Im Landkreis Haßberge kommt ein großer Pflegeheim-Skandal ans Licht. Am frühen Donnerstagmorgen klingelten Kripobeamte an der Pforte der „Seniorenresidenz Gleusdorf“. Im Gepäck hatten sie einen Durchsuchungsbeschluss und zwei Haftbefehle gegen die Geschäftsführerin und den Pflegedienstleiter. Der Vorwurf: Durch mangelnde Versorgung soll es in dem Heim zu mindestens einem Todesfall gekommen sein.
Der frühklassizistische ehemalige Adelssitz in dem Gemeindeteil von Untermerzbach, direkt an der Grenze zum Regierungsbezirk Oberfranken, dient rund 70 Bewohnern als abgeschlossenes Seniorenheim. Im Internet wirbt das „Haus zum Wohlfühlen“ mit dem Slogan „Einmal Schlossherr sein“. Die harte Realität hinter den historischen Mauern sieht aber anders aus, glaubt man den zahlreichen Zeugen, zumeist ehemalige Mitarbeiter, die sich in den vergangenen Tagen bei der Polizei gemeldet haben. Die alten Menschen im Heim, darunter auch viele Demenzkranke, sollen ein wahres Martyrium erleiden.
Tötung durch Unterlassen?
Nach zwei Strafanzeigen im Mai und im Juni 2016 hatte die Staatsanwaltschaft Bamberg gemeinsam mit der Kriminalpolizei Schweinfurt Ermittlungen gegen die Verantwortlichen der „Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf GmbH“ aufgenommen. Es ging zunächst „nur“ um die Misshandlung von Schutzbefohlenen sowie um verschiedene kleinere Vermögensdelikte, weil den Bewohnern wohl Geld und Gegenstände abgenommen wurden.
Bei den Zeugenvernehmungen wurden Anfang November erstmals Vorwürfe laut, dass es durch fehlerhafte medizinische Versorgung beziehungsweise durch die unterbliebene Einweisung ins Krankenhaus sogar zu Todesfällen gekommen sein soll. In einer gemeinsamen Presseerklärung schildern die Staatsanwaltschaft Bamberg und das Polizeipräsidium den konkreten Fall eines Heimbewohners, der gestürzt war und über mehrere Tage hinweg keine ärztliche Hilfe bekam, obwohl sich sein Gesundheitszustand dramatisch verschlechtert hatte. Der Mann starb. Zur Frage, ob es noch weitere Opfer geben könnte, schweigt die Staatsanwaltschaft aus ermittlungstaktischen Gründen.
Inzwischen sind bei der Kripo rund zehn Beamte mit dem Fall betraut. Aufgrund ihrer Ermittlungsergebnisse ergingen nun Haftbefehle wegen des dringenden Tatverdachts des Totschlags gegen die Geschäftsführerin und den Pflegedienstleiter. Zugleich wurden Hausdurchsuchungen durchgeführt. Dabei wurden Behandlungsunterlagen und Dienstpläne sichergestellt.
Gegen einen im Seniorenheim tätig gewordenen Hausarzt wurde ein Verfahren wegen der Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse eingeleitet. Auch bei ihm wurden Patientenunterlagen der betreffenden Heimbewohner sichergestellt.
„Es war so entsetzlich“
Es waren die Strafanzeigen von ehemaligen Pflegekräften, die die Ermittlungen gegen die „Seniorenresidenz Schloss Gleusdorf GmbH“ ins Rollen gebracht haben. Eine frühere Pflegedienstleiterin, die mittlerweile im Ruhestand ist, sagte am Donnerstag am Telefon: „Es war so entsetzlich, dass ich es dort nicht mehr aushielt.“ Auch jetzt, Jahre später, habe sie noch immer die Bilder vor Augen, wie Patienten auf Befehl der verhafteten Geschäftsführerin zwar im Bett um gedreht wurden. „Aber nicht, dass sie sich nicht wund liegen, sondern so, dass die Siffe auf den letzten trockenen Fleck der Windel fließt.“
Windeln und Einlagen seien von der Geschäftsführung und Pflegeleitung immer sehr knapp gehalten worden, bestätigt auch eine Nachtschwester, die sich bei der Redaktion der Bamberger Zeitung „Fränkischer Tag“ (FT) gemeldet hat. „Wir haben dann einfach nur noch Handtüchern benutzt, die wir kurz vor Schichtwechsel schnell noch gewaschen haben, damit es keinen Ärger mit der Frühschicht gibt.“
Die Kripo ermittelt jetzt auch hinsichtlich des Tatbestandes der Misshandlung von Schutzbefohlenen. Dabei geht es um das Verabreichen von Medikamenten, mit denen die Patienten ohne ihr Wissen ruhiggestellt wurden. Ein Mann aus Bamberg, dessen Schwiegervater in der geschlossenen Einrichtung in Gleusdorf untergebracht war, formuliert im FT die Situation so: „Selbst Menschen, die voller Energie neu ins Schloss kamen, hat man nach drei Monaten nicht mehr als solche erkannt. Denen wird der Wille genommen, noch aktiv am Leben teilzunehmen.“
Auch weitere Zeugen bestätigten das Ruhigstellen der Bewohner durch Tabletten – aus offenbar wirtschaftlichen Erwägungen. „Die wurden ,abgeschossen', damit sie weniger essen und trinken.“ Und zugleich habe man so die höchstmögliche Pflegestufe erreichen können. Die Tabletten seien unbemerkt ins Essen gemischt worden.
Apropos Essen: Ehemalige Schwestern berichten, dass die Bewohner oft über Hunger geklagt hätten. „Ich habe dann von daheim zur Nachtschicht denen Essen mitgebracht“, erzählt eine Schwester. Kaffee und Tee seien den ganzen Tag über gestreckt worden. Und: „Sogar das Duschgel wurde mit Wasser verdünnt.“
„Der Onkel hat zugenommen“
Es gibt aber auch Angehörige von Insassen, die sich melden und mit der Unterbringung ihrer Verwandten in Gleusdorf sehr zufrieden sind. Der Onkel habe seit der Verlegung in die Seniorenresidenz sogar wieder zugenommen, lobt ein Mann. Die ehemalige Pflegedienstleiterin kennt solche Argumente von Angehörigen. Denn was diese nicht wüssten: „Die Demenzkranken werden mit Puddingsuppe vollgestopft, nur damit sie dick werden.“
Die Heimleitung der Seniorenresidenz spricht in einer schriftlich verbreiteten Stellungnahme von einem nicht nachvollziehbaren Rachefeldzug aus dem Umfeld einer Mitarbeiterin, die man im Frühjahr 2016 entlassen musste. Die Unterstellungen seien unwahr und verleumderisch. „Zum Schutz unseres Unternehmens und im Sinne unserer Mitarbeiter/innen werden wir gegen diese Angriffe auch mit strafrechtlichen Mitteln vorgehen.“
Doch wie konnten die angeblich schlimmen Zustände unentdeckt bleiben? Der Landkreis Haßberge führe regelmäßig unangemeldete Kontrollen in den Pflege- und Behindertenheimen durch, sagt Monika Göhr, Pressesprecherin des Landratsamts in Haßfurt. Auch die Seniorenresidenz Gleusdorf wurde regelmäßig einmal pro Jahr von der Heimaufsicht kontrolliert – zuletzt routinemäßig im August 2015 und am 1. September 2016.
Nur wenige Wochen nach dem September-Termin wurde am Buß- und Bettag (16. November) das Heim erneut überprüft. „Dabei, wie auch bei den Kontrollen zuvor, wurden keine erheblichen Mängel im Sinne des Pflege- und Wohnqualitätsgesetzes festgestellt. Es wurden deshalb bislang keine Anordnungen erlassen oder Auflagen verhängt“, so Göhr.
Nach anonymen Anzeigen waren Vertreter des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) im Januar, Februar, August und zuletzt am Buß- und Bettag im Schloss. Im „Pflegeheimnavigator“ im Internet hat der MDK bei der August-Prüfung der Seniorenresidenz die Note 1,7 vergeben. Der Durchschnittswert in Bayern liegt bei 1,3. Von den 70 Bewohnern seien zehn geprüft worden, heißt es. Auffallend dabei: Die Befragten selbst gaben dem Heim nur die schwache Note von 2,3. Mitarbeit: M. Schweidler
Aber auch in dem beschriebenen Fall gilt - wieder einmal totales Versagen der Behörden! Eine Schande!
Hier gilt wohl auch nicht der Artikel 1 unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Oder haben alte, hilfsbedürftige Menschen keine Würde mehr?
Manche FQAs werden auch selten oder nie landesweiten Fortbildungen gesehen, warum wohl?
Freunde der Bewohner können diese oft gar nicht (mehr) besuchen, wenn z.B. zwischen altem Wohnort und Seniorenheim 30 km oder mehr liegen.
Mit der Verwandtschaft nun ja, das ist so eine Sache. Vielleicht stecken manche Menschen ihre "Alten" bewusst weit weg. Aus den Augen aus dem Sinn, Besuche dann zu Weihnachten, Geburtstag????????????