seit über 60 Jahren übt er diesen Beruf aus.
Alois Wohlfahrt
Alois Wohlfahrt
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:44 Uhr

So, nun zum Abschluss des Gesprächs noch ein Bild. Ob er vielleicht so tun könnte, als wäre er voll in Aktion? Freundlich schmunzelt Wilhelm Blum und wirft seine Schleifmaschine an. Aus der Schublade holt er ein Messer und: Nee, einfach so zur Schau was machen, das ist nicht sein Ding. Die Augenlider sind nur noch einen Spalt weit offen, die Augen fokussiert auf das Messer, das er mit den Fingerspitzen beider Hände an die rotierende Schleifscheibe hält. Und wenig später ist die Klinge des alten, ramponierten Messers wieder zu neuer Schärfe erwacht. Warum auch soll er so tun als ob, wenn ihm das, was er fast sein ganzes Leben lang gemacht hat, noch immer unübersehbar Spaß macht.

Ohne Schleifgeräusche schnurrt die Maschine auf dem Tresen weiter. Wilhelm Blum hält das Messer prüfend nach oben, mit dem Daumen fährt er sanft über die Schneide und sagt lachend aus seiner mobilen Werkstatt heraus: "So schaut's aus: Spaß muss es machen, das ist das Wichtigste". Und Freude macht ihm seine Arbeit immer noch. "Auch nach gut 60 Jahren", sagt der 69-Jährige, der lange Zeit in Goßmannsdorf gewohnt hat und jetzt auch einen Wohnsitz bei Coburg hat.

Schleifstein aufgebaut und mit Glocke geläutet

Mit neun Jahren angefangen auf diesem Beruf zu arbeiten? Ja, klar, sagt Blum und erinnert sich noch genau. Auch sein Vater war Scherenschleifer. Wie andere Sinti auch, zog er mit seinem Bruder und dem Vater über die Ortschaften, "in einem alten DKW-Bus". Der Schleifstein war zusammengeklappt und wurde vom Vater vor Ort aufgebaut und dann mit einer Art Pedal per Muskelkraft der Beine betrieben. In den Orten klingelte der Vater mit einer Glocke, damit die Leute wussten, dass der Scherenschleifer da ist. Die Leute machten die Fenster auf, riefen die Jungs herbei. Und die gingen dann von Haus zu Haus, um Messer oder Scheren zu holen, die dann geschärft wieder zurückgebracht wurden.

Jedes Messer erfordert eine andere Technik.
Foto: Alois Wohlfahrt | Jedes Messer erfordert eine andere Technik.

Diese Zeiten sind längst vorbei. "Heute macht kaum einer noch die Fenster auf, wenn Du in der Ortschaft klingelst. Die Leute sind doch alle reizüberflutet", sagt er nachdenklich. Geworben wird so etwa mit Wurfzetteln. Dennoch läuft das Geschäft. Seit vielen Jahrzehnten, sagt Blum und das unüberhörbar in norddeutschem Dialekt. Die Eltern wohnten in Brandenburg, die Großeltern stammten aus der Nähe von Königsberg in Ostpreußen. Kommt Blum kurz auf die Großeltern zu sprechen, ist im Gespräch so gar nichts mehr von dem sonst immer schmunzelnden, zugänglichen Mann zu spüren. Wie viele Sinti wurden auch seine Großeltern im Konzentrationslager ermordet, berichtet er. Und auch weitere Mitglieder der Familie. Aber darüber will er nicht reden, "weil es immer wieder Menschen gibt, die aus der Geschichte nichts lernen, dass diese Menschen nicht schlauer werden".

Voll konzentriert: Scherenschleifer Wilhelm Blum. 
Foto: Alois Wohlfahrt | Voll konzentriert: Scherenschleifer Wilhelm Blum. 

Von Norddeutschland führte der Weg der Blums erst nach Schweinfurt, dann nach Haßfurt und dann in den Hofheimer Raum, nach Bundorf und dann nach Goßmannsdorf. Seit den späten 1960er Jahren hat er sich selbstständig gemacht, die Scherenschleiferei auf eigene Beine gestellt. Er braucht die Selbstständigkeit. Das hatte er festgestellt, als er einmal als Kraftfahrer fest angestellt war. "Das war nicht meins", sagt er schmunzelnd.

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich viel verändert

Was er braucht und was ihn so an seinem Beruf gefällt: "Du lernst so viele Menschen kennen, immer wieder neue Menschen, jeden Tag". Es macht ihm einfach Freude mit Menschen umzugehen, auf sie zuzugehen. Und was er mit nicht nachlassender Freude macht, das ist natürlich sein Beruf, sagt er aus tiefster Überzeugung. Wenngleich sich da in den vergangenen Jahrzehnten auch Vieles verändert hat.

Da ist zum einen das, was er in den Fingern hält und dem er auf seiner Werkbank im Heck des Kleinbusses zu neuer Schärfe verhelfen will. Früher gab es kaum Blechmesser, die er schärfen musste. Da war die Qualität der Schneidegeräte bei den Privatkunden noch höher, besserer Stahl. Auch die Kundschaft selbst hat sich verändert. Auch ein Zeichen für die Wegwerfgesellschaft, denn: Manche kaufen eben billige Blechmesser, sind die dann stumpf, werden sie weggeworfen. Ein gutes Stahlmesser aber koste nun mal Geld. Und wer dies investiere, sei auch bereit, es wieder fachkundig schärfen zu lassen.

Fingerspitzengefühl gehört beim Scherenschleifen dazu. 
Foto: Alois Wohlfahrt | Fingerspitzengefühl gehört beim Scherenschleifen dazu. 

Und so hat sich die Kundschaft verändert: Die Hauptkunden sind Gastwirtschaften, Lebensmittelgeschäfte oder Schneidereien. Und neue Aufgaben sind auch hinzugekommen, im Vergleich zu den Anfängen seiner Berufszeit. So schärft er auch Rasenmäher-Messer oder Gartenscheren. Geblieben ist bei ihm das Gefühl, wenn er ein Messer in die Hand nimmt: "Da merkst Du sofort, was los ist. Spätestens aber dann, wenn Du zu schleifen beginnst".

Auch schon bei Promis Messer geschliffen

Das ist wichtig, dies zu erkennen, denn "das Material bestimmt den Schliff", so Blum. Je nach Stahl gibt es an seiner von einer Batterie betriebenen Schleifmaschine verschiedene Schleifscheiben. Wenn er zu einem Kunden gerufen wird, den und dessen Messer er kennt, sortiert er schon vorher die Schleifscheiben, die er dann auch braucht. Und es kommt auch vor, dass ein Neukunde erst einmal einen Probeschliff von ihm vorgeführt haben will. Davor hat Blum keine Angst, denn immerhin hat er auch schon bei Promis "aus dem Filmgeschäft und der Politik" für scharfe Messer gesorgt (O-Ton Blum: "Die Namen möchte ich aber nicht verraten"). Genauso hat er auch immer wieder Schneidwerkzeug, das schon mal im hohen dreistelligen Bereich liegt, die richtige Schärfe beigebracht.

Scherenschleifer Wilhelm Blum mit seinem Hund Holli.
Foto: Alois Wohlfahrt | Scherenschleifer Wilhelm Blum mit seinem Hund Holli.

Und immer wieder gibt es auch besondere Anforderungen. Etwa winzig kleine, hauchdünne Messerchen, kaum größer als ein Fingernagel, oder ganz spezielle Filetier-Messer, die geschärft werden müssen. Dann ist Erfahrung gefragt, denn die dürfen beim Schleifen nicht verbrennen, aber scharf sein müssen sie ja auf jeden Fall. Seine Erfahrung hat er auch an seinen Sohn Renaldo weitergegeben, der inzwischen die Tradition des Scherenschleifens in der Familie weiterführt. Wilhelm Blum ist eher noch sporadisch unterwegs.

Blum unterstützt Idee des Repaircafés

Zu sehen sein wird er auf jeden Fall beim Repaircafé am Samstag im Hofheimer Haus des Gastes. Weil er die Idee gut findet, die hinter dieser Einrichtung steht, sagt der 69-Jährige. Und froh über die Bereitschaft von Wilhelm und Renaldo Blum, am Repaircafé teilzunehmen ist auch Theophil Giebfried vom Organisationsteam des Repaircafés. Giebfried: "Wir wollen ja zeigen, dass nicht gleich alles weggeworfen werden muss, sondern Sachen aus guten Material wieder aufgearbeitet werden können und weiterhin ihren Dienst tun".

Beim Repaircafè dürfte Blum dann auch das erleben, was für ihn am Ende seiner Arbeit besonders freut: "wenn die Leute strahlen und sagen, das ist ja wie neu". Und dabei strahlt er selbst und während er liebevoll seinen vierbeinigen Begleiter Holli streichelt, fügt er schnell hinzu: "Das Wichtigste aber ist, dass es einem selbst Spaß macht. Ist kein Spaß dabei, wird es auch nicht gut".   

Das Reparaturcafé in Hofheim findet am Samstag, 13. April, von 10 bis 13 Uhr im Haus des Gastes statt.

 
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